Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.Die Arabeske. wieso die Saracenen schliesslich zu einer von der klassisch-antikenanscheinend so grundsätzlich abweichenden Behandlung der Ranken- führung gekommen sind, aus dem Gesammtcharakter der saracenischen Kunst heraus geliefert. Betraf der besprochene erste Punkt, in dem sich die Arabeske In der antiken Rankenornamentik setzen die Blüthenmotive der- Betrachten wir dagegen das Motiv a in Fig. 13912). Die beiden 12) An Fig. 138 aus dem 19. Jahrh. ist das bezügliche Verhältniss natür-
lich nur ein womöglich noch entschiedeneres und vorgeschritteneres. Die Arabeske. wieso die Saracenen schliesslich zu einer von der klassisch-antikenanscheinend so grundsätzlich abweichenden Behandlung der Ranken- führung gekommen sind, aus dem Gesammtcharakter der saracenischen Kunst heraus geliefert. Betraf der besprochene erste Punkt, in dem sich die Arabeske In der antiken Rankenornamentik setzen die Blüthenmotive der- Betrachten wir dagegen das Motiv a in Fig. 13912). Die beiden 12) An Fig. 138 aus dem 19. Jahrh. ist das bezügliche Verhältniss natür-
lich nur ein womöglich noch entschiedeneres und vorgeschritteneres. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0295" n="269"/><fw place="top" type="header">Die Arabeske.</fw><lb/> wieso die Saracenen schliesslich zu einer von der klassisch-antiken<lb/> anscheinend so grundsätzlich abweichenden Behandlung der Ranken-<lb/> führung gekommen sind, aus dem Gesammtcharakter der saracenischen<lb/> Kunst heraus geliefert.</p><lb/> <p>Betraf der besprochene erste Punkt, in dem sich die Arabeske<lb/> vom klassisch-antiken Rankenornament fundamental unterscheidet, die<lb/> Führung der Rankenlinien, so beruht der <hi rendition="#g">zweite</hi>, nicht minder wesent-<lb/> liche Differenzpunkt in der Behandlung der <hi rendition="#g">an die Rankenlinien<lb/> angesetzten Blüthenmotive</hi>. Und zwar sind es nicht so sehr die<lb/> Motive selbst, die den wesentlichen Unterschied begründen: wir werden<lb/> im 14. Jahrh. Beispiele saracenischer Rankenmuster (Fig. 189 b, c)<lb/> kennen lernen, die den griechischen der besten Zeit überaus nahe<lb/> stehen; andererseits werden uns bereits im 5. Jahr. n. Chr., also noch<lb/> unter voller Herrschaft der späten Antike, Blüthenformen von einer so<lb/> weitgediehenen Rückstilisirung in’s Abstrakte (Fig. 142) begegnen, wie<lb/> sie auch an den gegebenen Beispielen aus dem 15. (Fig. 139) und<lb/> 19. Jahrh. (Fig. 138) nicht übertroffen erscheinen. Es ist vielmehr das<lb/> Verhältniss der Blume zu der Ranke, an welcher sie haftet, wodurch<lb/> sich das Arabeskenornament vom klassisch-antiken abermals in ganz<lb/> grundsätzlicher Weise unterscheidet.</p><lb/> <p>In der antiken Rankenornamentik setzen die Blüthenmotive der-<lb/> maassen an die Hauptranke an, dass von letzterer kleine Schösslinge<lb/> abzweigen, an deren Ende dann die Blume versetzt wird. Das Ver-<lb/> hältniss ist somit das gleiche wie in der Natur: der Stiel, der Schaft<lb/> ist das untere; die Blume ist die Bekrönung, die freie Endigung.</p><lb/> <p>Betrachten wir dagegen das Motiv a in Fig. 139<note place="foot" n="12)">An Fig. 138 aus dem 19. Jahrh. ist das bezügliche Verhältniss natür-<lb/> lich nur ein womöglich noch entschiedeneres und vorgeschritteneres.</note>. Die beiden<lb/> Theile, in welche sich dieses Motiv von zweifellos vegetabilischer Be-<lb/> deutung gabelt, bilden nicht die freien Endigungen der ihnen zur Basis<lb/> dienenden Rankeneinrollung, sondern sie verdünnen sich gegen das<lb/> Ende zu in neuerliche Ranken: die eine endigt schliesslich in eine<lb/> Kugel, welcher, sei es eine kleine spiralige Einrollung, sei es ein frei<lb/> auslaufendes Drei- oder Halbblatt, zu Grunde liegt; die andere bildet<lb/> mit einem zweiten gleichfalls von einer Gabelranke herkommenden<lb/> Schössling einen Kielbogen, an den sich ein grösseres, die freie Eck-<lb/> lösung bildendes Dreiblatt ansetzt. Gemäss früheren Ausführungen<lb/> werden wir die Gabelranke a als <hi rendition="#i">unfrei</hi> bezeichnen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [269/0295]
Die Arabeske.
wieso die Saracenen schliesslich zu einer von der klassisch-antiken
anscheinend so grundsätzlich abweichenden Behandlung der Ranken-
führung gekommen sind, aus dem Gesammtcharakter der saracenischen
Kunst heraus geliefert.
Betraf der besprochene erste Punkt, in dem sich die Arabeske
vom klassisch-antiken Rankenornament fundamental unterscheidet, die
Führung der Rankenlinien, so beruht der zweite, nicht minder wesent-
liche Differenzpunkt in der Behandlung der an die Rankenlinien
angesetzten Blüthenmotive. Und zwar sind es nicht so sehr die
Motive selbst, die den wesentlichen Unterschied begründen: wir werden
im 14. Jahrh. Beispiele saracenischer Rankenmuster (Fig. 189 b, c)
kennen lernen, die den griechischen der besten Zeit überaus nahe
stehen; andererseits werden uns bereits im 5. Jahr. n. Chr., also noch
unter voller Herrschaft der späten Antike, Blüthenformen von einer so
weitgediehenen Rückstilisirung in’s Abstrakte (Fig. 142) begegnen, wie
sie auch an den gegebenen Beispielen aus dem 15. (Fig. 139) und
19. Jahrh. (Fig. 138) nicht übertroffen erscheinen. Es ist vielmehr das
Verhältniss der Blume zu der Ranke, an welcher sie haftet, wodurch
sich das Arabeskenornament vom klassisch-antiken abermals in ganz
grundsätzlicher Weise unterscheidet.
In der antiken Rankenornamentik setzen die Blüthenmotive der-
maassen an die Hauptranke an, dass von letzterer kleine Schösslinge
abzweigen, an deren Ende dann die Blume versetzt wird. Das Ver-
hältniss ist somit das gleiche wie in der Natur: der Stiel, der Schaft
ist das untere; die Blume ist die Bekrönung, die freie Endigung.
Betrachten wir dagegen das Motiv a in Fig. 139 12). Die beiden
Theile, in welche sich dieses Motiv von zweifellos vegetabilischer Be-
deutung gabelt, bilden nicht die freien Endigungen der ihnen zur Basis
dienenden Rankeneinrollung, sondern sie verdünnen sich gegen das
Ende zu in neuerliche Ranken: die eine endigt schliesslich in eine
Kugel, welcher, sei es eine kleine spiralige Einrollung, sei es ein frei
auslaufendes Drei- oder Halbblatt, zu Grunde liegt; die andere bildet
mit einem zweiten gleichfalls von einer Gabelranke herkommenden
Schössling einen Kielbogen, an den sich ein grösseres, die freie Eck-
lösung bildendes Dreiblatt ansetzt. Gemäss früheren Ausführungen
werden wir die Gabelranke a als unfrei bezeichnen.
12) An Fig. 138 aus dem 19. Jahrh. ist das bezügliche Verhältniss natür-
lich nur ein womöglich noch entschiedeneres und vorgeschritteneres.
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