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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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10. Das hellenistische und römische Pflanzenrankenornament.
Und zwar vermissen wir an denselben die auswärts gekrümmten Schei-
telenden, (S. 252), so dass das Blatt beiderseits, nicht bloss vom Ansatz
sondern auch von dem spitzen Ende weg rankenmässig weiter zu laufen
scheint, um schliesslich umzubiegen und den Kelch für die benachbarte
Palmette zu bilden. Wir sehen hier somit vollzogen, was uns schon
am flachen Halbpalmetten-Ornament der hellenistischen Zeit (Fig. 125,
127) entgegen zu treten schien, aber in der plastisch-perspektivischen
Rankenornamentik durch Umstülpen der Halbblatt-Enden bisher stets
wieder verneint und beseitigt wurde: das Akanthushalbblatt wird
unfrei, es verwächst mit der Ranke, wird selbst zur Ranke
indem es deren verbindende Funktion erfüllt
. Da letztere
Funktion in der Natur nicht den Blättern, sondern den Stielen zukommt,
erscheint hiedurch ein antinaturalistischer Zug in der Ornamentik zum
unzweideutigen Ausdruck gebracht. Was in der geometrisirenden flachen
[Abbildung] Fig. 134.

Gesimsornament vom Oktogontempel zu Spatato.

Palmetten-Rankenornamentik der hellenistischen Zeit schon angebahnt
und wenigstens schematisch begründet worden ist, das sehen wir nun
in spätrömischer Zeit, unter dem befruchtenden Einflusse einer allmälig
zur Geltung gelangten Reaction nach der geometrischen Seite hin
greifbar plastische Formen annehmen.

Betrachten wir noch Fig. 134, abermals vom Jupitertempel zu
Spalato65). Es ist dies im Wesentlichen eine Wiederholung von
Fig. 133: die gleichen Motive66), und die verbindenden Ranken zu
Akanthushalbblättern umgestaltet. Diese verbindenden Halbblätter
schwingen sich nicht in gleichmässiger Fiederung von einer Palmette
zur anderen, sondern sie gabeln sich in der Mitte. Bemerkenswerth

65) Adam a. a. O. 36.
66) Der Zug in's Schnörkelhafte, der hier den Kelchblättern der gespreng-
ten Palmetten gegeben erscheint, kehrt am Akanthusornament der Diocletia-
nischen Bauten (z. B. an der Thür des Jupitertempels) öfter wieder. Es ist
wohl der gleiche Zug, der z. B. an einer Gruppe von Goldschmiedesachen
aus dem Fund von Nagy St. Miklos so charakteristisch entgegentritt.

10. Das hellenistische und römische Pflanzenrankenornament.
Und zwar vermissen wir an denselben die auswärts gekrümmten Schei-
telenden, (S. 252), so dass das Blatt beiderseits, nicht bloss vom Ansatz
sondern auch von dem spitzen Ende weg rankenmässig weiter zu laufen
scheint, um schliesslich umzubiegen und den Kelch für die benachbarte
Palmette zu bilden. Wir sehen hier somit vollzogen, was uns schon
am flachen Halbpalmetten-Ornament der hellenistischen Zeit (Fig. 125,
127) entgegen zu treten schien, aber in der plastisch-perspektivischen
Rankenornamentik durch Umstülpen der Halbblatt-Enden bisher stets
wieder verneint und beseitigt wurde: das Akanthushalbblatt wird
unfrei, es verwächst mit der Ranke, wird selbst zur Ranke
indem es deren verbindende Funktion erfüllt
. Da letztere
Funktion in der Natur nicht den Blättern, sondern den Stielen zukommt,
erscheint hiedurch ein antinaturalistischer Zug in der Ornamentik zum
unzweideutigen Ausdruck gebracht. Was in der geometrisirenden flachen
[Abbildung] Fig. 134.

Gesimsornament vom Oktogontempel zu Spatato.

Palmetten-Rankenornamentik der hellenistischen Zeit schon angebahnt
und wenigstens schematisch begründet worden ist, das sehen wir nun
in spätrömischer Zeit, unter dem befruchtenden Einflusse einer allmälig
zur Geltung gelangten Reaction nach der geometrischen Seite hin
greifbar plastische Formen annehmen.

Betrachten wir noch Fig. 134, abermals vom Jupitertempel zu
Spalato65). Es ist dies im Wesentlichen eine Wiederholung von
Fig. 133: die gleichen Motive66), und die verbindenden Ranken zu
Akanthushalbblättern umgestaltet. Diese verbindenden Halbblätter
schwingen sich nicht in gleichmässiger Fiederung von einer Palmette
zur anderen, sondern sie gabeln sich in der Mitte. Bemerkenswerth

65) Adam a. a. O. 36.
66) Der Zug in’s Schnörkelhafte, der hier den Kelchblättern der gespreng-
ten Palmetten gegeben erscheint, kehrt am Akanthusornament der Diocletia-
nischen Bauten (z. B. an der Thür des Jupitertempels) öfter wieder. Es ist
wohl der gleiche Zug, der z. B. an einer Gruppe von Goldschmiedesachen
aus dem Fund von Nagy St. Miklos so charakteristisch entgegentritt.
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[255/0281] 10. Das hellenistische und römische Pflanzenrankenornament. Und zwar vermissen wir an denselben die auswärts gekrümmten Schei- telenden, (S. 252), so dass das Blatt beiderseits, nicht bloss vom Ansatz sondern auch von dem spitzen Ende weg rankenmässig weiter zu laufen scheint, um schliesslich umzubiegen und den Kelch für die benachbarte Palmette zu bilden. Wir sehen hier somit vollzogen, was uns schon am flachen Halbpalmetten-Ornament der hellenistischen Zeit (Fig. 125, 127) entgegen zu treten schien, aber in der plastisch-perspektivischen Rankenornamentik durch Umstülpen der Halbblatt-Enden bisher stets wieder verneint und beseitigt wurde: das Akanthushalbblatt wird unfrei, es verwächst mit der Ranke, wird selbst zur Ranke indem es deren verbindende Funktion erfüllt. Da letztere Funktion in der Natur nicht den Blättern, sondern den Stielen zukommt, erscheint hiedurch ein antinaturalistischer Zug in der Ornamentik zum unzweideutigen Ausdruck gebracht. Was in der geometrisirenden flachen [Abbildung Fig. 134. Gesimsornament vom Oktogontempel zu Spatato.] Palmetten-Rankenornamentik der hellenistischen Zeit schon angebahnt und wenigstens schematisch begründet worden ist, das sehen wir nun in spätrömischer Zeit, unter dem befruchtenden Einflusse einer allmälig zur Geltung gelangten Reaction nach der geometrischen Seite hin greifbar plastische Formen annehmen. Betrachten wir noch Fig. 134, abermals vom Jupitertempel zu Spalato 65). Es ist dies im Wesentlichen eine Wiederholung von Fig. 133: die gleichen Motive 66), und die verbindenden Ranken zu Akanthushalbblättern umgestaltet. Diese verbindenden Halbblätter schwingen sich nicht in gleichmässiger Fiederung von einer Palmette zur anderen, sondern sie gabeln sich in der Mitte. Bemerkenswerth 65) Adam a. a. O. 36. 66) Der Zug in’s Schnörkelhafte, der hier den Kelchblättern der gespreng- ten Palmetten gegeben erscheint, kehrt am Akanthusornament der Diocletia- nischen Bauten (z. B. an der Thür des Jupitertempels) öfter wieder. Es ist wohl der gleiche Zug, der z. B. an einer Gruppe von Goldschmiedesachen aus dem Fund von Nagy St. Miklos so charakteristisch entgegentritt.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/281>, abgerufen am 23.12.2024.