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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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Die Arabeske.
der Mühe dies zu thun überhoben durch den überraschenden Umstand,
dass uns eine solche Uebersetzung in's Griechische an einer,
später zu erörternden, echt saracenischen Holzschnitzerei des
XII. Jahrhunderts vorliegt
(Fig. 168a). Es ist daher auch gewiss
nicht zufällig und am wenigsten als Entlehnung aus saracenischem
Kunstbesitz zu erklären, wenn wir genau dem gleichen Motiv -- eine
gesprengte Palmette, deren Fächerhälften oben rankenartig sich fort-
setzen, gegen das Innere umschlagen und endlich in ein gemeinsames
Dreiblatt frei auslaufen -- sehr häufig auch an byzantinischen Kunst-
werken begegnen56). Was das Gesammtmotiv in Fig. 168 so fremdartig
"orientalisch" erscheinen lässt, ist weder die Rankenführung noch die
[Abbildung] Fig. 168.

Stuckborde von der
Moschee des Ibn Tulun
zu Kairo.

Stilisirung der Blüthenmotive, sondern vor Allem
das Aufgehen dieser letzteren in der Ranke: auf
den ersten Blick vermag Niemand zu erkennen,
wo die Ranke aufhört und die
Blüthe beginnt und umgekehrt,
wogegen in der klassisch-anti-
ken Ornamentik Ranke und fül-
lende Palmettenfächer ursprüng-
lich deutlich und klar geschie-
den sind, und selbst noch in der
byzantinischen Ornamentik die
[Abbildung] Fig. 168

a.

unfreien Akanthushalbblätter sich noch leidlich von
der Ranke scheiden lassen. Die Saracenen haben
eben konsequent und entschieden fortgebildet, was
sie im Keime und zum Theil schon im Aufsprossen
von den antiken Kulturvölkern übernommen haben:
auch unter diesem Hinblick erscheint der Unterschied zwischen
spätantiker und saracenischer Ornamentik bloss als ein
gradueller, nicht als ein habitueller
.

Betrachten wir noch die ausgezackten Halbpalmetten, die sich
innerhalb des Spitzovals zu einer gesprengten Palmette ergänzen. Die
ausladenden Zacken deuten wohl die einzelnen Blätter des Fächers an,
aber die Blattrippen selbst sind nicht kenntlich gemacht; die glatte
äussere Umrisslinie besorgen die das Spitzoval begrenzenden Ranken.
Ferner zeigen die genannten Halbpalmetten wiederum die schon an

56) Z. B. Stassoff, Ornement slave et oriental Taf. 124, 12. Aber keines-
wegs selten auch in der abendländischen Kunst des X.--XII. Jahrh.

Die Arabeske.
der Mühe dies zu thun überhoben durch den überraschenden Umstand,
dass uns eine solche Uebersetzung in’s Griechische an einer,
später zu erörternden, echt saracenischen Holzschnitzerei des
XII. Jahrhunderts vorliegt
(Fig. 168a). Es ist daher auch gewiss
nicht zufällig und am wenigsten als Entlehnung aus saracenischem
Kunstbesitz zu erklären, wenn wir genau dem gleichen Motiv — eine
gesprengte Palmette, deren Fächerhälften oben rankenartig sich fort-
setzen, gegen das Innere umschlagen und endlich in ein gemeinsames
Dreiblatt frei auslaufen — sehr häufig auch an byzantinischen Kunst-
werken begegnen56). Was das Gesammtmotiv in Fig. 168 so fremdartig
„orientalisch“ erscheinen lässt, ist weder die Rankenführung noch die
[Abbildung] Fig. 168.

Stuckborde von der
Moschee des Ibn Tulun
zu Kairo.

Stilisirung der Blüthenmotive, sondern vor Allem
das Aufgehen dieser letzteren in der Ranke: auf
den ersten Blick vermag Niemand zu erkennen,
wo die Ranke aufhört und die
Blüthe beginnt und umgekehrt,
wogegen in der klassisch-anti-
ken Ornamentik Ranke und fül-
lende Palmettenfächer ursprüng-
lich deutlich und klar geschie-
den sind, und selbst noch in der
byzantinischen Ornamentik die
[Abbildung] Fig. 168

a.

unfreien Akanthushalbblätter sich noch leidlich von
der Ranke scheiden lassen. Die Saracenen haben
eben konsequent und entschieden fortgebildet, was
sie im Keime und zum Theil schon im Aufsprossen
von den antiken Kulturvölkern übernommen haben:
auch unter diesem Hinblick erscheint der Unterschied zwischen
spätantiker und saracenischer Ornamentik bloss als ein
gradueller, nicht als ein habitueller
.

Betrachten wir noch die ausgezackten Halbpalmetten, die sich
innerhalb des Spitzovals zu einer gesprengten Palmette ergänzen. Die
ausladenden Zacken deuten wohl die einzelnen Blätter des Fächers an,
aber die Blattrippen selbst sind nicht kenntlich gemacht; die glatte
äussere Umrisslinie besorgen die das Spitzoval begrenzenden Ranken.
Ferner zeigen die genannten Halbpalmetten wiederum die schon an

56) Z. B. Stassoff, Ornement slave et oriental Taf. 124, 12. Aber keines-
wegs selten auch in der abendländischen Kunst des X.—XII. Jahrh.
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[306/0332] Die Arabeske. der Mühe dies zu thun überhoben durch den überraschenden Umstand, dass uns eine solche Uebersetzung in’s Griechische an einer, später zu erörternden, echt saracenischen Holzschnitzerei des XII. Jahrhunderts vorliegt (Fig. 168a). Es ist daher auch gewiss nicht zufällig und am wenigsten als Entlehnung aus saracenischem Kunstbesitz zu erklären, wenn wir genau dem gleichen Motiv — eine gesprengte Palmette, deren Fächerhälften oben rankenartig sich fort- setzen, gegen das Innere umschlagen und endlich in ein gemeinsames Dreiblatt frei auslaufen — sehr häufig auch an byzantinischen Kunst- werken begegnen 56). Was das Gesammtmotiv in Fig. 168 so fremdartig „orientalisch“ erscheinen lässt, ist weder die Rankenführung noch die [Abbildung Fig. 168. Stuckborde von der Moschee des Ibn Tulun zu Kairo.] Stilisirung der Blüthenmotive, sondern vor Allem das Aufgehen dieser letzteren in der Ranke: auf den ersten Blick vermag Niemand zu erkennen, wo die Ranke aufhört und die Blüthe beginnt und umgekehrt, wogegen in der klassisch-anti- ken Ornamentik Ranke und fül- lende Palmettenfächer ursprüng- lich deutlich und klar geschie- den sind, und selbst noch in der byzantinischen Ornamentik die [Abbildung Fig. 168 a.] unfreien Akanthushalbblätter sich noch leidlich von der Ranke scheiden lassen. Die Saracenen haben eben konsequent und entschieden fortgebildet, was sie im Keime und zum Theil schon im Aufsprossen von den antiken Kulturvölkern übernommen haben: auch unter diesem Hinblick erscheint der Unterschied zwischen spätantiker und saracenischer Ornamentik bloss als ein gradueller, nicht als ein habitueller. Betrachten wir noch die ausgezackten Halbpalmetten, die sich innerhalb des Spitzovals zu einer gesprengten Palmette ergänzen. Die ausladenden Zacken deuten wohl die einzelnen Blätter des Fächers an, aber die Blattrippen selbst sind nicht kenntlich gemacht; die glatte äussere Umrisslinie besorgen die das Spitzoval begrenzenden Ranken. Ferner zeigen die genannten Halbpalmetten wiederum die schon an 56) Z. B. Stassoff, Ornement slave et oriental Taf. 124, 12. Aber keines- wegs selten auch in der abendländischen Kunst des X.—XII. Jahrh.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/332>, abgerufen am 18.05.2024.