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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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Die Arabeske.
Ranke, welche in der zuletzt erörterten Halbpalmette endigt, entsendet
kurz vorher einen unfreien Halbblattfächer, der die Hauptranke durch-
schneidet und mit einem gleichartigen Gegenüber in symmetrischer
Paarung zusammentritt, so wie wir es zu wiederholten Malen an Halb-
palmetten beobachtet haben, die zu gesprengten Palmetten zusammen-
traten. Dieses echt "arabeske" Motiv tritt gleich den früher erwähnten
in der Gesammtwirkung nur deshalb zurück, weil die akanthisirende
Bildung der Details den Eindruck vornehmlich beherrscht.

Da die Inschrift des Kästchens (Fig. 175) den Namen eines spani-
schen Khalifen nennt, so erscheint die Herkunft desselben aus spanisch-
maurischem Kunstgebiet ziemlich sichergestellt. Da
ist es nun gewiss lehrreich zu sehen, dass die christ-
lich-spanische Kunst sich der gleichen Stilisirung des
Akanthus bediente Den Nachweis hiefür möge Fig. 176
bieten. Wir sehen da einen gerade aufgesprossten
Stamm, von dem rechts und links in symmetrischer
Paarung je zwei Akanthushalbblätter abzweigen. Die
Blätter zunächst dem Stamme sind deutlich voluten-
artig eingerollt, aber ebenso wie die übrigen Blatt-
theile fein gefiedert. Die Bekrönung bildet eine fünf-
spaltige Palmette, die von den zwei Halbfächern einer
gesprengten Palmette eingerahmt erscheint, Die akan-
thisirende Bedeutung ist auch hier durch die tiefen

[Abbildung] Fig. 176.
Einziehungen zwischen den einzelnen Blattgliedern
sichergestellt, und die Konturen durchweg in der gleichen feinen Weise
gefiedert, wie in Fig. 174 und 175, und ausserdem von einer glatten
Umrisslinie umzogen, worin wir mindestens kein unsaracenisches Mo-
ment zu erkennen vermögen. Endlich zeigt auch der fünfblättrige
Fächer, aus dem der Stamm emporwächst, die erörterte akanthisirende
Behandlung.

Fig. 176 ist entlehnt aus dem Codex Vigilanus im Escurial, und
zwar von einem Blatte mit bildlichen Darstellungen, deren Beischriften
im paläographischen Charakter noch stark kursive Elemente aufweisen
und daher nicht unter das 9. Jahrh. herabgerückt werden können, und
somit gewiss jünger sind, als die Kästchen Fig. 174 und 175. Was aber
der Fig. 176 besondere Wichtigkeit verleiht, ist die Beischrift "arbor",
die bei ihren Wiederholungen mehrfach wiederkehrt. Es ist also sozu-
sagen der "Idealbaum", den sich die spanischen Miniaturisten der
Karolingischen Zeit unter solchen mit Akanthusblättern besetzten Ge-

Die Arabeske.
Ranke, welche in der zuletzt erörterten Halbpalmette endigt, entsendet
kurz vorher einen unfreien Halbblattfächer, der die Hauptranke durch-
schneidet und mit einem gleichartigen Gegenüber in symmetrischer
Paarung zusammentritt, so wie wir es zu wiederholten Malen an Halb-
palmetten beobachtet haben, die zu gesprengten Palmetten zusammen-
traten. Dieses echt „arabeske“ Motiv tritt gleich den früher erwähnten
in der Gesammtwirkung nur deshalb zurück, weil die akanthisirende
Bildung der Details den Eindruck vornehmlich beherrscht.

Da die Inschrift des Kästchens (Fig. 175) den Namen eines spani-
schen Khalifen nennt, so erscheint die Herkunft desselben aus spanisch-
maurischem Kunstgebiet ziemlich sichergestellt. Da
ist es nun gewiss lehrreich zu sehen, dass die christ-
lich-spanische Kunst sich der gleichen Stilisirung des
Akanthus bediente Den Nachweis hiefür möge Fig. 176
bieten. Wir sehen da einen gerade aufgesprossten
Stamm, von dem rechts und links in symmetrischer
Paarung je zwei Akanthushalbblätter abzweigen. Die
Blätter zunächst dem Stamme sind deutlich voluten-
artig eingerollt, aber ebenso wie die übrigen Blatt-
theile fein gefiedert. Die Bekrönung bildet eine fünf-
spaltige Palmette, die von den zwei Halbfächern einer
gesprengten Palmette eingerahmt erscheint, Die akan-
thisirende Bedeutung ist auch hier durch die tiefen

[Abbildung] Fig. 176.
Einziehungen zwischen den einzelnen Blattgliedern
sichergestellt, und die Konturen durchweg in der gleichen feinen Weise
gefiedert, wie in Fig. 174 und 175, und ausserdem von einer glatten
Umrisslinie umzogen, worin wir mindestens kein unsaracenisches Mo-
ment zu erkennen vermögen. Endlich zeigt auch der fünfblättrige
Fächer, aus dem der Stamm emporwächst, die erörterte akanthisirende
Behandlung.

Fig. 176 ist entlehnt aus dem Codex Vigilanus im Escurial, und
zwar von einem Blatte mit bildlichen Darstellungen, deren Beischriften
im paläographischen Charakter noch stark kursive Elemente aufweisen
und daher nicht unter das 9. Jahrh. herabgerückt werden können, und
somit gewiss jünger sind, als die Kästchen Fig. 174 und 175. Was aber
der Fig. 176 besondere Wichtigkeit verleiht, ist die Beischrift „arbor“,
die bei ihren Wiederholungen mehrfach wiederkehrt. Es ist also sozu-
sagen der „Idealbaum“, den sich die spanischen Miniaturisten der
Karolingischen Zeit unter solchen mit Akanthusblättern besetzten Ge-

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[320/0346] Die Arabeske. Ranke, welche in der zuletzt erörterten Halbpalmette endigt, entsendet kurz vorher einen unfreien Halbblattfächer, der die Hauptranke durch- schneidet und mit einem gleichartigen Gegenüber in symmetrischer Paarung zusammentritt, so wie wir es zu wiederholten Malen an Halb- palmetten beobachtet haben, die zu gesprengten Palmetten zusammen- traten. Dieses echt „arabeske“ Motiv tritt gleich den früher erwähnten in der Gesammtwirkung nur deshalb zurück, weil die akanthisirende Bildung der Details den Eindruck vornehmlich beherrscht. Da die Inschrift des Kästchens (Fig. 175) den Namen eines spani- schen Khalifen nennt, so erscheint die Herkunft desselben aus spanisch- maurischem Kunstgebiet ziemlich sichergestellt. Da ist es nun gewiss lehrreich zu sehen, dass die christ- lich-spanische Kunst sich der gleichen Stilisirung des Akanthus bediente Den Nachweis hiefür möge Fig. 176 bieten. Wir sehen da einen gerade aufgesprossten Stamm, von dem rechts und links in symmetrischer Paarung je zwei Akanthushalbblätter abzweigen. Die Blätter zunächst dem Stamme sind deutlich voluten- artig eingerollt, aber ebenso wie die übrigen Blatt- theile fein gefiedert. Die Bekrönung bildet eine fünf- spaltige Palmette, die von den zwei Halbfächern einer gesprengten Palmette eingerahmt erscheint, Die akan- thisirende Bedeutung ist auch hier durch die tiefen [Abbildung Fig. 176.] Einziehungen zwischen den einzelnen Blattgliedern sichergestellt, und die Konturen durchweg in der gleichen feinen Weise gefiedert, wie in Fig. 174 und 175, und ausserdem von einer glatten Umrisslinie umzogen, worin wir mindestens kein unsaracenisches Mo- ment zu erkennen vermögen. Endlich zeigt auch der fünfblättrige Fächer, aus dem der Stamm emporwächst, die erörterte akanthisirende Behandlung. Fig. 176 ist entlehnt aus dem Codex Vigilanus im Escurial, und zwar von einem Blatte mit bildlichen Darstellungen, deren Beischriften im paläographischen Charakter noch stark kursive Elemente aufweisen und daher nicht unter das 9. Jahrh. herabgerückt werden können, und somit gewiss jünger sind, als die Kästchen Fig. 174 und 175. Was aber der Fig. 176 besondere Wichtigkeit verleiht, ist die Beischrift „arbor“, die bei ihren Wiederholungen mehrfach wiederkehrt. Es ist also sozu- sagen der „Idealbaum“, den sich die spanischen Miniaturisten der Karolingischen Zeit unter solchen mit Akanthusblättern besetzten Ge-

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/346>, abgerufen am 18.05.2024.