anrichten kann, und seinen Tadel der göttlichen Regierung unter dem Namen der poetischen Gerechtigkeit verstecken?
Man hat sich um so viel mehr Mühe gege- ben, den Einwürfen, die von dem Begrif der poetischen Gerechtigkeit hergenommen sind, zu begegnen, da die Lehre, welche man darauf bauet, allgemein angenommen ist; und man gestehen muß, daß sie durch die Menschen- liebe und ein gutes Herz unterstützet zu wer- den scheinet.
Dennoch aber ist der Verfasser u. s. w.
Th. VII. S. 906. L. 7. nach den Wor- ten: belohnet werden könnten.
Es ist noch übrig, daß wir, unserm Ver- sprechen gemäß, die übrigen Einwürfe, die uns bekannt geworden sind, beantworten. Man hat gesagt: Weil dies Werk eine Geschichte des menschlichen Lebens und der Sitten seyn sollte, so müßten billig die Characktere, die man zum Muster vorstellen wollen, so weni- gem Tadel unterworfen seyn, als es die Absicht des ganzen Werks, und die menschliche Natur nur immer zuliesse.
Verschiedne haben die Heldin getadelt, als wenn sie zu kaltsinnig in ihrer Liebe, zu stolz, und zuweilen gar bitter sei. Allein wir kön- nen ohne Bedenken behaupten, daß dieser Ein- wurf von einem Mangel der Aufmerksamkeit auf die Geschichte, auf den Charackter der Cla-
rissa,
anrichten kann, und ſeinen Tadel der goͤttlichen Regierung unter dem Namen der poetiſchen Gerechtigkeit verſtecken?
Man hat ſich um ſo viel mehr Muͤhe gege- ben, den Einwuͤrfen, die von dem Begrif der poetiſchen Gerechtigkeit hergenommen ſind, zu begegnen, da die Lehre, welche man darauf bauet, allgemein angenommen iſt; und man geſtehen muß, daß ſie durch die Menſchen- liebe und ein gutes Herz unterſtuͤtzet zu wer- den ſcheinet.
Dennoch aber iſt der Verfaſſer u. ſ. w.
Th. VII. S. 906. L. 7. nach den Wor- ten: belohnet werden koͤnnten.
Es iſt noch uͤbrig, daß wir, unſerm Ver- ſprechen gemaͤß, die uͤbrigen Einwuͤrfe, die uns bekannt geworden ſind, beantworten. Man hat geſagt: Weil dies Werk eine Geſchichte des menſchlichen Lebens und der Sitten ſeyn ſollte, ſo muͤßten billig die Characktere, die man zum Muſter vorſtellen wollen, ſo weni- gem Tadel unterworfen ſeyn, als es die Abſicht des ganzen Werks, und die menſchliche Natur nur immer zulieſſe.
Verſchiedne haben die Heldin getadelt, als wenn ſie zu kaltſinnig in ihrer Liebe, zu ſtolz, und zuweilen gar bitter ſei. Allein wir koͤn- nen ohne Bedenken behaupten, daß dieſer Ein- wurf von einem Mangel der Aufmerkſamkeit auf die Geſchichte, auf den Charackter der Cla-
riſſa,
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anrichten kann, und ſeinen Tadel der goͤttlichen
Regierung unter dem Namen der poetiſchen
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Man hat ſich um ſo viel mehr Muͤhe gege-
ben, den Einwuͤrfen, die von dem Begrif der
poetiſchen Gerechtigkeit hergenommen ſind,
zu begegnen, da die Lehre, welche man darauf
bauet, allgemein angenommen iſt; und man
geſtehen muß, daß ſie durch die Menſchen-
liebe und ein gutes Herz unterſtuͤtzet zu wer-
den ſcheinet.
Dennoch aber iſt der Verfaſſer u. ſ. w.
Th. VII. S. 906. L. 7. nach den Wor-
ten: belohnet werden koͤnnten.
Es iſt noch uͤbrig, daß wir, unſerm Ver-
ſprechen gemaͤß, die uͤbrigen Einwuͤrfe, die uns
bekannt geworden ſind, beantworten. Man
hat geſagt: Weil dies Werk eine Geſchichte
des menſchlichen Lebens und der Sitten ſeyn
ſollte, ſo muͤßten billig die Characktere, die
man zum Muſter vorſtellen wollen, ſo weni-
gem Tadel unterworfen ſeyn, als es die Abſicht
des ganzen Werks, und die menſchliche Natur
nur immer zulieſſe.
Verſchiedne haben die Heldin getadelt, als
wenn ſie zu kaltſinnig in ihrer Liebe, zu ſtolz,
und zuweilen gar bitter ſei. Allein wir koͤn-
nen ohne Bedenken behaupten, daß dieſer Ein-
wurf von einem Mangel der Aufmerkſamkeit
auf die Geſchichte, auf den Charackter der Cla-
riſſa,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/354>, abgerufen am 16.02.2025.
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