Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Erstes Kapitel. Im Jahre 1594 hatte der Stadtschreiber von Nördlingen einen seltsamen Besuch. Ein etwa zwanzigjähriger, baumstarker fremder Bursche, verwahrlos't und zerlumpt, kam eines Morgens auf die Amtsstube, pflanzte sich ohne Gruß dem Schreiber gegenüber und starrte ihn schweigend an. Auf die barsche Frage: Was willst du? antwortete er eben so barsch: Einen Strick! Der Stadtschreiber sagte, da sei er fehlgegangen, der Seiler wohne links um die Ecke. Der Bursche aber erwiderte, den Seiler brauche er nicht, sondern den Henker; er wolle gehenkt sein. Dem Stadtschreiber gruselte es, denn er glaubte, der fremde Kerl sei verrückt. Er rief daher einen handfesten Knecht herbei, ehe er das wunderliche Gespräch weiter führte. Der Fremde bekannte sich nun als einen heimathlosen Landstreicher, von seinen Genossen Jörg Muckenhuber geheißen, und da seine Sprache aus eben so vielen Lappen von allerlei Mundart zusammengeflickt war, wie sein Rock aus alten Tuchlappen, so mußte Erstes Kapitel. Im Jahre 1594 hatte der Stadtschreiber von Nördlingen einen seltsamen Besuch. Ein etwa zwanzigjähriger, baumstarker fremder Bursche, verwahrlos't und zerlumpt, kam eines Morgens auf die Amtsstube, pflanzte sich ohne Gruß dem Schreiber gegenüber und starrte ihn schweigend an. Auf die barsche Frage: Was willst du? antwortete er eben so barsch: Einen Strick! Der Stadtschreiber sagte, da sei er fehlgegangen, der Seiler wohne links um die Ecke. Der Bursche aber erwiderte, den Seiler brauche er nicht, sondern den Henker; er wolle gehenkt sein. Dem Stadtschreiber gruselte es, denn er glaubte, der fremde Kerl sei verrückt. Er rief daher einen handfesten Knecht herbei, ehe er das wunderliche Gespräch weiter führte. Der Fremde bekannte sich nun als einen heimathlosen Landstreicher, von seinen Genossen Jörg Muckenhuber geheißen, und da seine Sprache aus eben so vielen Lappen von allerlei Mundart zusammengeflickt war, wie sein Rock aus alten Tuchlappen, so mußte <TEI> <text> <pb facs="#f0007"/> <body> <div type="chapter" n="1"> <head>Erstes Kapitel.</head> <p>Im Jahre 1594 hatte der Stadtschreiber von Nördlingen einen seltsamen Besuch. Ein etwa zwanzigjähriger, baumstarker fremder Bursche, verwahrlos't und zerlumpt, kam eines Morgens auf die Amtsstube, pflanzte sich ohne Gruß dem Schreiber gegenüber und starrte ihn schweigend an.</p><lb/> <p>Auf die barsche Frage: Was willst du? antwortete er eben so barsch: Einen Strick!</p><lb/> <p>Der Stadtschreiber sagte, da sei er fehlgegangen, der Seiler wohne links um die Ecke. Der Bursche aber erwiderte, den Seiler brauche er nicht, sondern den Henker; er wolle gehenkt sein. Dem Stadtschreiber gruselte es, denn er glaubte, der fremde Kerl sei verrückt. Er rief daher einen handfesten Knecht herbei, ehe er das wunderliche Gespräch weiter führte.</p><lb/> <p>Der Fremde bekannte sich nun als einen heimathlosen Landstreicher, von seinen Genossen Jörg Muckenhuber geheißen, und da seine Sprache aus eben so vielen Lappen von allerlei Mundart zusammengeflickt war, wie sein Rock aus alten Tuchlappen, so mußte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0007]
Erstes Kapitel. Im Jahre 1594 hatte der Stadtschreiber von Nördlingen einen seltsamen Besuch. Ein etwa zwanzigjähriger, baumstarker fremder Bursche, verwahrlos't und zerlumpt, kam eines Morgens auf die Amtsstube, pflanzte sich ohne Gruß dem Schreiber gegenüber und starrte ihn schweigend an.
Auf die barsche Frage: Was willst du? antwortete er eben so barsch: Einen Strick!
Der Stadtschreiber sagte, da sei er fehlgegangen, der Seiler wohne links um die Ecke. Der Bursche aber erwiderte, den Seiler brauche er nicht, sondern den Henker; er wolle gehenkt sein. Dem Stadtschreiber gruselte es, denn er glaubte, der fremde Kerl sei verrückt. Er rief daher einen handfesten Knecht herbei, ehe er das wunderliche Gespräch weiter führte.
Der Fremde bekannte sich nun als einen heimathlosen Landstreicher, von seinen Genossen Jörg Muckenhuber geheißen, und da seine Sprache aus eben so vielen Lappen von allerlei Mundart zusammengeflickt war, wie sein Rock aus alten Tuchlappen, so mußte
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Zitationshilfe: | Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/7>, abgerufen am 16.02.2025. |