Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.Einleitung. Ornamentenschatzes der Menschheit beigetragen haben. Aber denselbenzum allein maassgebenden Faktor zu stempeln, heisst in den gleichen Fehler verfallen, wie Diejenigen, die die Technik für einen solchen Faktor ansehen möchten. Mit diesen letzteren berührt sich Goodyear übrigens überaus nahe in dem sichtlichen Bestreben, rein psychisch- künstlerische Beweggründe für die Erklärung ornamentaler Er- scheinungen womöglich zu vermeiden. Wo der Mensch augenschein- lich einem immanenten künstlerischen Schaffungstriebe gefolgt ist, dort lässt Goodyear den Symbolismus walten, ebenso wie die Kunstmateria- listen in dem gleichen Falle die Technik, den zufälligen todten Zweck in's Feld führen. Was andererseits die fast schrankenlose Ausdehnung der Vorbild- Die überwiegende Bedeutung, die dem Pflanzenornament inner- Einleitung. Ornamentenschatzes der Menschheit beigetragen haben. Aber denselbenzum allein maassgebenden Faktor zu stempeln, heisst in den gleichen Fehler verfallen, wie Diejenigen, die die Technik für einen solchen Faktor ansehen möchten. Mit diesen letzteren berührt sich Goodyear übrigens überaus nahe in dem sichtlichen Bestreben, rein psychisch- künstlerische Beweggründe für die Erklärung ornamentaler Er- scheinungen womöglich zu vermeiden. Wo der Mensch augenschein- lich einem immanenten künstlerischen Schaffungstriebe gefolgt ist, dort lässt Goodyear den Symbolismus walten, ebenso wie die Kunstmateria- listen in dem gleichen Falle die Technik, den zufälligen todten Zweck in’s Feld führen. Was andererseits die fast schrankenlose Ausdehnung der Vorbild- Die überwiegende Bedeutung, die dem Pflanzenornament inner- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0018" n="XII"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/> Ornamentenschatzes der Menschheit beigetragen haben. Aber denselben<lb/> zum allein maassgebenden Faktor zu stempeln, heisst in den gleichen<lb/> Fehler verfallen, wie Diejenigen, die die Technik für einen solchen<lb/> Faktor ansehen möchten. Mit diesen letzteren berührt sich Goodyear<lb/> übrigens überaus nahe in dem sichtlichen Bestreben, rein psychisch-<lb/> künstlerische Beweggründe für die Erklärung ornamentaler Er-<lb/> scheinungen womöglich zu vermeiden. Wo der Mensch augenschein-<lb/> lich einem immanenten künstlerischen Schaffungstriebe gefolgt ist, dort<lb/> lässt Goodyear den Symbolismus walten, ebenso wie die Kunstmateria-<lb/> listen in dem gleichen Falle die Technik, den zufälligen todten Zweck<lb/> in’s Feld führen.</p><lb/> <p>Was andererseits die fast schrankenlose Ausdehnung der Vorbild-<lb/> lichkeit des Lotus auf alle Gebiete der antiken Ornamentik (z. B. selbst<lb/> auf die prähistorischen Zickzackbänder) anbelangt, so liegt auch hierin<lb/> eine Uebertreibung gleich derjenigen, welcher sich die Kunstmateria-<lb/> listen und die Darwinisten hingegeben haben. So will Goodyear his-<lb/> torische Zusammenhänge an vielen Punkten erblicken, wo eine be-<lb/> sonnene Forschung sie unbedingt zurückweisen muss. Da er überall<lb/> nur Uniformes sehen will, trübt er sich geflissentlich den Blick für<lb/> feinere Unterscheidungen. Auf diese Weise konnte es gar nicht anders<lb/> geschehen, als dass er u. a. den <hi rendition="#g">echt hellenischen Kern in der<lb/> mykenischen Ornamentik</hi> übersah, und damit zugleich den viel-<lb/> leicht wichtigsten Punkt in der gesammten Entwicklung der klassi-<lb/> schen Ornamentik unberücksichtigt liess.</p><lb/> <p>Die überwiegende Bedeutung, die dem Pflanzenornament inner-<lb/> halb der antiken Ornamentik sowohl an und für sich, als mit Bezug<lb/> auf eine richtige Beurtheilung und Würdigung dieser Ornamentik inner-<lb/> halb der Gesammtgeschichte der dekorativen Künste zukommt, hat<lb/> Goodyear ebenso klar erkannt, wie schon viele andere Forscher vor<lb/> ihm. Im Wintersemester 1890/91 habe ich an der Wiener Universität<lb/> Vorlesungen über eine „Geschichte der Ornamentik“ gehalten, inner-<lb/> halb welcher der Darstellung der Entwicklung des Pflanzenornaments<lb/> von frühester antiker Zeit an der vornehmste Platz eingeräumt war.<lb/> Ein Theil vom Inhalte dieser Vorlesungen ist es, den ich im 3. Kapitel<lb/> dieses Buches wiedergebe, mit geringen Zusätzen, die hauptsächlich<lb/> durch die nothwendig gewordenen Beziehungen auf das mittlerweile<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [XII/0018]
Einleitung.
Ornamentenschatzes der Menschheit beigetragen haben. Aber denselben
zum allein maassgebenden Faktor zu stempeln, heisst in den gleichen
Fehler verfallen, wie Diejenigen, die die Technik für einen solchen
Faktor ansehen möchten. Mit diesen letzteren berührt sich Goodyear
übrigens überaus nahe in dem sichtlichen Bestreben, rein psychisch-
künstlerische Beweggründe für die Erklärung ornamentaler Er-
scheinungen womöglich zu vermeiden. Wo der Mensch augenschein-
lich einem immanenten künstlerischen Schaffungstriebe gefolgt ist, dort
lässt Goodyear den Symbolismus walten, ebenso wie die Kunstmateria-
listen in dem gleichen Falle die Technik, den zufälligen todten Zweck
in’s Feld führen.
Was andererseits die fast schrankenlose Ausdehnung der Vorbild-
lichkeit des Lotus auf alle Gebiete der antiken Ornamentik (z. B. selbst
auf die prähistorischen Zickzackbänder) anbelangt, so liegt auch hierin
eine Uebertreibung gleich derjenigen, welcher sich die Kunstmateria-
listen und die Darwinisten hingegeben haben. So will Goodyear his-
torische Zusammenhänge an vielen Punkten erblicken, wo eine be-
sonnene Forschung sie unbedingt zurückweisen muss. Da er überall
nur Uniformes sehen will, trübt er sich geflissentlich den Blick für
feinere Unterscheidungen. Auf diese Weise konnte es gar nicht anders
geschehen, als dass er u. a. den echt hellenischen Kern in der
mykenischen Ornamentik übersah, und damit zugleich den viel-
leicht wichtigsten Punkt in der gesammten Entwicklung der klassi-
schen Ornamentik unberücksichtigt liess.
Die überwiegende Bedeutung, die dem Pflanzenornament inner-
halb der antiken Ornamentik sowohl an und für sich, als mit Bezug
auf eine richtige Beurtheilung und Würdigung dieser Ornamentik inner-
halb der Gesammtgeschichte der dekorativen Künste zukommt, hat
Goodyear ebenso klar erkannt, wie schon viele andere Forscher vor
ihm. Im Wintersemester 1890/91 habe ich an der Wiener Universität
Vorlesungen über eine „Geschichte der Ornamentik“ gehalten, inner-
halb welcher der Darstellung der Entwicklung des Pflanzenornaments
von frühester antiker Zeit an der vornehmste Platz eingeräumt war.
Ein Theil vom Inhalte dieser Vorlesungen ist es, den ich im 3. Kapitel
dieses Buches wiedergebe, mit geringen Zusätzen, die hauptsächlich
durch die nothwendig gewordenen Beziehungen auf das mittlerweile
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |