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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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Die Arabeske.
die Blume in der Einrollung einer Akanthusranke Fig. 194.) Diese Be-
wegung gestaltet sich mitunter sehr lebhaft, wie in Fig. 182, wo die
Akanthushalbblätter weder streng symmetrisch gruppirt sind, noch nach
der gleichen Richtung weisen, sondern auf und ab und durcheinander
geschlagen erscheinen77).

Eine sehr häufig wiederkehrende Form zeigt Fig. 183. Im Grunde
haben wir da nichts Anderes, als ein Akanthushalbblatt mit umge-
klappten Seiten, aus einem akanthusartig gegliederten Volutenkelch
emporsteigend.

Nach der vollzogenen Erörterung der Fig. 180--183 wird es nicht
mehr schwer sein, die entsprechenden Bildungen in Fig. 18478) in ihrer
Wesenheit zu erkennen. Am häufigsten begegnen uns hier Dreiblätter in
akanthisirender Stilisirung: sowohl am Volutenkelch als am krönenden,

[Abbildung] Fig. 184.

Kopfleiste aus einer byzantinischen Miniaturhandschrift des 10. Jahrh.

etwas ausgeschweiften Blättchen. Dieses Dreiblatt vereinigt also in
sich die typischen Eigenschaften des saracenischen Pflanzenornaments:
geometrische Umrisse bei vegetabilischer Detailbehandlung. Auch
Fig. 183 erscheint hienach bloss als eine reichere und üppigere Aus-
gestaltung eines solchen akanthisirenden Dreiblatts. Im mittleren Rund

77) Da es in der Absicht dieses Kapitels nicht liegen kann, alle Erschei-
nungen der ausgebildeten saracenischen Dekorationsflora zu erklären, will ich
gleich bei dieser Gelegenheit bemerken, dass die kapriciöse Art der Blattbe-
handlung gleich Fig. 182 gleichfalls von der saracenischen Kunst übernommen
worden ist, wie zahlreiche Teppiche, Miniaturen und Fliesen aus dem späteren
Mittelalter und der beginnenden Neuzeit beweisen. Ich knüpfe daran eine
Selbstberichtigung, da ich im Jahrbuch der Kunstsammlungen des Aller-
höchsten Kaiserhauses Band XIII S. 303 die Meinung ausgesprochen habe, jene
eigenthümliche Blattbehandlung wäre auf chinesische Einflüsse zurückzu-
führen. Nun mir der wahre Sachverhalt klar geworden ist, vermag ich die
gleiche Tendenz auch in der Bildung der Blattränder zahlreicher Arabesken-
motive des 14. und 15. Jahrh. zu erkennen.
78) Nach Stassoff a. a. O. Taf. 124, 17.

Die Arabeske.
die Blume in der Einrollung einer Akanthusranke Fig. 194.) Diese Be-
wegung gestaltet sich mitunter sehr lebhaft, wie in Fig. 182, wo die
Akanthushalbblätter weder streng symmetrisch gruppirt sind, noch nach
der gleichen Richtung weisen, sondern auf und ab und durcheinander
geschlagen erscheinen77).

Eine sehr häufig wiederkehrende Form zeigt Fig. 183. Im Grunde
haben wir da nichts Anderes, als ein Akanthushalbblatt mit umge-
klappten Seiten, aus einem akanthusartig gegliederten Volutenkelch
emporsteigend.

Nach der vollzogenen Erörterung der Fig. 180—183 wird es nicht
mehr schwer sein, die entsprechenden Bildungen in Fig. 18478) in ihrer
Wesenheit zu erkennen. Am häufigsten begegnen uns hier Dreiblätter in
akanthisirender Stilisirung: sowohl am Volutenkelch als am krönenden,

[Abbildung] Fig. 184.

Kopfleiste aus einer byzantinischen Miniaturhandschrift des 10. Jahrh.

etwas ausgeschweiften Blättchen. Dieses Dreiblatt vereinigt also in
sich die typischen Eigenschaften des saracenischen Pflanzenornaments:
geometrische Umrisse bei vegetabilischer Detailbehandlung. Auch
Fig. 183 erscheint hienach bloss als eine reichere und üppigere Aus-
gestaltung eines solchen akanthisirenden Dreiblatts. Im mittleren Rund

77) Da es in der Absicht dieses Kapitels nicht liegen kann, alle Erschei-
nungen der ausgebildeten saracenischen Dekorationsflora zu erklären, will ich
gleich bei dieser Gelegenheit bemerken, dass die kapriciöse Art der Blattbe-
handlung gleich Fig. 182 gleichfalls von der saracenischen Kunst übernommen
worden ist, wie zahlreiche Teppiche, Miniaturen und Fliesen aus dem späteren
Mittelalter und der beginnenden Neuzeit beweisen. Ich knüpfe daran eine
Selbstberichtigung, da ich im Jahrbuch der Kunstsammlungen des Aller-
höchsten Kaiserhauses Band XIII S. 303 die Meinung ausgesprochen habe, jene
eigenthümliche Blattbehandlung wäre auf chinesische Einflüsse zurückzu-
führen. Nun mir der wahre Sachverhalt klar geworden ist, vermag ich die
gleiche Tendenz auch in der Bildung der Blattränder zahlreicher Arabesken-
motive des 14. und 15. Jahrh. zu erkennen.
78) Nach Stassoff a. a. O. Taf. 124, 17.
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[328/0354] Die Arabeske. die Blume in der Einrollung einer Akanthusranke Fig. 194.) Diese Be- wegung gestaltet sich mitunter sehr lebhaft, wie in Fig. 182, wo die Akanthushalbblätter weder streng symmetrisch gruppirt sind, noch nach der gleichen Richtung weisen, sondern auf und ab und durcheinander geschlagen erscheinen 77). Eine sehr häufig wiederkehrende Form zeigt Fig. 183. Im Grunde haben wir da nichts Anderes, als ein Akanthushalbblatt mit umge- klappten Seiten, aus einem akanthusartig gegliederten Volutenkelch emporsteigend. Nach der vollzogenen Erörterung der Fig. 180—183 wird es nicht mehr schwer sein, die entsprechenden Bildungen in Fig. 184 78) in ihrer Wesenheit zu erkennen. Am häufigsten begegnen uns hier Dreiblätter in akanthisirender Stilisirung: sowohl am Volutenkelch als am krönenden, [Abbildung Fig. 184. Kopfleiste aus einer byzantinischen Miniaturhandschrift des 10. Jahrh.] etwas ausgeschweiften Blättchen. Dieses Dreiblatt vereinigt also in sich die typischen Eigenschaften des saracenischen Pflanzenornaments: geometrische Umrisse bei vegetabilischer Detailbehandlung. Auch Fig. 183 erscheint hienach bloss als eine reichere und üppigere Aus- gestaltung eines solchen akanthisirenden Dreiblatts. Im mittleren Rund 77) Da es in der Absicht dieses Kapitels nicht liegen kann, alle Erschei- nungen der ausgebildeten saracenischen Dekorationsflora zu erklären, will ich gleich bei dieser Gelegenheit bemerken, dass die kapriciöse Art der Blattbe- handlung gleich Fig. 182 gleichfalls von der saracenischen Kunst übernommen worden ist, wie zahlreiche Teppiche, Miniaturen und Fliesen aus dem späteren Mittelalter und der beginnenden Neuzeit beweisen. Ich knüpfe daran eine Selbstberichtigung, da ich im Jahrbuch der Kunstsammlungen des Aller- höchsten Kaiserhauses Band XIII S. 303 die Meinung ausgesprochen habe, jene eigenthümliche Blattbehandlung wäre auf chinesische Einflüsse zurückzu- führen. Nun mir der wahre Sachverhalt klar geworden ist, vermag ich die gleiche Tendenz auch in der Bildung der Blattränder zahlreicher Arabesken- motive des 14. und 15. Jahrh. zu erkennen. 78) Nach Stassoff a. a. O. Taf. 124, 17.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/354>, abgerufen am 05.12.2024.