Das Gleiche gilt von der Halbpalmette c. Das spitz zulaufende Ende derselben setzt sich fort in einer Ranke, aus der sich im weiteren Verlaufe eine Gabelranke entfaltet. Aber selbst auf die vollen Pal- metten erstreckt sich diese eigenthümliche Verquickung der Ranke mit der Blüthe. In Fig. 139 tritt diese zwar nicht besonders augenfällig zu Tage, da die zwei Gabelranken, die von dem mittleren Dreiblatt in dem schwarz grundirten sphärischen Polygon abzweigen, nicht an das spitze Ende, sondern an die Seiten des kielbogenförmigen Blattes an- setzen. Deutlicher ist es an Fig. 138 an dem Dreiblatt etwas rechts von der Mitte zu sehen13).
Ob wir uns nun unter den bezüglichen Motiven Blumen oder Blätter oder Knospen vorzustellen haben: die Eigenthümlichkeit, von der krönenden Spitze derselben die Ranken weiter laufen zu lassen, verstösst in jedem Falle wider die Natur. Es offenbart sich darin zweifellos wiederum jener ausgesprochen antinaturalistische Zug, den wir schon als für die Behandlung der Rankenlinien so wesentlich maassgebend befunden haben. Die klassisch-antike Ornamentik hat sich diese Freiheit anscheinend nicht erlaubt. Anscheinend, sofern man nämlich bloss die vollen und wirklichen Blumenmotive (Pal- metten u. s. w.) im Auge hat. Erinnern wir uns aber an den Schluss- punkt unserer Betrachtungen über den Entwicklungsprocess des flach stilisirten griechischen Palmettenrankenornaments in hellenistischer Zeit, den wir bereits ausdrücklich (S. 243 f.) als den Ausgangspunkt für das Aufkommen der unfreien Halbpalmetten bezeichnet haben; ferner an das Resultat unserer Untersuchungen über die Akanthusranke in römischer Zeit (S. 255), an der wir ein Uebergreifen der gleichen Ten- denz auf das plastisch-naturalistische Rankenornament feststellen konnten. Wenn wir dortselbst noch Bedenken gehabt haben, ob die in der un- freien Behandlung der Halbpalmetten zum Ausdruck gelangte anti- naturalistische Tendenz den antiken Künstlern zum klaren Bewusstsein gekommen ist, so dürfen wir diese Bedenken der Arabeske gegenüber völlig fahren lassen. Wir haben daher die betreffenden Motive in Fig. 139 schlankweg als saracenische Halbpalmetten bezeichnet. Der Sache und der Herkunft nach sind sie (sowie die Gabelranken) nichts Anderes als die Zwickelfüllungen der klassisch-antiken Ranke. Den Uebergangs- process zwischen beiden im Einzelnen aufzuzeigen, wird den Gegenstand
13) Der Rankenschössling, der rechts von der Spitze dieses Dreiblattes ab- zweigen soll, erscheint infolge eines Fehlers in der Kopie unterhalb der Spitze angesetzt.
Die Arabeske.
Das Gleiche gilt von der Halbpalmette c. Das spitz zulaufende Ende derselben setzt sich fort in einer Ranke, aus der sich im weiteren Verlaufe eine Gabelranke entfaltet. Aber selbst auf die vollen Pal- metten erstreckt sich diese eigenthümliche Verquickung der Ranke mit der Blüthe. In Fig. 139 tritt diese zwar nicht besonders augenfällig zu Tage, da die zwei Gabelranken, die von dem mittleren Dreiblatt in dem schwarz grundirten sphärischen Polygon abzweigen, nicht an das spitze Ende, sondern an die Seiten des kielbogenförmigen Blattes an- setzen. Deutlicher ist es an Fig. 138 an dem Dreiblatt etwas rechts von der Mitte zu sehen13).
Ob wir uns nun unter den bezüglichen Motiven Blumen oder Blätter oder Knospen vorzustellen haben: die Eigenthümlichkeit, von der krönenden Spitze derselben die Ranken weiter laufen zu lassen, verstösst in jedem Falle wider die Natur. Es offenbart sich darin zweifellos wiederum jener ausgesprochen antinaturalistische Zug, den wir schon als für die Behandlung der Rankenlinien so wesentlich maassgebend befunden haben. Die klassisch-antike Ornamentik hat sich diese Freiheit anscheinend nicht erlaubt. Anscheinend, sofern man nämlich bloss die vollen und wirklichen Blumenmotive (Pal- metten u. s. w.) im Auge hat. Erinnern wir uns aber an den Schluss- punkt unserer Betrachtungen über den Entwicklungsprocess des flach stilisirten griechischen Palmettenrankenornaments in hellenistischer Zeit, den wir bereits ausdrücklich (S. 243 f.) als den Ausgangspunkt für das Aufkommen der unfreien Halbpalmetten bezeichnet haben; ferner an das Resultat unserer Untersuchungen über die Akanthusranke in römischer Zeit (S. 255), an der wir ein Uebergreifen der gleichen Ten- denz auf das plastisch-naturalistische Rankenornament feststellen konnten. Wenn wir dortselbst noch Bedenken gehabt haben, ob die in der un- freien Behandlung der Halbpalmetten zum Ausdruck gelangte anti- naturalistische Tendenz den antiken Künstlern zum klaren Bewusstsein gekommen ist, so dürfen wir diese Bedenken der Arabeske gegenüber völlig fahren lassen. Wir haben daher die betreffenden Motive in Fig. 139 schlankweg als saracenische Halbpalmetten bezeichnet. Der Sache und der Herkunft nach sind sie (sowie die Gabelranken) nichts Anderes als die Zwickelfüllungen der klassisch-antiken Ranke. Den Uebergangs- process zwischen beiden im Einzelnen aufzuzeigen, wird den Gegenstand
13) Der Rankenschössling, der rechts von der Spitze dieses Dreiblattes ab- zweigen soll, erscheint infolge eines Fehlers in der Kopie unterhalb der Spitze angesetzt.
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Die Arabeske.
Das Gleiche gilt von der Halbpalmette c. Das spitz zulaufende
Ende derselben setzt sich fort in einer Ranke, aus der sich im weiteren
Verlaufe eine Gabelranke entfaltet. Aber selbst auf die vollen Pal-
metten erstreckt sich diese eigenthümliche Verquickung der Ranke mit
der Blüthe. In Fig. 139 tritt diese zwar nicht besonders augenfällig zu
Tage, da die zwei Gabelranken, die von dem mittleren Dreiblatt in
dem schwarz grundirten sphärischen Polygon abzweigen, nicht an das
spitze Ende, sondern an die Seiten des kielbogenförmigen Blattes an-
setzen. Deutlicher ist es an Fig. 138 an dem Dreiblatt etwas rechts
von der Mitte zu sehen 13).
Ob wir uns nun unter den bezüglichen Motiven Blumen oder
Blätter oder Knospen vorzustellen haben: die Eigenthümlichkeit, von
der krönenden Spitze derselben die Ranken weiter laufen zu lassen,
verstösst in jedem Falle wider die Natur. Es offenbart sich darin
zweifellos wiederum jener ausgesprochen antinaturalistische Zug, den
wir schon als für die Behandlung der Rankenlinien so wesentlich
maassgebend befunden haben. Die klassisch-antike Ornamentik hat
sich diese Freiheit anscheinend nicht erlaubt. Anscheinend, sofern
man nämlich bloss die vollen und wirklichen Blumenmotive (Pal-
metten u. s. w.) im Auge hat. Erinnern wir uns aber an den Schluss-
punkt unserer Betrachtungen über den Entwicklungsprocess des flach
stilisirten griechischen Palmettenrankenornaments in hellenistischer
Zeit, den wir bereits ausdrücklich (S. 243 f.) als den Ausgangspunkt für
das Aufkommen der unfreien Halbpalmetten bezeichnet haben; ferner
an das Resultat unserer Untersuchungen über die Akanthusranke in
römischer Zeit (S. 255), an der wir ein Uebergreifen der gleichen Ten-
denz auf das plastisch-naturalistische Rankenornament feststellen konnten.
Wenn wir dortselbst noch Bedenken gehabt haben, ob die in der un-
freien Behandlung der Halbpalmetten zum Ausdruck gelangte anti-
naturalistische Tendenz den antiken Künstlern zum klaren Bewusstsein
gekommen ist, so dürfen wir diese Bedenken der Arabeske gegenüber
völlig fahren lassen. Wir haben daher die betreffenden Motive in
Fig. 139 schlankweg als saracenische Halbpalmetten bezeichnet. Der Sache
und der Herkunft nach sind sie (sowie die Gabelranken) nichts Anderes
als die Zwickelfüllungen der klassisch-antiken Ranke. Den Uebergangs-
process zwischen beiden im Einzelnen aufzuzeigen, wird den Gegenstand
13) Der Rankenschössling, der rechts von der Spitze dieses Dreiblattes ab-
zweigen soll, erscheint infolge eines Fehlers in der Kopie unterhalb der Spitze
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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/296>, abgerufen am 23.12.2024.
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