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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
ist ferner die in der geringen Gliederung dieser gegabelten Akanthus-
halbblätter sich verrathende Neigung zur Stilisirung in's Flache, Geo-
metrisch-Schematische.

Die gegebenen Beispiele stammen sämmtlich von Bauten der spä-
teren römischen Kaiserzeit. Die vollständige Akanthisirung der inter-
mittirenden Wellenranke in Motiven und Verbindungslinien lässt sich
aber schon weit früher nachweisen. Ich gebe zwei Beispiele vom
Forum des Nerva. Fig. 13567) zeigt von Motiven die alten Lotus-
blüthen und die Palmetten mit seitlich überfallenden Blättern, diese
letzteren in rhythmischer Abwechslung entweder flach oder akanthisirt,
wobei allerdings selbst die flach stilisirten Blätter durch das lebendige
Umstülpen ihrer keulenartigen Enden eine unverkennbare Neigung
zur naturalistischen Bildung verrathen. Die Verbindung ist durchweg
durch Akanthushalbblätter hergestellt, zwischen denen Rankenstengel

[Abbildung] Fig. 135.

Fries vom Nerva-Forum.

gar nicht sichtbar werden. Das Hauptblatt zwar hat die für das
römische Akanthushalbblatt typische Krümmung des Spitzendes nach
Aussen aufzuweisen, aber darunter läuft kein Stengel, sondern aber-
mals ein Akanthushalbblatt hinweg, das im Ueberfallen mit einem
zweiten seinesgleichen den Kelch für das nächste Blüthenmotiv bildet.
Sowohl aus dem Kelch wie aus den Verbindungskurven sind die
linearen oder bandartigen Rankenstengel verschwunden, und an ihre
Stelle die zu solcher Funktion von Natur aus ungeeigneten Akanthus-
halbblätter getreten.

Den Schlusspunkt der ganzen Entwicklung bietet Fig. 13668). Von
Blüthen wiederholt sich anscheinend bloss ein Motiv -- eine Lotus-
blüthe -- mit alternirenden geringen Varianten. Die Richtung ist eine
einseitige, so dass es fast den Anschein hat, als ob uns hier nur ein
Bogenfries vorläge. Und doch braucht man nur den Verlauf der

67) Moreau, Fragments d'architecture. Taf. 14, No. 3.
68) Moreau, ebenda, No. 5.

B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
ist ferner die in der geringen Gliederung dieser gegabelten Akanthus-
halbblätter sich verrathende Neigung zur Stilisirung in’s Flache, Geo-
metrisch-Schematische.

Die gegebenen Beispiele stammen sämmtlich von Bauten der spä-
teren römischen Kaiserzeit. Die vollständige Akanthisirung der inter-
mittirenden Wellenranke in Motiven und Verbindungslinien lässt sich
aber schon weit früher nachweisen. Ich gebe zwei Beispiele vom
Forum des Nerva. Fig. 13567) zeigt von Motiven die alten Lotus-
blüthen und die Palmetten mit seitlich überfallenden Blättern, diese
letzteren in rhythmischer Abwechslung entweder flach oder akanthisirt,
wobei allerdings selbst die flach stilisirten Blätter durch das lebendige
Umstülpen ihrer keulenartigen Enden eine unverkennbare Neigung
zur naturalistischen Bildung verrathen. Die Verbindung ist durchweg
durch Akanthushalbblätter hergestellt, zwischen denen Rankenstengel

[Abbildung] Fig. 135.

Fries vom Nerva-Forum.

gar nicht sichtbar werden. Das Hauptblatt zwar hat die für das
römische Akanthushalbblatt typische Krümmung des Spitzendes nach
Aussen aufzuweisen, aber darunter läuft kein Stengel, sondern aber-
mals ein Akanthushalbblatt hinweg, das im Ueberfallen mit einem
zweiten seinesgleichen den Kelch für das nächste Blüthenmotiv bildet.
Sowohl aus dem Kelch wie aus den Verbindungskurven sind die
linearen oder bandartigen Rankenstengel verschwunden, und an ihre
Stelle die zu solcher Funktion von Natur aus ungeeigneten Akanthus-
halbblätter getreten.

Den Schlusspunkt der ganzen Entwicklung bietet Fig. 13668). Von
Blüthen wiederholt sich anscheinend bloss ein Motiv — eine Lotus-
blüthe — mit alternirenden geringen Varianten. Die Richtung ist eine
einseitige, so dass es fast den Anschein hat, als ob uns hier nur ein
Bogenfries vorläge. Und doch braucht man nur den Verlauf der

67) Moreau, Fragments d’architecture. Taf. 14, No. 3.
68) Moreau, ebenda, No. 5.
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[256/0282] B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. ist ferner die in der geringen Gliederung dieser gegabelten Akanthus- halbblätter sich verrathende Neigung zur Stilisirung in’s Flache, Geo- metrisch-Schematische. Die gegebenen Beispiele stammen sämmtlich von Bauten der spä- teren römischen Kaiserzeit. Die vollständige Akanthisirung der inter- mittirenden Wellenranke in Motiven und Verbindungslinien lässt sich aber schon weit früher nachweisen. Ich gebe zwei Beispiele vom Forum des Nerva. Fig. 135 67) zeigt von Motiven die alten Lotus- blüthen und die Palmetten mit seitlich überfallenden Blättern, diese letzteren in rhythmischer Abwechslung entweder flach oder akanthisirt, wobei allerdings selbst die flach stilisirten Blätter durch das lebendige Umstülpen ihrer keulenartigen Enden eine unverkennbare Neigung zur naturalistischen Bildung verrathen. Die Verbindung ist durchweg durch Akanthushalbblätter hergestellt, zwischen denen Rankenstengel [Abbildung Fig. 135. Fries vom Nerva-Forum.] gar nicht sichtbar werden. Das Hauptblatt zwar hat die für das römische Akanthushalbblatt typische Krümmung des Spitzendes nach Aussen aufzuweisen, aber darunter läuft kein Stengel, sondern aber- mals ein Akanthushalbblatt hinweg, das im Ueberfallen mit einem zweiten seinesgleichen den Kelch für das nächste Blüthenmotiv bildet. Sowohl aus dem Kelch wie aus den Verbindungskurven sind die linearen oder bandartigen Rankenstengel verschwunden, und an ihre Stelle die zu solcher Funktion von Natur aus ungeeigneten Akanthus- halbblätter getreten. Den Schlusspunkt der ganzen Entwicklung bietet Fig. 136 68). Von Blüthen wiederholt sich anscheinend bloss ein Motiv — eine Lotus- blüthe — mit alternirenden geringen Varianten. Die Richtung ist eine einseitige, so dass es fast den Anschein hat, als ob uns hier nur ein Bogenfries vorläge. Und doch braucht man nur den Verlauf der 67) Moreau, Fragments d’architecture. Taf. 14, No. 3. 68) Moreau, ebenda, No. 5.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/282>, abgerufen am 12.05.2024.