Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Arabeske.
Element liegt in der Regel einer ganzen Gesammtkonception zu Grunde:
sei es durch Halbirung, sei es durch Verdoppelung, wird ein fortwähren-
der Rapport hergestellt. In geometrischer Ausführung war dieses Gesetz
zwar längst bekannt und geübt: Quadrirung, Rautennetz sind die älte-
sten Vorstufen desselben. Die Errungenschaft der Saracenen lag
darin, dieses Gesetz des unendlichen Rapports zum leitenden
in ihrer Pflanzenrankenornamentik gemacht zu haben
.

Dass wir in diesem Falle von einer ornament-geschichtlichen "Er-
rungenschaft" sprechen dürfen, wird sofort gerechtfertigt erscheinen,
wenn man die betreffenden Ornamente des 9. Jahrhunderts noch einmal
aufmerksam betrachtet. Dass die seitlichen Füllungen in Fig. 168 nichts
Anderes sind als die Hälften der mittleren Spitzoval-Füllung, springt
keineswegs so sehr in die Augen, und wird erst bei näherer Unter-
suchung wahrgenommen. Noch weniger drängt sich dem Auge der
Zusammenhang auf, der zwischen der Spitzoval-Füllung von Fig. 168
und der Wellenranke Fig. 167 obwaltet. Das ist eben das Charakte-
ristische am Arabeskenornament, dass dasselbe trotz geringer Ab-
wechslung in den Motiven und fortwährender Wiederholung
der Einzelkonfigurationon dennoch niemals langweilig wird
.
Das Gesammtmuster erscheint unendlich reicher als es ist, ja für den
naiven abendländischen Beschauer erscheint es oft so verwirrt und
komplicirt, dass man daran verzweifeln möchte, überhaupt den Ariadne-
faden dafür zu finden, wenngleich dies bei einiger Kenntniss der
Grundgesetze der Arabeskenbildung jederzeit mit geringer Mühe zu be-
werkstelligen ist.

Einmal bei diesem Punkte angelangt, wollen wir denselben nach
der historischen Seite noch etwas weiter erörtern, wiewohl es eine
Abschweifung von der geraden Linie der Darstellung unseres Gegen-
standes bedeutet. Wann ist der unendliche Rapport in der Flächenorna-
mentik aufgekommen? Lässt sich derselbe auch in vorsaracenische Zeiten
zurück nachweisen? Wie man sieht, bezwecken diese Fragen die Fest-
stellung des etwaigen schöpferischen Antheils der Saracenen an dieser
Art von Flächendekoration. Das Thema ist begreiflichermaassen ein
so weitgespanntes, das Material ein so reichhaltiges, dass eine er-
schöpfende, gewissen Erfolg verheissende Bearbeitung desselben ein
ganzes Buch füllen würde. Hier müssen wir uns auf die Markirung der
Hauptpunkte der Entwicklung beschränken.

Unendlichen Rapport ergiebt schon das Schachbrett- und das Rauten-

Die Arabeske.
Element liegt in der Regel einer ganzen Gesammtkonception zu Grunde:
sei es durch Halbirung, sei es durch Verdoppelung, wird ein fortwähren-
der Rapport hergestellt. In geometrischer Ausführung war dieses Gesetz
zwar längst bekannt und geübt: Quadrirung, Rautennetz sind die älte-
sten Vorstufen desselben. Die Errungenschaft der Saracenen lag
darin, dieses Gesetz des unendlichen Rapports zum leitenden
in ihrer Pflanzenrankenornamentik gemacht zu haben
.

Dass wir in diesem Falle von einer ornament-geschichtlichen „Er-
rungenschaft“ sprechen dürfen, wird sofort gerechtfertigt erscheinen,
wenn man die betreffenden Ornamente des 9. Jahrhunderts noch einmal
aufmerksam betrachtet. Dass die seitlichen Füllungen in Fig. 168 nichts
Anderes sind als die Hälften der mittleren Spitzoval-Füllung, springt
keineswegs so sehr in die Augen, und wird erst bei näherer Unter-
suchung wahrgenommen. Noch weniger drängt sich dem Auge der
Zusammenhang auf, der zwischen der Spitzoval-Füllung von Fig. 168
und der Wellenranke Fig. 167 obwaltet. Das ist eben das Charakte-
ristische am Arabeskenornament, dass dasselbe trotz geringer Ab-
wechslung in den Motiven und fortwährender Wiederholung
der Einzelkonfigurationon dennoch niemals langweilig wird
.
Das Gesammtmuster erscheint unendlich reicher als es ist, ja für den
naiven abendländischen Beschauer erscheint es oft so verwirrt und
komplicirt, dass man daran verzweifeln möchte, überhaupt den Ariadne-
faden dafür zu finden, wenngleich dies bei einiger Kenntniss der
Grundgesetze der Arabeskenbildung jederzeit mit geringer Mühe zu be-
werkstelligen ist.

Einmal bei diesem Punkte angelangt, wollen wir denselben nach
der historischen Seite noch etwas weiter erörtern, wiewohl es eine
Abschweifung von der geraden Linie der Darstellung unseres Gegen-
standes bedeutet. Wann ist der unendliche Rapport in der Flächenorna-
mentik aufgekommen? Lässt sich derselbe auch in vorsaracenische Zeiten
zurück nachweisen? Wie man sieht, bezwecken diese Fragen die Fest-
stellung des etwaigen schöpferischen Antheils der Saracenen an dieser
Art von Flächendekoration. Das Thema ist begreiflichermaassen ein
so weitgespanntes, das Material ein so reichhaltiges, dass eine er-
schöpfende, gewissen Erfolg verheissende Bearbeitung desselben ein
ganzes Buch füllen würde. Hier müssen wir uns auf die Markirung der
Hauptpunkte der Entwicklung beschränken.

Unendlichen Rapport ergiebt schon das Schachbrett- und das Rauten-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0334" n="308"/><fw place="top" type="header">Die Arabeske.</fw><lb/>
Element liegt in der Regel einer ganzen Gesammtkonception zu Grunde:<lb/>
sei es durch Halbirung, sei es durch Verdoppelung, wird ein fortwähren-<lb/>
der Rapport hergestellt. In geometrischer Ausführung war dieses Gesetz<lb/>
zwar längst bekannt und geübt: Quadrirung, Rautennetz sind die älte-<lb/>
sten Vorstufen desselben. <hi rendition="#g">Die Errungenschaft der Saracenen lag<lb/>
darin, dieses Gesetz des unendlichen Rapports zum leitenden<lb/>
in ihrer Pflanzenrankenornamentik gemacht zu haben</hi>.</p><lb/>
          <p>Dass wir in diesem Falle von einer ornament-geschichtlichen &#x201E;Er-<lb/>
rungenschaft&#x201C; sprechen dürfen, wird sofort gerechtfertigt erscheinen,<lb/>
wenn man die betreffenden Ornamente des 9. Jahrhunderts noch einmal<lb/>
aufmerksam betrachtet. Dass die seitlichen Füllungen in Fig. 168 nichts<lb/>
Anderes sind als die Hälften der mittleren Spitzoval-Füllung, springt<lb/>
keineswegs so sehr in die Augen, und wird erst bei näherer Unter-<lb/>
suchung wahrgenommen. Noch weniger drängt sich dem Auge der<lb/>
Zusammenhang auf, der zwischen der Spitzoval-Füllung von Fig. 168<lb/>
und der Wellenranke Fig. 167 obwaltet. Das ist eben das Charakte-<lb/>
ristische am Arabeskenornament, dass dasselbe <hi rendition="#g">trotz geringer Ab-<lb/>
wechslung in den Motiven und fortwährender Wiederholung<lb/>
der Einzelkonfigurationon dennoch niemals langweilig wird</hi>.<lb/>
Das Gesammtmuster erscheint unendlich reicher als es ist, ja für den<lb/>
naiven abendländischen Beschauer erscheint es oft so verwirrt und<lb/>
komplicirt, dass man daran verzweifeln möchte, überhaupt den Ariadne-<lb/>
faden dafür zu finden, wenngleich dies bei einiger Kenntniss der<lb/>
Grundgesetze der Arabeskenbildung jederzeit mit geringer Mühe zu be-<lb/>
werkstelligen ist.</p><lb/>
          <p>Einmal bei diesem Punkte angelangt, wollen wir denselben nach<lb/>
der historischen Seite noch etwas weiter erörtern, wiewohl es eine<lb/>
Abschweifung von der geraden Linie der Darstellung unseres Gegen-<lb/>
standes bedeutet. Wann ist der <hi rendition="#i">unendliche Rapport</hi> in der Flächenorna-<lb/>
mentik aufgekommen? Lässt sich derselbe auch in vorsaracenische Zeiten<lb/>
zurück nachweisen? Wie man sieht, bezwecken diese Fragen die Fest-<lb/>
stellung des etwaigen schöpferischen Antheils der Saracenen an dieser<lb/>
Art von Flächendekoration. Das Thema ist begreiflichermaassen ein<lb/>
so weitgespanntes, das Material ein so reichhaltiges, dass eine er-<lb/>
schöpfende, gewissen Erfolg verheissende Bearbeitung desselben ein<lb/>
ganzes Buch füllen würde. Hier müssen wir uns auf die Markirung der<lb/>
Hauptpunkte der Entwicklung beschränken.</p><lb/>
          <p>Unendlichen Rapport ergiebt schon das Schachbrett- und das Rauten-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0334] Die Arabeske. Element liegt in der Regel einer ganzen Gesammtkonception zu Grunde: sei es durch Halbirung, sei es durch Verdoppelung, wird ein fortwähren- der Rapport hergestellt. In geometrischer Ausführung war dieses Gesetz zwar längst bekannt und geübt: Quadrirung, Rautennetz sind die älte- sten Vorstufen desselben. Die Errungenschaft der Saracenen lag darin, dieses Gesetz des unendlichen Rapports zum leitenden in ihrer Pflanzenrankenornamentik gemacht zu haben. Dass wir in diesem Falle von einer ornament-geschichtlichen „Er- rungenschaft“ sprechen dürfen, wird sofort gerechtfertigt erscheinen, wenn man die betreffenden Ornamente des 9. Jahrhunderts noch einmal aufmerksam betrachtet. Dass die seitlichen Füllungen in Fig. 168 nichts Anderes sind als die Hälften der mittleren Spitzoval-Füllung, springt keineswegs so sehr in die Augen, und wird erst bei näherer Unter- suchung wahrgenommen. Noch weniger drängt sich dem Auge der Zusammenhang auf, der zwischen der Spitzoval-Füllung von Fig. 168 und der Wellenranke Fig. 167 obwaltet. Das ist eben das Charakte- ristische am Arabeskenornament, dass dasselbe trotz geringer Ab- wechslung in den Motiven und fortwährender Wiederholung der Einzelkonfigurationon dennoch niemals langweilig wird. Das Gesammtmuster erscheint unendlich reicher als es ist, ja für den naiven abendländischen Beschauer erscheint es oft so verwirrt und komplicirt, dass man daran verzweifeln möchte, überhaupt den Ariadne- faden dafür zu finden, wenngleich dies bei einiger Kenntniss der Grundgesetze der Arabeskenbildung jederzeit mit geringer Mühe zu be- werkstelligen ist. Einmal bei diesem Punkte angelangt, wollen wir denselben nach der historischen Seite noch etwas weiter erörtern, wiewohl es eine Abschweifung von der geraden Linie der Darstellung unseres Gegen- standes bedeutet. Wann ist der unendliche Rapport in der Flächenorna- mentik aufgekommen? Lässt sich derselbe auch in vorsaracenische Zeiten zurück nachweisen? Wie man sieht, bezwecken diese Fragen die Fest- stellung des etwaigen schöpferischen Antheils der Saracenen an dieser Art von Flächendekoration. Das Thema ist begreiflichermaassen ein so weitgespanntes, das Material ein so reichhaltiges, dass eine er- schöpfende, gewissen Erfolg verheissende Bearbeitung desselben ein ganzes Buch füllen würde. Hier müssen wir uns auf die Markirung der Hauptpunkte der Entwicklung beschränken. Unendlichen Rapport ergiebt schon das Schachbrett- und das Rauten-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/334
Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/334>, abgerufen am 18.05.2024.