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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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in Polen gegen die Czartoryski als Führer der verhaßten rus-
sischen Parthei eine so tiefe Abneigung gefaßt, daß diese noch
nach einem Decennium auf die französische Politik gegenüber
Polen bestimmend eingewirkt hat. Gleich damals, als l'Hopital,
der neue französische Gesandte in Petersburg, auf seiner Reise
dorthin nach Warschau kam (Juni 1757), nahm er ihn gegen
Poniatowski ein, wie man denn überhaupt in Paris dessen Er-
nennung als eine Annäherung Brühls an die "Familie" be-
trachtete und darüber gegen Brühl aufgebracht war 1). Ja,
es scheint, nach einigen leider nur bruchstückartigen Nachrichten
zu schließen, daß Broglie im Einverständniß mit seinem
Hofe während des Jahres 1757 einen Sturz Brühls und die
Abdankung August III. betrieb. Anfang April besprach
Ludwig XV. mit seinem geheimen Kabinet eine eventuelle Be-
setzung des polnischen Thrones durch einen der beiden Söhne
Philipp V. von Spanien, Don Philipp oder Don Louis, von
welchen der erstere Herzog von Parma, der letztere des fran-
zösischen Königs Schwiegersohn war. Man müsse, meinte
Ludwig XV., diese Idee den Polen beibringen und sie von
dort nach Spanien gelangen lassen; Subsidien könne er aber
nicht geben: wenn sie (die Polen) ihn zum Könige haben
wollten, so müßten sie ihn auch erhalten; dasselbe gelte auch
vom Prinzen Xaver, dem Sohne August III. Gleichzeitig be-
mühte sich Prinz Conti durch den Ritter d'Eon in Petersburg
das Commando der russischen Armee und das Herzogthum
Kurland zu erhalten, um entweder hiedurch dem Throne Po-
lens näher zu kommen, oder durch eine Heirath mit der Kai-
serin Elisabeth selbst Kaiser zu werden 2). Um die Mitte Juni

1) Schreiben l'Hopital an Bernis vom 2. August 1757 bei Stuhr
I, 296.
2) Bei den Unterhandlungen, welche zwischen Rußland und Östreich
im Anfange des Jahres 1757 in Petersburg über den Abschluß eines
neuen Vertrages stattfanden, forderte Rußland sehr nachdrücklich von
Seiten Östreichs das Versprechen, ihm Kurland und Semgallen und selbst
Ostpreußen als Preis des gemeinschaftlichen Sieges zu sichern. In Bezug
hierauf schrieb Maria Theresia an Esterhazy, man habe in Wien auf

in Polen gegen die Czartoryski als Führer der verhaßten ruſ-
ſiſchen Parthei eine ſo tiefe Abneigung gefaßt, daß dieſe noch
nach einem Decennium auf die franzöſiſche Politik gegenüber
Polen beſtimmend eingewirkt hat. Gleich damals, als l’Hopital,
der neue franzöſiſche Geſandte in Petersburg, auf ſeiner Reiſe
dorthin nach Warſchau kam (Juni 1757), nahm er ihn gegen
Poniatowski ein, wie man denn überhaupt in Paris deſſen Er-
nennung als eine Annäherung Brühls an die „Familie“ be-
trachtete und darüber gegen Brühl aufgebracht war 1). Ja,
es ſcheint, nach einigen leider nur bruchſtückartigen Nachrichten
zu ſchließen, daß Broglie im Einverſtändniß mit ſeinem
Hofe während des Jahres 1757 einen Sturz Brühls und die
Abdankung Auguſt III. betrieb. Anfang April beſprach
Ludwig XV. mit ſeinem geheimen Kabinet eine eventuelle Be-
ſetzung des polniſchen Thrones durch einen der beiden Söhne
Philipp V. von Spanien, Don Philipp oder Don Louis, von
welchen der erſtere Herzog von Parma, der letztere des fran-
zöſiſchen Königs Schwiegerſohn war. Man müſſe, meinte
Ludwig XV., dieſe Idee den Polen beibringen und ſie von
dort nach Spanien gelangen laſſen; Subſidien könne er aber
nicht geben: wenn ſie (die Polen) ihn zum Könige haben
wollten, ſo müßten ſie ihn auch erhalten; daſſelbe gelte auch
vom Prinzen Xaver, dem Sohne Auguſt III. Gleichzeitig be-
mühte ſich Prinz Conti durch den Ritter d’Eon in Petersburg
das Commando der ruſſiſchen Armee und das Herzogthum
Kurland zu erhalten, um entweder hiedurch dem Throne Po-
lens näher zu kommen, oder durch eine Heirath mit der Kai-
ſerin Eliſabeth ſelbſt Kaiſer zu werden 2). Um die Mitte Juni

1) Schreiben l’Hopital an Bernis vom 2. Auguſt 1757 bei Stuhr
I, 296.
2) Bei den Unterhandlungen, welche zwiſchen Rußland und Öſtreich
im Anfange des Jahres 1757 in Petersburg über den Abſchluß eines
neuen Vertrages ſtattfanden, forderte Rußland ſehr nachdrücklich von
Seiten Öſtreichs das Verſprechen, ihm Kurland und Semgallen und ſelbſt
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[121/0135] in Polen gegen die Czartoryski als Führer der verhaßten ruſ- ſiſchen Parthei eine ſo tiefe Abneigung gefaßt, daß dieſe noch nach einem Decennium auf die franzöſiſche Politik gegenüber Polen beſtimmend eingewirkt hat. Gleich damals, als l’Hopital, der neue franzöſiſche Geſandte in Petersburg, auf ſeiner Reiſe dorthin nach Warſchau kam (Juni 1757), nahm er ihn gegen Poniatowski ein, wie man denn überhaupt in Paris deſſen Er- nennung als eine Annäherung Brühls an die „Familie“ be- trachtete und darüber gegen Brühl aufgebracht war 1). Ja, es ſcheint, nach einigen leider nur bruchſtückartigen Nachrichten zu ſchließen, daß Broglie im Einverſtändniß mit ſeinem Hofe während des Jahres 1757 einen Sturz Brühls und die Abdankung Auguſt III. betrieb. Anfang April beſprach Ludwig XV. mit ſeinem geheimen Kabinet eine eventuelle Be- ſetzung des polniſchen Thrones durch einen der beiden Söhne Philipp V. von Spanien, Don Philipp oder Don Louis, von welchen der erſtere Herzog von Parma, der letztere des fran- zöſiſchen Königs Schwiegerſohn war. Man müſſe, meinte Ludwig XV., dieſe Idee den Polen beibringen und ſie von dort nach Spanien gelangen laſſen; Subſidien könne er aber nicht geben: wenn ſie (die Polen) ihn zum Könige haben wollten, ſo müßten ſie ihn auch erhalten; daſſelbe gelte auch vom Prinzen Xaver, dem Sohne Auguſt III. Gleichzeitig be- mühte ſich Prinz Conti durch den Ritter d’Eon in Petersburg das Commando der ruſſiſchen Armee und das Herzogthum Kurland zu erhalten, um entweder hiedurch dem Throne Po- lens näher zu kommen, oder durch eine Heirath mit der Kai- ſerin Eliſabeth ſelbſt Kaiſer zu werden 2). Um die Mitte Juni 1) Schreiben l’Hopital an Bernis vom 2. Auguſt 1757 bei Stuhr I, 296. 2) Bei den Unterhandlungen, welche zwiſchen Rußland und Öſtreich im Anfange des Jahres 1757 in Petersburg über den Abſchluß eines neuen Vertrages ſtattfanden, forderte Rußland ſehr nachdrücklich von Seiten Öſtreichs das Verſprechen, ihm Kurland und Semgallen und ſelbſt Oſtpreußen als Preis des gemeinſchaftlichen Sieges zu ſichern. In Bezug hierauf ſchrieb Maria Thereſia an Eſterhazy, man habe in Wien auf

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/135>, abgerufen am 02.05.2024.