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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Auf allen diesen Vasen erscheint ein völlig gerüsteter Krie-
ger, der das gezückte Schwert oder die Lanze in der Hand eine
verschleierte Frau, die zwar keinen Widerstand leistet, aber doch
zu zögern scheint, mit sich fortführt, während ein gleichfalls ge-
wappneter Krieger folgt. Man sieht gewöhnlich in dieser Dar-
stellung eine Variation des bekannten Typus von der Wieder-
findung der Helena bei Trojas Zerstörung, des Typus, den zuletzt
Löschcke abschliessend behandelt hat7). Indessen scheint mir
für diese Darstellung gerade das Wegführen charakteristisch; die
Frau leistet keinen Widerstand, der Mann hat das Schwert nicht
gezückt, um die Frau zu bedrohen, sondern um sich und sie zu
schützen, wie ja auch Odysseus und Diomedes beim Palladion-
raub mit gezücktem Schwert erscheinen. Vor Allem aber scheint

Todesstreich nicht abwehren; indem sie den Schritt zu ihrem Sohne zurück-
wendet, schaut sie um gegen den Sieger und erhebt verzweiflungsvoll die
rechte Hand zum Himmel". Man begreift bei dieser Auffassung schwer, in
welcher Absicht sie sich denn überhaupt zwischen die Kämpfenden gestürzt
hat, wie sie denn auch auf keiner der übrigen zahlreichen Memnondar-
stellungen an dieser Stelle erscheint. In der That gebührt der Platz zwischen
den Streitern nur dem, der durch sein Dazwischentreten entweder den Kampf
aufhebt, wie der Zeus auf den Kyknosvasen, oder dem einen der Kämpfer einen
thatsächlich wirksamen Schutz gewährt. So auch hier; die Füsse der Frau sind
dem Krieger rechts zugewandt, den Kopf aber wendet sie nach seinem Gegner
hin und hebt, nicht jammernd, sondern drohend und einhaltgebietend die rechte
Hand. Also eine Göttin, die den Zweikampf dem Krieger rechts zu Liebe
aufhebt. In der Ilias kommt zweimal eine solche Scene vor; einmal bei dem
Kampfe zwischen Paris und Menelaos, und dann bei dem zwischen Aeneias
und Diomedes, beidemal ist die intervenierende Göttin Aphrodite; beide Male
ist der Gerettete einer der beiden auf der Vorderseite dargestellten Entführer.
Dass die Darstellung der Schilderung der Ilias nur ganz im allgemeinen
entspricht, wird nach dem im ersten Kapitel Bemerkten nicht mehr befremden.
Auch die beiden rotfigurigen Vasen, auf denen uns die genannten Zwei-
kämpfe inschriftlich bezeugt vorliegen, die jetzt in Louvre befindliche Duris-
schale (Fröhner choix de vases grecs pl. 3. 4, Wiener Vorlegeblätter Ser. VI.
Taf. VII) und die im britischen Museum befindliche Schale aus Kameiros
(Journal of philology 1877 Taf. B.,) entfernen sich sehr stark von dem Wortlaut
der Ilias. Vgl. Luckenbach a. a. O. S. 517.
7) Ueber die Reliefs der altspartanischen Basis (Dorpater Universitäts-
programm 1879).

Auf allen diesen Vasen erscheint ein völlig gerüsteter Krie-
ger, der das gezückte Schwert oder die Lanze in der Hand eine
verschleierte Frau, die zwar keinen Widerstand leistet, aber doch
zu zögern scheint, mit sich fortführt, während ein gleichfalls ge-
wappneter Krieger folgt. Man sieht gewöhnlich in dieser Dar-
stellung eine Variation des bekannten Typus von der Wieder-
findung der Helena bei Trojas Zerstörung, des Typus, den zuletzt
Löschcke abschlieſsend behandelt hat7). Indessen scheint mir
für diese Darstellung gerade das Wegführen charakteristisch; die
Frau leistet keinen Widerstand, der Mann hat das Schwert nicht
gezückt, um die Frau zu bedrohen, sondern um sich und sie zu
schützen, wie ja auch Odysseus und Diomedes beim Palladion-
raub mit gezücktem Schwert erscheinen. Vor Allem aber scheint

Todesstreich nicht abwehren; indem sie den Schritt zu ihrem Sohne zurück-
wendet, schaut sie um gegen den Sieger und erhebt verzweiflungsvoll die
rechte Hand zum Himmel“. Man begreift bei dieser Auffassung schwer, in
welcher Absicht sie sich denn überhaupt zwischen die Kämpfenden gestürzt
hat, wie sie denn auch auf keiner der übrigen zahlreichen Memnondar-
stellungen an dieser Stelle erscheint. In der That gebührt der Platz zwischen
den Streitern nur dem, der durch sein Dazwischentreten entweder den Kampf
aufhebt, wie der Zeus auf den Kyknosvasen, oder dem einen der Kämpfer einen
thatsächlich wirksamen Schutz gewährt. So auch hier; die Füſse der Frau sind
dem Krieger rechts zugewandt, den Kopf aber wendet sie nach seinem Gegner
hin und hebt, nicht jammernd, sondern drohend und einhaltgebietend die rechte
Hand. Also eine Göttin, die den Zweikampf dem Krieger rechts zu Liebe
aufhebt. In der Ilias kommt zweimal eine solche Scene vor; einmal bei dem
Kampfe zwischen Paris und Menelaos, und dann bei dem zwischen Aeneias
und Diomedes, beidemal ist die intervenierende Göttin Aphrodite; beide Male
ist der Gerettete einer der beiden auf der Vorderseite dargestellten Entführer.
Daſs die Darstellung der Schilderung der Ilias nur ganz im allgemeinen
entspricht, wird nach dem im ersten Kapitel Bemerkten nicht mehr befremden.
Auch die beiden rotfigurigen Vasen, auf denen uns die genannten Zwei-
kämpfe inschriftlich bezeugt vorliegen, die jetzt in Louvre befindliche Duris-
schale (Fröhner choix de vases grecs pl. 3. 4, Wiener Vorlegeblätter Ser. VI.
Taf. VII) und die im britischen Museum befindliche Schale aus Kameiros
(Journal of philology 1877 Taf. B.,) entfernen sich sehr stark von dem Wortlaut
der Ilias. Vgl. Luckenbach a. a. O. S. 517.
7) Ueber die Reliefs der altspartanischen Basis (Dorpater Universitäts-
programm 1879).
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[57/0071] Auf allen diesen Vasen erscheint ein völlig gerüsteter Krie- ger, der das gezückte Schwert oder die Lanze in der Hand eine verschleierte Frau, die zwar keinen Widerstand leistet, aber doch zu zögern scheint, mit sich fortführt, während ein gleichfalls ge- wappneter Krieger folgt. Man sieht gewöhnlich in dieser Dar- stellung eine Variation des bekannten Typus von der Wieder- findung der Helena bei Trojas Zerstörung, des Typus, den zuletzt Löschcke abschlieſsend behandelt hat 7). Indessen scheint mir für diese Darstellung gerade das Wegführen charakteristisch; die Frau leistet keinen Widerstand, der Mann hat das Schwert nicht gezückt, um die Frau zu bedrohen, sondern um sich und sie zu schützen, wie ja auch Odysseus und Diomedes beim Palladion- raub mit gezücktem Schwert erscheinen. Vor Allem aber scheint 6) 7) Ueber die Reliefs der altspartanischen Basis (Dorpater Universitäts- programm 1879). 6) Todesstreich nicht abwehren; indem sie den Schritt zu ihrem Sohne zurück- wendet, schaut sie um gegen den Sieger und erhebt verzweiflungsvoll die rechte Hand zum Himmel“. Man begreift bei dieser Auffassung schwer, in welcher Absicht sie sich denn überhaupt zwischen die Kämpfenden gestürzt hat, wie sie denn auch auf keiner der übrigen zahlreichen Memnondar- stellungen an dieser Stelle erscheint. In der That gebührt der Platz zwischen den Streitern nur dem, der durch sein Dazwischentreten entweder den Kampf aufhebt, wie der Zeus auf den Kyknosvasen, oder dem einen der Kämpfer einen thatsächlich wirksamen Schutz gewährt. So auch hier; die Füſse der Frau sind dem Krieger rechts zugewandt, den Kopf aber wendet sie nach seinem Gegner hin und hebt, nicht jammernd, sondern drohend und einhaltgebietend die rechte Hand. Also eine Göttin, die den Zweikampf dem Krieger rechts zu Liebe aufhebt. In der Ilias kommt zweimal eine solche Scene vor; einmal bei dem Kampfe zwischen Paris und Menelaos, und dann bei dem zwischen Aeneias und Diomedes, beidemal ist die intervenierende Göttin Aphrodite; beide Male ist der Gerettete einer der beiden auf der Vorderseite dargestellten Entführer. Daſs die Darstellung der Schilderung der Ilias nur ganz im allgemeinen entspricht, wird nach dem im ersten Kapitel Bemerkten nicht mehr befremden. Auch die beiden rotfigurigen Vasen, auf denen uns die genannten Zwei- kämpfe inschriftlich bezeugt vorliegen, die jetzt in Louvre befindliche Duris- schale (Fröhner choix de vases grecs pl. 3. 4, Wiener Vorlegeblätter Ser. VI. Taf. VII) und die im britischen Museum befindliche Schale aus Kameiros (Journal of philology 1877 Taf. B.,) entfernen sich sehr stark von dem Wortlaut der Ilias. Vgl. Luckenbach a. a. O. S. 517.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/71>, abgerufen am 24.11.2024.