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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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schauen49). Allein bedenkt man, mit welch feinem Takt auch
im Übrigen der Künstler verfährt, so wird man auch diese Er-
findung ihm oder seinem künstlerischen Vorbild wohl zutrauen
mögen. Der obere Raum, den nach feststehender Regel dieses
Vasenstils die Götter einzunehmen pflegen, wird hier zunächst von
der Schützerin und Verfertigerin der Argo, Athena, dann von den
zu Göttern gewordenen Argonauten, Herakles50) und den Dios-
kuren ausgefüllt. Diese reiche und durchdachte Composition ist in
gewisser Beziehung typisch für die Art und Weise, in welcher
sich die gesammte spätere Kunst zu der Tragödie des 5. Jahr-
hunderts stellt; völlige Abhängigkeit von der Sagenversion, enger An-
schluss an die wichtigsten Situationen, aber im Detailkein sklavisches
Nachbeten, keine Beschränkung der frei schaffenden künstlerischen
Phantasie, die zuweilen selbst in die Rechte der Dichtung eingreift.

Aber noch zu einer weiteren Betrachtung ladet unsere Vase
ein. Das Streben, den Mythos in seinem ganzen Verlauf, in jedem
einzelnen Zug vor Augen zu stellen, den Beschauer gleich auf
den weiteren Verlauf hinzuweisen, wie hier durch den Drachen-
wagen, und ihn zugleich an die Vorgeschichte, an zum Teil weit
zurückliegende Ereignisse zu erinnern, wie hier durch die An-
wesenheit der heroisirten Argonauten und die Erscheinung des
Schattens des Aietes geschieht, erinnert es nicht an die ver-

49) O. Jahn a. a. O. und C. Dilthey (Arch. Zeit. 1875 S. 71) glauben eine
nacheuripideische Tragödie als Quelle für diese Einfügung von Aietes' Schat-
tenbild statuieren zu müssen. Den Keim zu dieser Erfindung ist man ver-
sucht in Eur. Med. v. 31 --33 zu vermuten.
50) Herakles scheint im vierten Jahrhundert durchaus als ein Haupt-
teilnehmer an der Argonautenfahrt betrachtet zu werden; so sehen wir ihn
auch auf der Meidiasvase mit den Argonauten bei den Hesperiden; beiläufig
mag bemerkt werden, dass dort der Name des sitzenden Königs zweifellos
zu Atlas zu ergänzen ist. Ein engeres Verhältnis zwischen Medeia und He-
rakles besteht bei Diodor IV 54, 6. 55, 4, der, wahrscheinlich nach Dionysios
Skytobrachion (vgl. Welcker Ep. Cyklus I S. 82, Schwartz de Dionysio Scyto-
brachione p. 4 f.), erzählt, dass Medeia nach dem Kindermord zu Herakles
nach Theben flieht und ihn vom Wahnsinn heilt, eine seltsam pointierte Zu-
sammenstellung des im gottverhängten Wahnsinn zum Kindermörder gewor-
denen Mannes mit dem durch Rachsucht zum Kindermord getriebenen Weibe.

schauen49). Allein bedenkt man, mit welch feinem Takt auch
im Übrigen der Künstler verfährt, so wird man auch diese Er-
findung ihm oder seinem künstlerischen Vorbild wohl zutrauen
mögen. Der obere Raum, den nach feststehender Regel dieses
Vasenstils die Götter einzunehmen pflegen, wird hier zunächst von
der Schützerin und Verfertigerin der Argo, Athena, dann von den
zu Göttern gewordenen Argonauten, Herakles50) und den Dios-
kuren ausgefüllt. Diese reiche und durchdachte Composition ist in
gewisser Beziehung typisch für die Art und Weise, in welcher
sich die gesammte spätere Kunst zu der Tragödie des 5. Jahr-
hunderts stellt; völlige Abhängigkeit von der Sagenversion, enger An-
schluſs an die wichtigsten Situationen, aber im Detailkein sklavisches
Nachbeten, keine Beschränkung der frei schaffenden künstlerischen
Phantasie, die zuweilen selbst in die Rechte der Dichtung eingreift.

Aber noch zu einer weiteren Betrachtung ladet unsere Vase
ein. Das Streben, den Mythos in seinem ganzen Verlauf, in jedem
einzelnen Zug vor Augen zu stellen, den Beschauer gleich auf
den weiteren Verlauf hinzuweisen, wie hier durch den Drachen-
wagen, und ihn zugleich an die Vorgeschichte, an zum Teil weit
zurückliegende Ereignisse zu erinnern, wie hier durch die An-
wesenheit der heroisirten Argonauten und die Erscheinung des
Schattens des Aietes geschieht, erinnert es nicht an die ver-

49) O. Jahn a. a. O. und C. Dilthey (Arch. Zeit. 1875 S. 71) glauben eine
nacheuripideische Tragödie als Quelle für diese Einfügung von Aietes’ Schat-
tenbild statuieren zu müssen. Den Keim zu dieser Erfindung ist man ver-
sucht in Eur. Med. v. 31 —33 zu vermuten.
50) Herakles scheint im vierten Jahrhundert durchaus als ein Haupt-
teilnehmer an der Argonautenfahrt betrachtet zu werden; so sehen wir ihn
auch auf der Meidiasvase mit den Argonauten bei den Hesperiden; beiläufig
mag bemerkt werden, daſs dort der Name des sitzenden Königs zweifellos
zu Ἄτλας zu ergänzen ist. Ein engeres Verhältnis zwischen Medeia und He-
rakles besteht bei Diodor IV 54, 6. 55, 4, der, wahrscheinlich nach Dionysios
Skytobrachion (vgl. Welcker Ep. Cyklus I S. 82, Schwartz de Dionysio Scyto-
brachione p. 4 f.), erzählt, daſs Medeia nach dem Kindermord zu Herakles
nach Theben flieht und ihn vom Wahnsinn heilt, eine seltsam pointierte Zu-
sammenstellung des im gottverhängten Wahnsinn zum Kindermörder gewor-
denen Mannes mit dem durch Rachsucht zum Kindermord getriebenen Weibe.
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[40/0054] schauen 49). Allein bedenkt man, mit welch feinem Takt auch im Übrigen der Künstler verfährt, so wird man auch diese Er- findung ihm oder seinem künstlerischen Vorbild wohl zutrauen mögen. Der obere Raum, den nach feststehender Regel dieses Vasenstils die Götter einzunehmen pflegen, wird hier zunächst von der Schützerin und Verfertigerin der Argo, Athena, dann von den zu Göttern gewordenen Argonauten, Herakles 50) und den Dios- kuren ausgefüllt. Diese reiche und durchdachte Composition ist in gewisser Beziehung typisch für die Art und Weise, in welcher sich die gesammte spätere Kunst zu der Tragödie des 5. Jahr- hunderts stellt; völlige Abhängigkeit von der Sagenversion, enger An- schluſs an die wichtigsten Situationen, aber im Detailkein sklavisches Nachbeten, keine Beschränkung der frei schaffenden künstlerischen Phantasie, die zuweilen selbst in die Rechte der Dichtung eingreift. Aber noch zu einer weiteren Betrachtung ladet unsere Vase ein. Das Streben, den Mythos in seinem ganzen Verlauf, in jedem einzelnen Zug vor Augen zu stellen, den Beschauer gleich auf den weiteren Verlauf hinzuweisen, wie hier durch den Drachen- wagen, und ihn zugleich an die Vorgeschichte, an zum Teil weit zurückliegende Ereignisse zu erinnern, wie hier durch die An- wesenheit der heroisirten Argonauten und die Erscheinung des Schattens des Aietes geschieht, erinnert es nicht an die ver- 49) O. Jahn a. a. O. und C. Dilthey (Arch. Zeit. 1875 S. 71) glauben eine nacheuripideische Tragödie als Quelle für diese Einfügung von Aietes’ Schat- tenbild statuieren zu müssen. Den Keim zu dieser Erfindung ist man ver- sucht in Eur. Med. v. 31 —33 zu vermuten. 50) Herakles scheint im vierten Jahrhundert durchaus als ein Haupt- teilnehmer an der Argonautenfahrt betrachtet zu werden; so sehen wir ihn auch auf der Meidiasvase mit den Argonauten bei den Hesperiden; beiläufig mag bemerkt werden, daſs dort der Name des sitzenden Königs zweifellos zu Ἄτλας zu ergänzen ist. Ein engeres Verhältnis zwischen Medeia und He- rakles besteht bei Diodor IV 54, 6. 55, 4, der, wahrscheinlich nach Dionysios Skytobrachion (vgl. Welcker Ep. Cyklus I S. 82, Schwartz de Dionysio Scyto- brachione p. 4 f.), erzählt, daſs Medeia nach dem Kindermord zu Herakles nach Theben flieht und ihn vom Wahnsinn heilt, eine seltsam pointierte Zu- sammenstellung des im gottverhängten Wahnsinn zum Kindermörder gewor- denen Mannes mit dem durch Rachsucht zum Kindermord getriebenen Weibe.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/54>, abgerufen am 24.11.2024.