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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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2. Frühsaracenische Rankenornamentik.
Fig. 167 bemerkten Komma - Schlitze, die wiederum jede Palmette
etwa in zwei Theile theilen. Es drückt sich darin offenbar die Ten-
denz zur Zweitheilung, Gabelung der ganzen Halbpalmette aus,
deren Endresultat in der arabesken Gabelranke (Fig. 189a) vorliegt.

Die beiden Rankenbänder, die für das eben beschriebene Füllungs-
motiv den spitzovalen Rahmen bilden, theilen sich über dem Scheitel
wieder, um abermals ein Spitzoval zu bilden, wovon in Fig. 168 bloss
der untere Anfang sichtbar ist. In Folge des Zusammenlaufens der
beiden Rankenbänder zwischen den beiden Spitzovalen mussten im Fries-
streifen naturgemäss rechts und links segmentartige Zwickel entstehen.
Man betrachte die -- beiderseits im Gegensinne identische -- Fül-
lung dieser Zwickel. Bei näherem Zusehen ergiebt sich dieselbe als
nichts Anderes, als die Hälfte des Füllungsmotivs, das wir im Spitz-
oval angetroffen haben. Besser als es mit vielen Worten an den
Einzelmotiven demonstrirt werden kann, drückt sich darin der schema-
tische, antinaturalistische Zug aus, der schon diese werdende sarace-
nische Rankenornamentik charakterisirt. Der Künstler schaltet mit
dem ursprünglich vegetabilischen, also bestimmten lebendigen Natur-
gesetzen folgenden Motiv, wie mit einem leblosen, geometrischen: er
theilt es, versetzt es ganz nach Belieben
, je nach dem Be-
dürfniss des zu füllenden geometrisch-symmetrisch abgezirkelten Raumes.

Andererseits vergleiche man die seitlichen Segmentfüllungen von
Fig. 168 mit Fig. 167. Die ersteren erscheinen hienach als nichts An-
deres, als blosse Ausschnitte aus einer fortlaufenden Wellenranke, als
ein blosser Schössling dieser letzteren. Der einzige Unterschied besteht
darin, dass in Fig. 168 entsprechend dem grösseren auszufüllenden
Segmentraume die Palmette mehr in die Länge gezogen und in mehr
Zacken gebrochen ist. Ziehen wir hieraus wiederum den Rückschluss
auf die Füllung innerhalb des Spitzovals in Fig. 168. Dieselbe ist hie-
nach auch nichts anderes, als die Verdoppelung jenes Schösslings der
fortlaufenden Wellenranke Fig. 16757). Diese Wahrnehmung ist doch ge-
wiss nur geeignet den schematischen Eindruck zu verstärken, den wir
soeben von dieser Art Rankenornamentik erhalten und hervorgehoben
haben. Es drückt sich darin zugleich ein ganz wesentliches Grund-
gesetz der Arabeskenbildung und der saracenischen Flächen-
ornamentik überhaupt
aus. Ein -- wenn auch zusammengesetztes --

57) Jetzt erklärt sich uns auch die wiederholt (S. 284, 303) konstatirte
Neigung zwei Halbmotive zu einem symmetrisch aufgebauten Vollmotiv zu-
sammentreten zu lassen.
20*

2. Frühsaracenische Rankenornamentik.
Fig. 167 bemerkten Komma - Schlitze, die wiederum jede Palmette
etwa in zwei Theile theilen. Es drückt sich darin offenbar die Ten-
denz zur Zweitheilung, Gabelung der ganzen Halbpalmette aus,
deren Endresultat in der arabesken Gabelranke (Fig. 189a) vorliegt.

Die beiden Rankenbänder, die für das eben beschriebene Füllungs-
motiv den spitzovalen Rahmen bilden, theilen sich über dem Scheitel
wieder, um abermals ein Spitzoval zu bilden, wovon in Fig. 168 bloss
der untere Anfang sichtbar ist. In Folge des Zusammenlaufens der
beiden Rankenbänder zwischen den beiden Spitzovalen mussten im Fries-
streifen naturgemäss rechts und links segmentartige Zwickel entstehen.
Man betrachte die — beiderseits im Gegensinne identische — Fül-
lung dieser Zwickel. Bei näherem Zusehen ergiebt sich dieselbe als
nichts Anderes, als die Hälfte des Füllungsmotivs, das wir im Spitz-
oval angetroffen haben. Besser als es mit vielen Worten an den
Einzelmotiven demonstrirt werden kann, drückt sich darin der schema-
tische, antinaturalistische Zug aus, der schon diese werdende sarace-
nische Rankenornamentik charakterisirt. Der Künstler schaltet mit
dem ursprünglich vegetabilischen, also bestimmten lebendigen Natur-
gesetzen folgenden Motiv, wie mit einem leblosen, geometrischen: er
theilt es, versetzt es ganz nach Belieben
, je nach dem Be-
dürfniss des zu füllenden geometrisch-symmetrisch abgezirkelten Raumes.

Andererseits vergleiche man die seitlichen Segmentfüllungen von
Fig. 168 mit Fig. 167. Die ersteren erscheinen hienach als nichts An-
deres, als blosse Ausschnitte aus einer fortlaufenden Wellenranke, als
ein blosser Schössling dieser letzteren. Der einzige Unterschied besteht
darin, dass in Fig. 168 entsprechend dem grösseren auszufüllenden
Segmentraume die Palmette mehr in die Länge gezogen und in mehr
Zacken gebrochen ist. Ziehen wir hieraus wiederum den Rückschluss
auf die Füllung innerhalb des Spitzovals in Fig. 168. Dieselbe ist hie-
nach auch nichts anderes, als die Verdoppelung jenes Schösslings der
fortlaufenden Wellenranke Fig. 16757). Diese Wahrnehmung ist doch ge-
wiss nur geeignet den schematischen Eindruck zu verstärken, den wir
soeben von dieser Art Rankenornamentik erhalten und hervorgehoben
haben. Es drückt sich darin zugleich ein ganz wesentliches Grund-
gesetz der Arabeskenbildung und der saracenischen Flächen-
ornamentik überhaupt
aus. Ein — wenn auch zusammengesetztes —

57) Jetzt erklärt sich uns auch die wiederholt (S. 284, 303) konstatirte
Neigung zwei Halbmotive zu einem symmetrisch aufgebauten Vollmotiv zu-
sammentreten zu lassen.
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[307/0333] 2. Frühsaracenische Rankenornamentik. Fig. 167 bemerkten Komma - Schlitze, die wiederum jede Palmette etwa in zwei Theile theilen. Es drückt sich darin offenbar die Ten- denz zur Zweitheilung, Gabelung der ganzen Halbpalmette aus, deren Endresultat in der arabesken Gabelranke (Fig. 189a) vorliegt. Die beiden Rankenbänder, die für das eben beschriebene Füllungs- motiv den spitzovalen Rahmen bilden, theilen sich über dem Scheitel wieder, um abermals ein Spitzoval zu bilden, wovon in Fig. 168 bloss der untere Anfang sichtbar ist. In Folge des Zusammenlaufens der beiden Rankenbänder zwischen den beiden Spitzovalen mussten im Fries- streifen naturgemäss rechts und links segmentartige Zwickel entstehen. Man betrachte die — beiderseits im Gegensinne identische — Fül- lung dieser Zwickel. Bei näherem Zusehen ergiebt sich dieselbe als nichts Anderes, als die Hälfte des Füllungsmotivs, das wir im Spitz- oval angetroffen haben. Besser als es mit vielen Worten an den Einzelmotiven demonstrirt werden kann, drückt sich darin der schema- tische, antinaturalistische Zug aus, der schon diese werdende sarace- nische Rankenornamentik charakterisirt. Der Künstler schaltet mit dem ursprünglich vegetabilischen, also bestimmten lebendigen Natur- gesetzen folgenden Motiv, wie mit einem leblosen, geometrischen: er theilt es, versetzt es ganz nach Belieben, je nach dem Be- dürfniss des zu füllenden geometrisch-symmetrisch abgezirkelten Raumes. Andererseits vergleiche man die seitlichen Segmentfüllungen von Fig. 168 mit Fig. 167. Die ersteren erscheinen hienach als nichts An- deres, als blosse Ausschnitte aus einer fortlaufenden Wellenranke, als ein blosser Schössling dieser letzteren. Der einzige Unterschied besteht darin, dass in Fig. 168 entsprechend dem grösseren auszufüllenden Segmentraume die Palmette mehr in die Länge gezogen und in mehr Zacken gebrochen ist. Ziehen wir hieraus wiederum den Rückschluss auf die Füllung innerhalb des Spitzovals in Fig. 168. Dieselbe ist hie- nach auch nichts anderes, als die Verdoppelung jenes Schösslings der fortlaufenden Wellenranke Fig. 167 57). Diese Wahrnehmung ist doch ge- wiss nur geeignet den schematischen Eindruck zu verstärken, den wir soeben von dieser Art Rankenornamentik erhalten und hervorgehoben haben. Es drückt sich darin zugleich ein ganz wesentliches Grund- gesetz der Arabeskenbildung und der saracenischen Flächen- ornamentik überhaupt aus. Ein — wenn auch zusammengesetztes — 57) Jetzt erklärt sich uns auch die wiederholt (S. 284, 303) konstatirte Neigung zwei Halbmotive zu einem symmetrisch aufgebauten Vollmotiv zu- sammentreten zu lassen. 20*

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/333>, abgerufen am 12.12.2024.