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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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2. Frühsaracenische Rankenornamentik.
die zwar sämmtlich von geometrischer Grundform, aber untereinander
nicht gleich sind, sondern verschiedene Konfigurationen darstellen:
Dreiecke, Quadrate, Rauten, Sechsecke, deren je mehrere zusammen
sich zu einer grösseren Konfiguration höherer Ordnung (Zwölfecken,
Sternen) zusammenfassen lassen. Es sind dies die direkten und
nächstverwandten Vorläufer der saracenischen Polygonal-
ornamentik
mittels eckig gebrochener Bänder. Nur wollte sich der
klassisch-antike Kunstsinn mit bloss geometrischen Konfigurationen
nicht gern begnügen: wir sehen daher in die einzelnen Sechsecke u. s. w.
in Fig. 169 kleine ornamentale Motive -- in diesem Falle allerdings
von sehr einfacher, fast geometrischer Grundform -- eingesetzt. Und
selbst diese haben schon genügt, um den unendlichen Rapport an den
Rändern zu stören, zu trüben: die besagten Füllmotive waren eben
nicht so absolut geometrischer Natur, oder -- was dasselbe ist -- sie
waren nicht so symmetrisch komponirt, um sich nach Bedarf einfach
halbiren zu lassen. Und damit haben wir auch den Hauptgrund be-
rührt, warum der unendliche Rapport bei den Römern niemals zu einer
so maassgebenden Rolle gelangen konnte wie später im Mittelalter:
der Römer wollte sich nicht mit bedeutungslosen geometrischen Füllseln
begnügen, er wollte das Figürliche nicht missen.

Der Belege für das eben Gesagte lassen sich noch mehrere auf-
zählen. Haben wir es in Fig. 169 an den Rändern immerhin noch mit
leidlich für sich abgeschlossenen geometrischen Kompartimenten zu
thun gehabt, so sind in einem anderen Falle64) die das Rautennetz
bildenden Spitzovale an den Rändern etwa in Dreiviertellänge abge-
schnitten, nur damit die schwebenden Eroten und Bacchantinnen und
die graciösen Blumenzweige innerhalb der von je vier Spitzovalen ein-
geschlossenen sphärisch-quadraten Kompartimente vollständig zur Dar-
stellung gebracht werden konnten. Man opferte lieber den unendlichen
Rapport und die Reinheit des ornamentalen Grundplans, als dass man
den Gebrauch der dekorativen Figuren eingeschränkt hätte.

Einen überaus wichtigen Schritt zur Vervollkommnung dieser
reicher variirten Flächendekoration nach geometrischem Grundschema
bedeuten jene Deckenverzierungen (Fig. 170)65), an denen kreisförmige
und sphärisch-polygonale Kompartimente mit einander abwechseln,
und durch verschlungene Bänder unter einander verbunden erscheinen.
Bedarf es da noch eines weiteren Beweises für unsere Annahme, dass

64) Niccolini, Descriz. gener. XLVI.
65) Niccolini, Terme presso la porta Stabiana III, IV.

2. Frühsaracenische Rankenornamentik.
die zwar sämmtlich von geometrischer Grundform, aber untereinander
nicht gleich sind, sondern verschiedene Konfigurationen darstellen:
Dreiecke, Quadrate, Rauten, Sechsecke, deren je mehrere zusammen
sich zu einer grösseren Konfiguration höherer Ordnung (Zwölfecken,
Sternen) zusammenfassen lassen. Es sind dies die direkten und
nächstverwandten Vorläufer der saracenischen Polygonal-
ornamentik
mittels eckig gebrochener Bänder. Nur wollte sich der
klassisch-antike Kunstsinn mit bloss geometrischen Konfigurationen
nicht gern begnügen: wir sehen daher in die einzelnen Sechsecke u. s. w.
in Fig. 169 kleine ornamentale Motive — in diesem Falle allerdings
von sehr einfacher, fast geometrischer Grundform — eingesetzt. Und
selbst diese haben schon genügt, um den unendlichen Rapport an den
Rändern zu stören, zu trüben: die besagten Füllmotive waren eben
nicht so absolut geometrischer Natur, oder — was dasselbe ist — sie
waren nicht so symmetrisch komponirt, um sich nach Bedarf einfach
halbiren zu lassen. Und damit haben wir auch den Hauptgrund be-
rührt, warum der unendliche Rapport bei den Römern niemals zu einer
so maassgebenden Rolle gelangen konnte wie später im Mittelalter:
der Römer wollte sich nicht mit bedeutungslosen geometrischen Füllseln
begnügen, er wollte das Figürliche nicht missen.

Der Belege für das eben Gesagte lassen sich noch mehrere auf-
zählen. Haben wir es in Fig. 169 an den Rändern immerhin noch mit
leidlich für sich abgeschlossenen geometrischen Kompartimenten zu
thun gehabt, so sind in einem anderen Falle64) die das Rautennetz
bildenden Spitzovale an den Rändern etwa in Dreiviertellänge abge-
schnitten, nur damit die schwebenden Eroten und Bacchantinnen und
die graciösen Blumenzweige innerhalb der von je vier Spitzovalen ein-
geschlossenen sphärisch-quadraten Kompartimente vollständig zur Dar-
stellung gebracht werden konnten. Man opferte lieber den unendlichen
Rapport und die Reinheit des ornamentalen Grundplans, als dass man
den Gebrauch der dekorativen Figuren eingeschränkt hätte.

Einen überaus wichtigen Schritt zur Vervollkommnung dieser
reicher variirten Flächendekoration nach geometrischem Grundschema
bedeuten jene Deckenverzierungen (Fig. 170)65), an denen kreisförmige
und sphärisch-polygonale Kompartimente mit einander abwechseln,
und durch verschlungene Bänder unter einander verbunden erscheinen.
Bedarf es da noch eines weiteren Beweises für unsere Annahme, dass

64) Niccolini, Descriz. gener. XLVI.
65) Niccolini, Terme presso la porta Stabiana III, IV.
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[311/0337] 2. Frühsaracenische Rankenornamentik. die zwar sämmtlich von geometrischer Grundform, aber untereinander nicht gleich sind, sondern verschiedene Konfigurationen darstellen: Dreiecke, Quadrate, Rauten, Sechsecke, deren je mehrere zusammen sich zu einer grösseren Konfiguration höherer Ordnung (Zwölfecken, Sternen) zusammenfassen lassen. Es sind dies die direkten und nächstverwandten Vorläufer der saracenischen Polygonal- ornamentik mittels eckig gebrochener Bänder. Nur wollte sich der klassisch-antike Kunstsinn mit bloss geometrischen Konfigurationen nicht gern begnügen: wir sehen daher in die einzelnen Sechsecke u. s. w. in Fig. 169 kleine ornamentale Motive — in diesem Falle allerdings von sehr einfacher, fast geometrischer Grundform — eingesetzt. Und selbst diese haben schon genügt, um den unendlichen Rapport an den Rändern zu stören, zu trüben: die besagten Füllmotive waren eben nicht so absolut geometrischer Natur, oder — was dasselbe ist — sie waren nicht so symmetrisch komponirt, um sich nach Bedarf einfach halbiren zu lassen. Und damit haben wir auch den Hauptgrund be- rührt, warum der unendliche Rapport bei den Römern niemals zu einer so maassgebenden Rolle gelangen konnte wie später im Mittelalter: der Römer wollte sich nicht mit bedeutungslosen geometrischen Füllseln begnügen, er wollte das Figürliche nicht missen. Der Belege für das eben Gesagte lassen sich noch mehrere auf- zählen. Haben wir es in Fig. 169 an den Rändern immerhin noch mit leidlich für sich abgeschlossenen geometrischen Kompartimenten zu thun gehabt, so sind in einem anderen Falle 64) die das Rautennetz bildenden Spitzovale an den Rändern etwa in Dreiviertellänge abge- schnitten, nur damit die schwebenden Eroten und Bacchantinnen und die graciösen Blumenzweige innerhalb der von je vier Spitzovalen ein- geschlossenen sphärisch-quadraten Kompartimente vollständig zur Dar- stellung gebracht werden konnten. Man opferte lieber den unendlichen Rapport und die Reinheit des ornamentalen Grundplans, als dass man den Gebrauch der dekorativen Figuren eingeschränkt hätte. Einen überaus wichtigen Schritt zur Vervollkommnung dieser reicher variirten Flächendekoration nach geometrischem Grundschema bedeuten jene Deckenverzierungen (Fig. 170) 65), an denen kreisförmige und sphärisch-polygonale Kompartimente mit einander abwechseln, und durch verschlungene Bänder unter einander verbunden erscheinen. Bedarf es da noch eines weiteren Beweises für unsere Annahme, dass 64) Niccolini, Descriz. gener. XLVI. 65) Niccolini, Terme presso la porta Stabiana III, IV.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/337>, abgerufen am 23.12.2024.