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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Reinheit bis zu den Tagen des Kaisers Antoninus erhalten habe
und damals von einem eifrigen und pflichtgetreuen Reisenden --
er heisst Pausanias -- aus dem Munde eisgrauer Männlein und
Weiblein aufgezeichnet worden sei; allein dass die grosse Masse
des Volkes in der Kaiserzeit die antiken Sagen nur in der Form
kennt, welche ihnen das attische Drama und die alexandrinische
Poesie gegeben hat, kann keinem aufmerksamen Leser der Lit-
teratur jener Zeit entgehen.

Von dieser wechselnden Volksvorstellung hängt nun der
Künstler ebenso sehr wie von der bildlichen Tradition ab; denn
es ist für den antiken Künstler bezeichnend, dass er äusserst
selten, ja fast nie in unserem heutigen Sinne Illustrationen
schafft 4). Selten nur steht er dem Dichtwerk als solchem gegen-
über, meist der von diesem beeinflussten Volksvorstellung; er
wahrt sich seine völlige künstlerische Freiheit nicht nur im
Hinzufügen und Weglassen einzelner Personen oder einzelner
Umstände, sondern auch in der Neuschöpfung von Scenen und
Situationen, die dem Dichtwerk fremd sind, aber sich aus den
Elementen desselben entwickeln lassen, für die also nichts-
destoweniger das Dichtwerk die eigentliche litterarische Quelle
ist. Es kann dabei vorkommen, dass dem Künstler selbst diese
Abhängigkeit von der Dichtung gar nicht zum Bewusstsein kommt;
sie bleibt deshalb doch in voller Kraft bestehen 5). Der an-

4) Dies betont richtig auch Luckenbach in seiner verdienstlichen Arbeit
"Das Verhältnis der griechischen Vasenbilder zu den Gedichten des epischen
Kyklos" im XI. Supplementband des Jahrb. für classische Philologie S. 493 f.
Die Anschauungen des Verfassers freue ich mich in allen wesentlichen Punk-
ten teilen zu können, wenn ich auch die Erscheinungen etwas anders for-
mulieren und meist auf andere Weise erklären zu müssen glaube, wie es in
der angeführten Schrift geschehen ist.
5) Ein Beispiel aus der unmittelbaren Gegenwart mag das erläutern.
Pilotys Wallenstein auf der Reise von Pilsen nach Eger, Defreggers Hofer
auf seinem letzten Gang sind gewiss keine Illustrationen zu Schillers Wallen-
stein und Mosens Hofer; denn nirgend findet sich dort eine entsprechende
Situation. Dennoch muss behauptet werden, dass beide Maler ihre Bilder
gewiss nicht so gemalt hätten, wenn jene beiden Gedichte nicht existiert hät-
ten. Die Künstler schaffen aus der Anschauung heraus, die durch die Werke

Reinheit bis zu den Tagen des Kaisers Antoninus erhalten habe
und damals von einem eifrigen und pflichtgetreuen Reisenden —
er heiſst Pausanias — aus dem Munde eisgrauer Männlein und
Weiblein aufgezeichnet worden sei; allein daſs die groſse Masse
des Volkes in der Kaiserzeit die antiken Sagen nur in der Form
kennt, welche ihnen das attische Drama und die alexandrinische
Poesie gegeben hat, kann keinem aufmerksamen Leser der Lit-
teratur jener Zeit entgehen.

Von dieser wechselnden Volksvorstellung hängt nun der
Künstler ebenso sehr wie von der bildlichen Tradition ab; denn
es ist für den antiken Künstler bezeichnend, daſs er äuſserst
selten, ja fast nie in unserem heutigen Sinne Illustrationen
schafft 4). Selten nur steht er dem Dichtwerk als solchem gegen-
über, meist der von diesem beeinfluſsten Volksvorstellung; er
wahrt sich seine völlige künstlerische Freiheit nicht nur im
Hinzufügen und Weglassen einzelner Personen oder einzelner
Umstände, sondern auch in der Neuschöpfung von Scenen und
Situationen, die dem Dichtwerk fremd sind, aber sich aus den
Elementen desselben entwickeln lassen, für die also nichts-
destoweniger das Dichtwerk die eigentliche litterarische Quelle
ist. Es kann dabei vorkommen, daſs dem Künstler selbst diese
Abhängigkeit von der Dichtung gar nicht zum Bewuſstsein kommt;
sie bleibt deshalb doch in voller Kraft bestehen 5). Der an-

4) Dies betont richtig auch Luckenbach in seiner verdienstlichen Arbeit
„Das Verhältnis der griechischen Vasenbilder zu den Gedichten des epischen
Kyklos“ im XI. Supplementband des Jahrb. für classische Philologie S. 493 f.
Die Anschauungen des Verfassers freue ich mich in allen wesentlichen Punk-
ten teilen zu können, wenn ich auch die Erscheinungen etwas anders for-
mulieren und meist auf andere Weise erklären zu müssen glaube, wie es in
der angeführten Schrift geschehen ist.
5) Ein Beispiel aus der unmittelbaren Gegenwart mag das erläutern.
Pilotys Wallenstein auf der Reise von Pilsen nach Eger, Defreggers Hofer
auf seinem letzten Gang sind gewiſs keine Illustrationen zu Schillers Wallen-
stein und Mosens Hofer; denn nirgend findet sich dort eine entsprechende
Situation. Dennoch muſs behauptet werden, daſs beide Maler ihre Bilder
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ten. Die Künstler schaffen aus der Anschauung heraus, die durch die Werke
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[10/0024] Reinheit bis zu den Tagen des Kaisers Antoninus erhalten habe und damals von einem eifrigen und pflichtgetreuen Reisenden — er heiſst Pausanias — aus dem Munde eisgrauer Männlein und Weiblein aufgezeichnet worden sei; allein daſs die groſse Masse des Volkes in der Kaiserzeit die antiken Sagen nur in der Form kennt, welche ihnen das attische Drama und die alexandrinische Poesie gegeben hat, kann keinem aufmerksamen Leser der Lit- teratur jener Zeit entgehen. Von dieser wechselnden Volksvorstellung hängt nun der Künstler ebenso sehr wie von der bildlichen Tradition ab; denn es ist für den antiken Künstler bezeichnend, daſs er äuſserst selten, ja fast nie in unserem heutigen Sinne Illustrationen schafft 4). Selten nur steht er dem Dichtwerk als solchem gegen- über, meist der von diesem beeinfluſsten Volksvorstellung; er wahrt sich seine völlige künstlerische Freiheit nicht nur im Hinzufügen und Weglassen einzelner Personen oder einzelner Umstände, sondern auch in der Neuschöpfung von Scenen und Situationen, die dem Dichtwerk fremd sind, aber sich aus den Elementen desselben entwickeln lassen, für die also nichts- destoweniger das Dichtwerk die eigentliche litterarische Quelle ist. Es kann dabei vorkommen, daſs dem Künstler selbst diese Abhängigkeit von der Dichtung gar nicht zum Bewuſstsein kommt; sie bleibt deshalb doch in voller Kraft bestehen 5). Der an- 4) Dies betont richtig auch Luckenbach in seiner verdienstlichen Arbeit „Das Verhältnis der griechischen Vasenbilder zu den Gedichten des epischen Kyklos“ im XI. Supplementband des Jahrb. für classische Philologie S. 493 f. Die Anschauungen des Verfassers freue ich mich in allen wesentlichen Punk- ten teilen zu können, wenn ich auch die Erscheinungen etwas anders for- mulieren und meist auf andere Weise erklären zu müssen glaube, wie es in der angeführten Schrift geschehen ist. 5) Ein Beispiel aus der unmittelbaren Gegenwart mag das erläutern. Pilotys Wallenstein auf der Reise von Pilsen nach Eger, Defreggers Hofer auf seinem letzten Gang sind gewiſs keine Illustrationen zu Schillers Wallen- stein und Mosens Hofer; denn nirgend findet sich dort eine entsprechende Situation. Dennoch muſs behauptet werden, daſs beide Maler ihre Bilder gewiſs nicht so gemalt hätten, wenn jene beiden Gedichte nicht existiert hät- ten. Die Künstler schaffen aus der Anschauung heraus, die durch die Werke

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/24>, abgerufen am 22.11.2024.