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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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2. Frühsaracenische Rankenornamentik.
bekannt gewordenen Pflanzenrankenornament byzantinischer Her-
kunft besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben, da dasselbe eben
die letzte Phase gemeinsamer byzantinisch-saracenischer und zugleich
den Ausgangspunkt für die erste Phase einer rein saracenischen Orna-
mentik repräsentirt. Am besten unterrichtet sind wir über das Kunst-
schaffen dieser Zeit im byzantinischen Reiche aus Miniaturhandschriften,
deren Pflege man damals augenscheinlich ganz besonders zugewandt
war. Die ornamentale Ausstattung der Bücher religiösen Inhalts war
in der Regel eine sehr reiche und buntfarbige. Als maassgebendstes
Element tritt uns hiebei das uns im Besonderen beschäftigende, das
vegetabilische entgegen, und zwar sind es die Blüthenformen, die
den charakteristischen Theil dieser Ornamentik ausmachen.

Es sind dies Kombinationen von Akanthusblättern, wie wir
solche schon seit pompejanischer Zeit (S. 325) kennen gelernt haben.
Fig. 180 zeigt die einfachste und vulgärste, auch in der romanischen

[Abbildung] Fig. 180. Fig. 181. Fig. 182. Fig. 183.

Byzantinische Blüthenbildungen aus Akanthus.

Kunst des Abendlandes weit verbreitete Form: den Akanthuskelch. Zwei
der Hälfte nach zusammengeklappte Akanthushalbblätter (Fig. 177,
161--163) treten da zu einem Kelch zusammen. Damit haben wir das
nackte Schema gegeben; die sozusagen lebendige Ausführung in Mini-
aturmalerei zeigt Fig. 18076). Hier erscheint der Kelch gemustert mit
kleinen Doppelschraffen, und versehen mit einem Zwickelabschluss, den
das mittelalterliche Kunstgefühl nicht minder wie das antike fortgesetzt
verlangte.

Komplicirtere Formen zeigen Fig. 181 und 182. An ersterer ge-
wahren wir zu unterst einen Kelch ähnlich Fig. 180, darüber einen
zweiten, dessen obere Ränder volutenartig nach abwärts umgeschlagen
sind. Dazu kommen wieder füllende Schraffen und Zwickelabschlüsse.
Charakteristisch ist die Neigung zum Umklappen, Einschlagen der
Ränder, und zu geschweifter Bewegung der Blattspitzen. (Vgl. auch

76) Fig. 180--183 nach Stassoff a. a. O. Taf. 124 No. 24, aus einer Hand-
schrift des XI. Jahrhdts.

2. Frühsaracenische Rankenornamentik.
bekannt gewordenen Pflanzenrankenornament byzantinischer Her-
kunft besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben, da dasselbe eben
die letzte Phase gemeinsamer byzantinisch-saracenischer und zugleich
den Ausgangspunkt für die erste Phase einer rein saracenischen Orna-
mentik repräsentirt. Am besten unterrichtet sind wir über das Kunst-
schaffen dieser Zeit im byzantinischen Reiche aus Miniaturhandschriften,
deren Pflege man damals augenscheinlich ganz besonders zugewandt
war. Die ornamentale Ausstattung der Bücher religiösen Inhalts war
in der Regel eine sehr reiche und buntfarbige. Als maassgebendstes
Element tritt uns hiebei das uns im Besonderen beschäftigende, das
vegetabilische entgegen, und zwar sind es die Blüthenformen, die
den charakteristischen Theil dieser Ornamentik ausmachen.

Es sind dies Kombinationen von Akanthusblättern, wie wir
solche schon seit pompejanischer Zeit (S. 325) kennen gelernt haben.
Fig. 180 zeigt die einfachste und vulgärste, auch in der romanischen

[Abbildung] Fig. 180. Fig. 181. Fig. 182. Fig. 183.

Byzantinische Blüthenbildungen aus Akanthus.

Kunst des Abendlandes weit verbreitete Form: den Akanthuskelch. Zwei
der Hälfte nach zusammengeklappte Akanthushalbblätter (Fig. 177,
161—163) treten da zu einem Kelch zusammen. Damit haben wir das
nackte Schema gegeben; die sozusagen lebendige Ausführung in Mini-
aturmalerei zeigt Fig. 18076). Hier erscheint der Kelch gemustert mit
kleinen Doppelschraffen, und versehen mit einem Zwickelabschluss, den
das mittelalterliche Kunstgefühl nicht minder wie das antike fortgesetzt
verlangte.

Komplicirtere Formen zeigen Fig. 181 und 182. An ersterer ge-
wahren wir zu unterst einen Kelch ähnlich Fig. 180, darüber einen
zweiten, dessen obere Ränder volutenartig nach abwärts umgeschlagen
sind. Dazu kommen wieder füllende Schraffen und Zwickelabschlüsse.
Charakteristisch ist die Neigung zum Umklappen, Einschlagen der
Ränder, und zu geschweifter Bewegung der Blattspitzen. (Vgl. auch

76) Fig. 180—183 nach Stassoff a. a. O. Taf. 124 No. 24, aus einer Hand-
schrift des XI. Jahrhdts.
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[327/0353] 2. Frühsaracenische Rankenornamentik. bekannt gewordenen Pflanzenrankenornament byzantinischer Her- kunft besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben, da dasselbe eben die letzte Phase gemeinsamer byzantinisch-saracenischer und zugleich den Ausgangspunkt für die erste Phase einer rein saracenischen Orna- mentik repräsentirt. Am besten unterrichtet sind wir über das Kunst- schaffen dieser Zeit im byzantinischen Reiche aus Miniaturhandschriften, deren Pflege man damals augenscheinlich ganz besonders zugewandt war. Die ornamentale Ausstattung der Bücher religiösen Inhalts war in der Regel eine sehr reiche und buntfarbige. Als maassgebendstes Element tritt uns hiebei das uns im Besonderen beschäftigende, das vegetabilische entgegen, und zwar sind es die Blüthenformen, die den charakteristischen Theil dieser Ornamentik ausmachen. Es sind dies Kombinationen von Akanthusblättern, wie wir solche schon seit pompejanischer Zeit (S. 325) kennen gelernt haben. Fig. 180 zeigt die einfachste und vulgärste, auch in der romanischen [Abbildung Fig. 180. Fig. 181. Fig. 182. Fig. 183. Byzantinische Blüthenbildungen aus Akanthus.] Kunst des Abendlandes weit verbreitete Form: den Akanthuskelch. Zwei der Hälfte nach zusammengeklappte Akanthushalbblätter (Fig. 177, 161—163) treten da zu einem Kelch zusammen. Damit haben wir das nackte Schema gegeben; die sozusagen lebendige Ausführung in Mini- aturmalerei zeigt Fig. 180 76). Hier erscheint der Kelch gemustert mit kleinen Doppelschraffen, und versehen mit einem Zwickelabschluss, den das mittelalterliche Kunstgefühl nicht minder wie das antike fortgesetzt verlangte. Komplicirtere Formen zeigen Fig. 181 und 182. An ersterer ge- wahren wir zu unterst einen Kelch ähnlich Fig. 180, darüber einen zweiten, dessen obere Ränder volutenartig nach abwärts umgeschlagen sind. Dazu kommen wieder füllende Schraffen und Zwickelabschlüsse. Charakteristisch ist die Neigung zum Umklappen, Einschlagen der Ränder, und zu geschweifter Bewegung der Blattspitzen. (Vgl. auch 76) Fig. 180—183 nach Stassoff a. a. O. Taf. 124 No. 24, aus einer Hand- schrift des XI. Jahrhdts.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/353>, abgerufen am 05.05.2024.