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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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der Künstler nur ungenügend rechtfertigen. Das tief innerlich
Entscheidende liegt vielmehr darin, dass bei diesem Anlass
Achilles das Heiligtum des thymbräischen Apollo entweiht, dass
er sich dadurch die persönliche Feindschaft des Gottes zuzieht,
und dass dadurch sein späterer Tod als die Sühnung einer be-
stimmten Schuld moralisch begründet61) wird". Dass diese Be-
ziehung in die Sage einmal hineinkommt, ist ja allgemein
bekannt und längst zugegeben. Es fragt sich nur, ob sie ur-
sprünglich darin liegt und, wenn nicht, wann sie hineingekommen
ist. Dies hängt aber wieder mit der Frage zusammen, wann
und wo Achilleus fällt. Die älteste Stelle Kh 364 weiss von
Achilleus Tod am skäischen Thor; bei Arktinos fällt er, als er
in die Stadt eindringt. Die Fassung des Lesches kennen wir
nicht62), aber die aus seinem Gedicht bezeugte Version vom Streit

hauptung versteigen wollen, dass jenes Drama eines unbekannten Verfassers
die Quelle für die Vase gewesen sei. Wie sollte auch das Stück eines der
unbedeutenderen Tragiker aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts --
denn an Sophokles ist nicht zu denken, da dieser in seinem Troilos den
Kyprien folgte -- einerseits einen so rapiden Einfluss auf die Kunst geübt
haben können, andererseits so populär geblieben sein, dass noch Menandros
Veranlassung genommen hätte, es zu parodieren? Die Sagenform ist also
sowol von dem Vasenmaler wie von jenem unbekannten Dramatiker aus der-
selben älteren, vor dem 5. Jahrh. liegenden Quelle entnommen. Möglich,
dass wir auch hier wieder den Einfluss der Lyrik constatieren müssen; aber
auch die Möglichkeit, dass die Sage aus der kleinen Ilias stammt, ist nicht
ausgeschlossen. Denn für die ersten Partien dieses Epos lässt uns Proklos
bekanntlich im Stich; und die beiden andern Facta, die Plautus und also
auch Menander mit dem Tod des Troilos zusammen nennen, der Raub des
Palladiums und das hölzerne Pferd, kommen ja thatsächlich in der kleinen
Ilias vor.
61) A. d. I. 1858 p. 352 hatte Brunn, wie wir oben sahen, erklärt, dass
Achilleus durch Abweisung der Gesandtschaft der Achaier sich den Zorn der
Götter zuziehe und das dies seinen Tod herbeiführe; er hatte dies benutzt,
um die Zusammenstellung der Gesandtschaft mit Memnons Leiche als Gegen-
bild zu motivieren; hier (Troische Miscellen S. 175) ist es die Entweihung
des thymbräischen Heiligtums, durch die Achilleus eine Schuld auf sich
ladet, welche er durch seinen späteren Tod büsst. Ich constatiere den Wider-
spruch, ohne ihn lösen zu können.
62) Vgl. den Excurs Lesches und Arktinos.

der Künstler nur ungenügend rechtfertigen. Das tief innerlich
Entscheidende liegt vielmehr darin, daſs bei diesem Anlaſs
Achilles das Heiligtum des thymbräischen Apollo entweiht, daſs
er sich dadurch die persönliche Feindschaft des Gottes zuzieht,
und daſs dadurch sein späterer Tod als die Sühnung einer be-
stimmten Schuld moralisch begründet61) wird“. Daſs diese Be-
ziehung in die Sage einmal hineinkommt, ist ja allgemein
bekannt und längst zugegeben. Es fragt sich nur, ob sie ur-
sprünglich darin liegt und, wenn nicht, wann sie hineingekommen
ist. Dies hängt aber wieder mit der Frage zusammen, wann
und wo Achilleus fällt. Die älteste Stelle Χ 364 weiſs von
Achilleus Tod am skäischen Thor; bei Arktinos fällt er, als er
in die Stadt eindringt. Die Fassung des Lesches kennen wir
nicht62), aber die aus seinem Gedicht bezeugte Version vom Streit

hauptung versteigen wollen, daſs jenes Drama eines unbekannten Verfassers
die Quelle für die Vase gewesen sei. Wie sollte auch das Stück eines der
unbedeutenderen Tragiker aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts —
denn an Sophokles ist nicht zu denken, da dieser in seinem Troilos den
Kyprien folgte — einerseits einen so rapiden Einfluſs auf die Kunst geübt
haben können, andererseits so populär geblieben sein, daſs noch Menandros
Veranlassung genommen hätte, es zu parodieren? Die Sagenform ist also
sowol von dem Vasenmaler wie von jenem unbekannten Dramatiker aus der-
selben älteren, vor dem 5. Jahrh. liegenden Quelle entnommen. Möglich,
daſs wir auch hier wieder den Einfluſs der Lyrik constatieren müssen; aber
auch die Möglichkeit, daſs die Sage aus der kleinen Ilias stammt, ist nicht
ausgeschlossen. Denn für die ersten Partien dieses Epos läſst uns Proklos
bekanntlich im Stich; und die beiden andern Facta, die Plautus und also
auch Menander mit dem Tod des Troilos zusammen nennen, der Raub des
Palladiums und das hölzerne Pferd, kommen ja thatsächlich in der kleinen
Ilias vor.
61) A. d. I. 1858 p. 352 hatte Brunn, wie wir oben sahen, erklärt, daſs
Achilleus durch Abweisung der Gesandtschaft der Achaier sich den Zorn der
Götter zuziehe und das dies seinen Tod herbeiführe; er hatte dies benutzt,
um die Zusammenstellung der Gesandtschaft mit Memnons Leiche als Gegen-
bild zu motivieren; hier (Troische Miscellen S. 175) ist es die Entweihung
des thymbräischen Heiligtums, durch die Achilleus eine Schuld auf sich
ladet, welche er durch seinen späteren Tod büſst. Ich constatiere den Wider-
spruch, ohne ihn lösen zu können.
62) Vgl. den Excurs Lesches und Arktinos.
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[126/0140] der Künstler nur ungenügend rechtfertigen. Das tief innerlich Entscheidende liegt vielmehr darin, daſs bei diesem Anlaſs Achilles das Heiligtum des thymbräischen Apollo entweiht, daſs er sich dadurch die persönliche Feindschaft des Gottes zuzieht, und daſs dadurch sein späterer Tod als die Sühnung einer be- stimmten Schuld moralisch begründet 61) wird“. Daſs diese Be- ziehung in die Sage einmal hineinkommt, ist ja allgemein bekannt und längst zugegeben. Es fragt sich nur, ob sie ur- sprünglich darin liegt und, wenn nicht, wann sie hineingekommen ist. Dies hängt aber wieder mit der Frage zusammen, wann und wo Achilleus fällt. Die älteste Stelle Χ 364 weiſs von Achilleus Tod am skäischen Thor; bei Arktinos fällt er, als er in die Stadt eindringt. Die Fassung des Lesches kennen wir nicht 62), aber die aus seinem Gedicht bezeugte Version vom Streit 60) 61) A. d. I. 1858 p. 352 hatte Brunn, wie wir oben sahen, erklärt, daſs Achilleus durch Abweisung der Gesandtschaft der Achaier sich den Zorn der Götter zuziehe und das dies seinen Tod herbeiführe; er hatte dies benutzt, um die Zusammenstellung der Gesandtschaft mit Memnons Leiche als Gegen- bild zu motivieren; hier (Troische Miscellen S. 175) ist es die Entweihung des thymbräischen Heiligtums, durch die Achilleus eine Schuld auf sich ladet, welche er durch seinen späteren Tod büſst. Ich constatiere den Wider- spruch, ohne ihn lösen zu können. 62) Vgl. den Excurs Lesches und Arktinos. 60) hauptung versteigen wollen, daſs jenes Drama eines unbekannten Verfassers die Quelle für die Vase gewesen sei. Wie sollte auch das Stück eines der unbedeutenderen Tragiker aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts — denn an Sophokles ist nicht zu denken, da dieser in seinem Troilos den Kyprien folgte — einerseits einen so rapiden Einfluſs auf die Kunst geübt haben können, andererseits so populär geblieben sein, daſs noch Menandros Veranlassung genommen hätte, es zu parodieren? Die Sagenform ist also sowol von dem Vasenmaler wie von jenem unbekannten Dramatiker aus der- selben älteren, vor dem 5. Jahrh. liegenden Quelle entnommen. Möglich, daſs wir auch hier wieder den Einfluſs der Lyrik constatieren müssen; aber auch die Möglichkeit, daſs die Sage aus der kleinen Ilias stammt, ist nicht ausgeschlossen. Denn für die ersten Partien dieses Epos läſst uns Proklos bekanntlich im Stich; und die beiden andern Facta, die Plautus und also auch Menander mit dem Tod des Troilos zusammen nennen, der Raub des Palladiums und das hölzerne Pferd, kommen ja thatsächlich in der kleinen Ilias vor.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/140>, abgerufen am 02.05.2024.