tike Künstler steht also nicht in solcher sklavischen Abhängigkeit von dem Wortlaut des Dichtwerks, wie der moderne Illustrator, er steht selbstbildend, selbstschöpferisch da, und es ist daher sehr wohl denkbar, dass auch durch ein Bildwerk, wie durch eine Dichtung, die Sage umgewandelt und weitergebildet wird.
Der Weg, den ein antiker Mythos an der Hand von Poesie und Kunst wandelt, führt zu Verschlingungen mannigfacher Art. Wie leicht kann es geschehen, dass die bildliche Tradition mit der Sagenvorstellung der Zeitgenossen in Widerspruch gerät; wie wird sich in diesem Fall der bildende Künstler verhalten? wird er der einen oder der anderen rücksichtslos folgen, oder wird er einen Ausgleich versuchen? es wird sich zeigen, dass hier in verschiedenen Perioden anders verfahren wird. Meine Absicht ist, in Kürze die wichtigsten Perioden antiker Kunst und Poesie an unserem Auge vorüberziehen zu lassen und auf die Art hin, wie sich in ihnen Kunst und Poesie verhalten, zu untersuchen.
Dabei ist aber noch ein weiterer Gesichtspunkt in Betracht zu ziehen; nicht nur in der befolgten Sagenform, dem dar- gestellten Gegenstand, zeigt sich der mehr oder minder direkte Einfluss der Poesie auf die Kunst, sondern auch in der Art, wie der Gegenstand behandelt wird, in der Vortragsweise. Es ist eine meines Wissens zuerst von O. Jahn gemachte Beobachtung, dass im Altertum die Poesie nicht nur der Kunst den Stoff giebt, sondern auch formell die Art der Behandlung bestimmt, dass in den ältesten Darstellungen der Heroensage ein epischer Grundton, in den Bildwerken des fünften und vierten Jahrhunderts ein dramatisches Leben, in anderen Werken eine lyrische Stim- mung vorherrscht. Die historische Betrachtungsweise wird auch nach dieser Seite hin die Erscheinungen der einzelnen Perioden zu prüfen haben.
Wir beginnen mit der Periode des Volksliedes und des Volksepos; eine ganze Fülle heroischer Sagen finden in dem
der Dichter hervorgerufen ist, und insofern ist allerdings für jenen Schillers Drama, für diesen Mosens Gedicht die litterarische Quelle.
tike Künstler steht also nicht in solcher sklavischen Abhängigkeit von dem Wortlaut des Dichtwerks, wie der moderne Illustrator, er steht selbstbildend, selbstschöpferisch da, und es ist daher sehr wohl denkbar, daſs auch durch ein Bildwerk, wie durch eine Dichtung, die Sage umgewandelt und weitergebildet wird.
Der Weg, den ein antiker Mythos an der Hand von Poesie und Kunst wandelt, führt zu Verschlingungen mannigfacher Art. Wie leicht kann es geschehen, daſs die bildliche Tradition mit der Sagenvorstellung der Zeitgenossen in Widerspruch gerät; wie wird sich in diesem Fall der bildende Künstler verhalten? wird er der einen oder der anderen rücksichtslos folgen, oder wird er einen Ausgleich versuchen? es wird sich zeigen, daſs hier in verschiedenen Perioden anders verfahren wird. Meine Absicht ist, in Kürze die wichtigsten Perioden antiker Kunst und Poesie an unserem Auge vorüberziehen zu lassen und auf die Art hin, wie sich in ihnen Kunst und Poesie verhalten, zu untersuchen.
Dabei ist aber noch ein weiterer Gesichtspunkt in Betracht zu ziehen; nicht nur in der befolgten Sagenform, dem dar- gestellten Gegenstand, zeigt sich der mehr oder minder direkte Einfluſs der Poesie auf die Kunst, sondern auch in der Art, wie der Gegenstand behandelt wird, in der Vortragsweise. Es ist eine meines Wissens zuerst von O. Jahn gemachte Beobachtung, daſs im Altertum die Poesie nicht nur der Kunst den Stoff giebt, sondern auch formell die Art der Behandlung bestimmt, daſs in den ältesten Darstellungen der Heroensage ein epischer Grundton, in den Bildwerken des fünften und vierten Jahrhunderts ein dramatisches Leben, in anderen Werken eine lyrische Stim- mung vorherrscht. Die historische Betrachtungsweise wird auch nach dieser Seite hin die Erscheinungen der einzelnen Perioden zu prüfen haben.
Wir beginnen mit der Periode des Volksliedes und des Volksepos; eine ganze Fülle heroischer Sagen finden in dem
der Dichter hervorgerufen ist, und insofern ist allerdings für jenen Schillers Drama, für diesen Mosens Gedicht die litterarische Quelle.
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tike Künstler steht also nicht in solcher sklavischen Abhängigkeit
von dem Wortlaut des Dichtwerks, wie der moderne Illustrator,
er steht selbstbildend, selbstschöpferisch da, und es ist daher sehr
wohl denkbar, daſs auch durch ein Bildwerk, wie durch eine
Dichtung, die Sage umgewandelt und weitergebildet wird.
Der Weg, den ein antiker Mythos an der Hand von Poesie
und Kunst wandelt, führt zu Verschlingungen mannigfacher Art.
Wie leicht kann es geschehen, daſs die bildliche Tradition mit
der Sagenvorstellung der Zeitgenossen in Widerspruch gerät;
wie wird sich in diesem Fall der bildende Künstler verhalten?
wird er der einen oder der anderen rücksichtslos folgen, oder
wird er einen Ausgleich versuchen? es wird sich zeigen, daſs
hier in verschiedenen Perioden anders verfahren wird. Meine
Absicht ist, in Kürze die wichtigsten Perioden antiker Kunst
und Poesie an unserem Auge vorüberziehen zu lassen und
auf die Art hin, wie sich in ihnen Kunst und Poesie verhalten,
zu untersuchen.
Dabei ist aber noch ein weiterer Gesichtspunkt in Betracht
zu ziehen; nicht nur in der befolgten Sagenform, dem dar-
gestellten Gegenstand, zeigt sich der mehr oder minder direkte
Einfluſs der Poesie auf die Kunst, sondern auch in der Art, wie
der Gegenstand behandelt wird, in der Vortragsweise. Es ist
eine meines Wissens zuerst von O. Jahn gemachte Beobachtung,
daſs im Altertum die Poesie nicht nur der Kunst den Stoff
giebt, sondern auch formell die Art der Behandlung bestimmt,
daſs in den ältesten Darstellungen der Heroensage ein epischer
Grundton, in den Bildwerken des fünften und vierten Jahrhunderts
ein dramatisches Leben, in anderen Werken eine lyrische Stim-
mung vorherrscht. Die historische Betrachtungsweise wird auch
nach dieser Seite hin die Erscheinungen der einzelnen Perioden
zu prüfen haben.
Wir beginnen mit der Periode des Volksliedes und des
Volksepos; eine ganze Fülle heroischer Sagen finden in dem
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5) der Dichter hervorgerufen ist, und insofern ist allerdings für jenen Schillers
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/25>, abgerufen am 27.07.2024.
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