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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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wandten nur weit naiveren Versuche der archaischen Kunst? Freilich
solche Unzuträglichkeiten, solche Unbestimmtheit in Bezug auf
Ort und Zeit, wie wir sie dort wahrnahmen, sind hier vermieden.
Hier spielt die Scene in und vor dem Königspalast des Kreon,
und ein bestimmter entscheidungsvoller Augenblick ist wohl über-
legt zur Darstellung ausgewählt, ein Augenblick freilich, in
dem gar vielerlei zugleich geschieht, in dem Kreusa, von den
Flammen gequält niedersinkt, ihr Vater sie umfasst, Mutter
und Bruder herbeieilen, in dem Medeia ihr eines Kind tötet,
ein Diener das andere zu flüchten sucht, Iason zur Rache
herbeieilt, Oistros mit dem Drachenwagen naht; denn dass
das Zusammenfallen aller dieser Ereignisse in einen Moment
denkbar ist, wird doch niemand leugnen wollen. Ja, aber auch
nur denkbar. Je länger man sich in die Situation vertieft,
desto weniger glaubt man an die Wahrscheinlichkeit, dass alles
dies sich auch wirklich gleichzeitig ereignet habe -- man sehe
doch nur den Pädagogen, der noch auf dem Rückweg befindlich
auf die sterbende Kreusa hinstarrt, während schon einer seiner
Pflegebefohlenen von der Mutter gemordet wird -- desto mehr
kommt man zu der Ueberzeugung, dass etwas weniger mehr ge-
wesen wäre. Es ist wahr, alle Figuren sind in einer sehr prä-
gnanten Handlung gedacht, die zu den Hauptfiguren in einer engen
Beziehung steht, -- nur die als Zuschauer gedachten Götter er-
scheinen ruhiger, die Dioskuren fast teilnamlos -- aber gerade
hierdurch werden wir verwirrt, die Einzelfiguren greifen nicht
harmonisch in einander, und wenn wir eine Darstellung des
fünften Jahrhunderts damit vergleichen, so werden wir zwar
einen dramatischen Grundton unserer Vase nicht absprechen
können, ja wir werden eine grosse Fähigkeit, heftige Leiden-
schaften wiederzugeben, gerne anerkennen, aber wir werden auch
eingestehen müssen, dass die Kunst in demselben Masse, als sie
an Pathos gewonnen, an Charakteristik verloren hat, und das
sowohl hinsichtlich der Wiedergabe der ganzen Situation als der
einzelnen Figuren.

Und damit berühren wir jene verhängnisvolle Richtung, welche
die Kunst bei der Darstellung mythologischer Scenen zuerst un-

wandten nur weit naiveren Versuche der archaischen Kunst? Freilich
solche Unzuträglichkeiten, solche Unbestimmtheit in Bezug auf
Ort und Zeit, wie wir sie dort wahrnahmen, sind hier vermieden.
Hier spielt die Scene in und vor dem Königspalast des Kreon,
und ein bestimmter entscheidungsvoller Augenblick ist wohl über-
legt zur Darstellung ausgewählt, ein Augenblick freilich, in
dem gar vielerlei zugleich geschieht, in dem Kreusa, von den
Flammen gequält niedersinkt, ihr Vater sie umfaſst, Mutter
und Bruder herbeieilen, in dem Medeia ihr eines Kind tötet,
ein Diener das andere zu flüchten sucht, Iason zur Rache
herbeieilt, Oistros mit dem Drachenwagen naht; denn daſs
das Zusammenfallen aller dieser Ereignisse in einen Moment
denkbar ist, wird doch niemand leugnen wollen. Ja, aber auch
nur denkbar. Je länger man sich in die Situation vertieft,
desto weniger glaubt man an die Wahrscheinlichkeit, daſs alles
dies sich auch wirklich gleichzeitig ereignet habe — man sehe
doch nur den Pädagogen, der noch auf dem Rückweg befindlich
auf die sterbende Kreusa hinstarrt, während schon einer seiner
Pflegebefohlenen von der Mutter gemordet wird — desto mehr
kommt man zu der Ueberzeugung, daſs etwas weniger mehr ge-
wesen wäre. Es ist wahr, alle Figuren sind in einer sehr prä-
gnanten Handlung gedacht, die zu den Hauptfiguren in einer engen
Beziehung steht, — nur die als Zuschauer gedachten Götter er-
scheinen ruhiger, die Dioskuren fast teilnamlos — aber gerade
hierdurch werden wir verwirrt, die Einzelfiguren greifen nicht
harmonisch in einander, und wenn wir eine Darstellung des
fünften Jahrhunderts damit vergleichen, so werden wir zwar
einen dramatischen Grundton unserer Vase nicht absprechen
können, ja wir werden eine groſse Fähigkeit, heftige Leiden-
schaften wiederzugeben, gerne anerkennen, aber wir werden auch
eingestehen müssen, daſs die Kunst in demselben Maſse, als sie
an Pathos gewonnen, an Charakteristik verloren hat, und das
sowohl hinsichtlich der Wiedergabe der ganzen Situation als der
einzelnen Figuren.

Und damit berühren wir jene verhängnisvolle Richtung, welche
die Kunst bei der Darstellung mythologischer Scenen zuerst un-

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[41/0055] wandten nur weit naiveren Versuche der archaischen Kunst? Freilich solche Unzuträglichkeiten, solche Unbestimmtheit in Bezug auf Ort und Zeit, wie wir sie dort wahrnahmen, sind hier vermieden. Hier spielt die Scene in und vor dem Königspalast des Kreon, und ein bestimmter entscheidungsvoller Augenblick ist wohl über- legt zur Darstellung ausgewählt, ein Augenblick freilich, in dem gar vielerlei zugleich geschieht, in dem Kreusa, von den Flammen gequält niedersinkt, ihr Vater sie umfaſst, Mutter und Bruder herbeieilen, in dem Medeia ihr eines Kind tötet, ein Diener das andere zu flüchten sucht, Iason zur Rache herbeieilt, Oistros mit dem Drachenwagen naht; denn daſs das Zusammenfallen aller dieser Ereignisse in einen Moment denkbar ist, wird doch niemand leugnen wollen. Ja, aber auch nur denkbar. Je länger man sich in die Situation vertieft, desto weniger glaubt man an die Wahrscheinlichkeit, daſs alles dies sich auch wirklich gleichzeitig ereignet habe — man sehe doch nur den Pädagogen, der noch auf dem Rückweg befindlich auf die sterbende Kreusa hinstarrt, während schon einer seiner Pflegebefohlenen von der Mutter gemordet wird — desto mehr kommt man zu der Ueberzeugung, daſs etwas weniger mehr ge- wesen wäre. Es ist wahr, alle Figuren sind in einer sehr prä- gnanten Handlung gedacht, die zu den Hauptfiguren in einer engen Beziehung steht, — nur die als Zuschauer gedachten Götter er- scheinen ruhiger, die Dioskuren fast teilnamlos — aber gerade hierdurch werden wir verwirrt, die Einzelfiguren greifen nicht harmonisch in einander, und wenn wir eine Darstellung des fünften Jahrhunderts damit vergleichen, so werden wir zwar einen dramatischen Grundton unserer Vase nicht absprechen können, ja wir werden eine groſse Fähigkeit, heftige Leiden- schaften wiederzugeben, gerne anerkennen, aber wir werden auch eingestehen müssen, daſs die Kunst in demselben Maſse, als sie an Pathos gewonnen, an Charakteristik verloren hat, und das sowohl hinsichtlich der Wiedergabe der ganzen Situation als der einzelnen Figuren. Und damit berühren wir jene verhängnisvolle Richtung, welche die Kunst bei der Darstellung mythologischer Scenen zuerst un-

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/55>, abgerufen am 24.11.2024.