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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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alt, und einzelne Stellen der Ilias (S 84. 432) lassen auch schliessen,
dass sie poetisch in einem Liede behandelt war; aber bei dem
Schweigen des Proklos ist es fraglich, ob und in welcher Weise
der Verfasser der Kyprien das Lied benutzt habe; er konnte
den Ringkampf gerade so gut ignorieren, wie es der Dichter von
O 60 thut, einer Stelle, die vielleicht jünger als die Kyprien und
mit direkter Beziehung auf dieselben gedichtet ist. Und das
Urteil des Paris? ob sich die Vasenmaler dabei wirklich der
Beratschlagung der Themis und des Zeus aus dem Proömium
der Kyprien erinnert haben? Sonderbar, mit Figuren geizt doch
gerade die archaische Kunst nicht, aber niemals sind Zeus und
Themis zugegen, wie man doch erwarten sollte, wenn die
Vasenmaler an jene Episode, durch welche das Parisurteil
zum "Knotenpunkt der Sage" wird, gedacht hätten. Erst
auf Vasen des vierten Jahrhunderts finden wir beide gegen-
wärtig59), aber inzwischen hatte auch Euripides (Helena 40.
Orest. 1642) die Erinnerung an jene Stelle aufgefrischt. Und
endlich Troilos: "Für den äusseren Verlauf des Krieges, sagt
Brunn, bildet des Troilos' Tod doch nur eine Episode ohne nach-
haltige Bedeutung. Selbst die Angabe, dass das Schicksal Trojas
mit dem Tode des Troilos vor erreichter Mannbarkeit aufs Engste
verknüpft war60), würde die Bevorzugung dieser Scene von Seiten

59) Stephani C. R. 1861 T. 3. Wiener Vorlegebl. Ser. A. T. XI.
60) Brunn meint offenbar die aus Plautus Bacchides 954 bekannte Version,
die aber den Tod des Troilos konsequenter Weise an eine ganz andere Stelle,
nämlich nach dem des Hektor, verlegt, also von der Erzählung der Kyprien
total verschieden ist. Zuletzt hat Kiessling in den Analecta Plautina (ind. schol.
Gryph. 1878 p. 16) scharfsinnig diese Sagenform behandelt. Überzeugend wird
dort nachgewiesen, dass jenes Spielen mit der troischen Sage Plautus bereits
in seiner Vorlage, dem Dis exapaton des Menandros, vorfand, und dass Letzterer
damit dieselbe griechische Tragödie parodierte, welche das Vorbild für die
Andromacha aechmalotis des Ennius gewesen ist, und mit Recht wird darauf
hingewiesen, dass dieselbe Sagenversion auf dem von O. Jahn (Telephos und
Troilos und kein Ende. Taf. 2) und Schreiber (M. d. I. X 22, 2) publicierten rot-
figurigen Vasenbilde strengen Stiles vorliege. Allein mag man nun die von mir
vertretene Anschauung, dass auf Vasen des fünften Jahrhunderts die jungen
vom gleichzeitigen Drama geschaffenen Sagenformen noch nicht vorkommen,
teilen oder nicht, in diesem Falle wird wohl niemand sich zu der Be-

alt, und einzelne Stellen der Ilias (Σ 84. 432) lassen auch schlieſsen,
daſs sie poetisch in einem Liede behandelt war; aber bei dem
Schweigen des Proklos ist es fraglich, ob und in welcher Weise
der Verfasser der Kyprien das Lied benutzt habe; er konnte
den Ringkampf gerade so gut ignorieren, wie es der Dichter von
Ω 60 thut, einer Stelle, die vielleicht jünger als die Kyprien und
mit direkter Beziehung auf dieselben gedichtet ist. Und das
Urteil des Paris? ob sich die Vasenmaler dabei wirklich der
Beratschlagung der Themis und des Zeus aus dem Proömium
der Kyprien erinnert haben? Sonderbar, mit Figuren geizt doch
gerade die archaische Kunst nicht, aber niemals sind Zeus und
Themis zugegen, wie man doch erwarten sollte, wenn die
Vasenmaler an jene Episode, durch welche das Parisurteil
zum „Knotenpunkt der Sage“ wird, gedacht hätten. Erst
auf Vasen des vierten Jahrhunderts finden wir beide gegen-
wärtig59), aber inzwischen hatte auch Euripides (Helena 40.
Orest. 1642) die Erinnerung an jene Stelle aufgefrischt. Und
endlich Troilos: „Für den äuſseren Verlauf des Krieges, sagt
Brunn, bildet des Troilos’ Tod doch nur eine Episode ohne nach-
haltige Bedeutung. Selbst die Angabe, daſs das Schicksal Trojas
mit dem Tode des Troilos vor erreichter Mannbarkeit aufs Engste
verknüpft war60), würde die Bevorzugung dieser Scene von Seiten

59) Stephani C. R. 1861 T. 3. Wiener Vorlegebl. Ser. A. T. XI.
60) Brunn meint offenbar die aus Plautus Bacchides 954 bekannte Version,
die aber den Tod des Troilos konsequenter Weise an eine ganz andere Stelle,
nämlich nach dem des Hektor, verlegt, also von der Erzählung der Kyprien
total verschieden ist. Zuletzt hat Kieſsling in den Analecta Plautina (ind. schol.
Gryph. 1878 p. 16) scharfsinnig diese Sagenform behandelt. Überzeugend wird
dort nachgewiesen, daſs jenes Spielen mit der troischen Sage Plautus bereits
in seiner Vorlage, dem Δὶς ἐξαπατῶν des Menandros, vorfand, und daſs Letzterer
damit dieselbe griechische Tragödie parodierte, welche das Vorbild für die
Andromacha aechmalotis des Ennius gewesen ist, und mit Recht wird darauf
hingewiesen, daſs dieselbe Sagenversion auf dem von O. Jahn (Telephos und
Troilos und kein Ende. Taf. 2) und Schreiber (M. d. I. X 22, 2) publicierten rot-
figurigen Vasenbilde strengen Stiles vorliege. Allein mag man nun die von mir
vertretene Anschauung, daſs auf Vasen des fünften Jahrhunderts die jungen
vom gleichzeitigen Drama geschaffenen Sagenformen noch nicht vorkommen,
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[125/0139] alt, und einzelne Stellen der Ilias (Σ 84. 432) lassen auch schlieſsen, daſs sie poetisch in einem Liede behandelt war; aber bei dem Schweigen des Proklos ist es fraglich, ob und in welcher Weise der Verfasser der Kyprien das Lied benutzt habe; er konnte den Ringkampf gerade so gut ignorieren, wie es der Dichter von Ω 60 thut, einer Stelle, die vielleicht jünger als die Kyprien und mit direkter Beziehung auf dieselben gedichtet ist. Und das Urteil des Paris? ob sich die Vasenmaler dabei wirklich der Beratschlagung der Themis und des Zeus aus dem Proömium der Kyprien erinnert haben? Sonderbar, mit Figuren geizt doch gerade die archaische Kunst nicht, aber niemals sind Zeus und Themis zugegen, wie man doch erwarten sollte, wenn die Vasenmaler an jene Episode, durch welche das Parisurteil zum „Knotenpunkt der Sage“ wird, gedacht hätten. Erst auf Vasen des vierten Jahrhunderts finden wir beide gegen- wärtig 59), aber inzwischen hatte auch Euripides (Helena 40. Orest. 1642) die Erinnerung an jene Stelle aufgefrischt. Und endlich Troilos: „Für den äuſseren Verlauf des Krieges, sagt Brunn, bildet des Troilos’ Tod doch nur eine Episode ohne nach- haltige Bedeutung. Selbst die Angabe, daſs das Schicksal Trojas mit dem Tode des Troilos vor erreichter Mannbarkeit aufs Engste verknüpft war 60), würde die Bevorzugung dieser Scene von Seiten 59) Stephani C. R. 1861 T. 3. Wiener Vorlegebl. Ser. A. T. XI. 60) Brunn meint offenbar die aus Plautus Bacchides 954 bekannte Version, die aber den Tod des Troilos konsequenter Weise an eine ganz andere Stelle, nämlich nach dem des Hektor, verlegt, also von der Erzählung der Kyprien total verschieden ist. Zuletzt hat Kieſsling in den Analecta Plautina (ind. schol. Gryph. 1878 p. 16) scharfsinnig diese Sagenform behandelt. Überzeugend wird dort nachgewiesen, daſs jenes Spielen mit der troischen Sage Plautus bereits in seiner Vorlage, dem Δὶς ἐξαπατῶν des Menandros, vorfand, und daſs Letzterer damit dieselbe griechische Tragödie parodierte, welche das Vorbild für die Andromacha aechmalotis des Ennius gewesen ist, und mit Recht wird darauf hingewiesen, daſs dieselbe Sagenversion auf dem von O. Jahn (Telephos und Troilos und kein Ende. Taf. 2) und Schreiber (M. d. I. X 22, 2) publicierten rot- figurigen Vasenbilde strengen Stiles vorliege. Allein mag man nun die von mir vertretene Anschauung, daſs auf Vasen des fünften Jahrhunderts die jungen vom gleichzeitigen Drama geschaffenen Sagenformen noch nicht vorkommen, teilen oder nicht, in diesem Falle wird wohl niemand sich zu der Be-

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/139>, abgerufen am 24.11.2024.