"wie klein die Glückseligkeit aller Sterb- "lichen sei!"
Aber von unendlich grösserem Gewichte als alles, was bisher hievon angeführet, sind die Worte des Assaphs: (*)
"Jch hätte schier gestrauchelt mit meinen Füs- "sen, mein Tritt hätte beinahe geglitten. Denn "es verdroß mich auf die Ruhmräthigen, da "ich sahe, daß es den Gottlosen so wol gieng. "Denn sie stehen fest, wie ein Pallast. Sie sind "nicht im Unglück, wie andere Leute, und werden "nicht wie andere Menschen geplagt. - - Jhre "Person brüstet sich, wie ein Wanst; sie haben "mehr, als ihr Herz wünschen kann. - - Solls "denn umsonst seyn, daß ich meine Hände in "Unschuld wasche? Und bin geplaget täglich? "und meine Strafe ist alle Morgen da? Jch "gedachte ihm nach, daß ichs begreifen möchte, "aber es war mir zu schwer. Bis daß ich gieng "in das Heiligthum GOttes, und merkte auf "ihr Ende. - - Du leitest mich, HErr, nach dei- "nem Rath, und nimmst mich endlich mit Eh- "ren an."
Dies ist der Trost, womit sich der göttliche Dichter beruhigte. Soll denn der Mensch sich herausnehmen, den gemeinen Lauf der Natur zu verändern, und, so weit er kann, die Ord- nung zu unterbrechen, woran die schwachen Sterblichen durchaus gebunden sind? Darf er sich einbilden, daß er eine bessere Haushaltung
anrich-
(*) Psalm LXXIII.
Y 5
„wie klein die Gluͤckſeligkeit aller Sterb- „lichen ſei!„
Aber von unendlich groͤſſerem Gewichte als alles, was bisher hievon angefuͤhret, ſind die Worte des Aſſaphs: (*)
„Jch haͤtte ſchier geſtrauchelt mit meinen Fuͤſ- „ſen, mein Tritt haͤtte beinahe geglitten. Denn „es verdroß mich auf die Ruhmraͤthigen, da „ich ſahe, daß es den Gottloſen ſo wol gieng. „Denn ſie ſtehen feſt, wie ein Pallaſt. Sie ſind „nicht im Ungluͤck, wie andere Leute, und werden „nicht wie andere Menſchen geplagt. ‒ ‒ Jhre „Perſon bruͤſtet ſich, wie ein Wanſt; ſie haben „mehr, als ihr Herz wuͤnſchen kann. ‒ ‒ Solls „denn umſonſt ſeyn, daß ich meine Haͤnde in „Unſchuld waſche? Und bin geplaget taͤglich? „und meine Strafe iſt alle Morgen da? Jch „gedachte ihm nach, daß ichs begreifen moͤchte, „aber es war mir zu ſchwer. Bis daß ich gieng „in das Heiligthum GOttes, und merkte auf „ihr Ende. ‒ ‒ Du leiteſt mich, HErr, nach dei- „nem Rath, und nimmſt mich endlich mit Eh- „ren an.„
Dies iſt der Troſt, womit ſich der goͤttliche Dichter beruhigte. Soll denn der Menſch ſich herausnehmen, den gemeinen Lauf der Natur zu veraͤndern, und, ſo weit er kann, die Ord- nung zu unterbrechen, woran die ſchwachen Sterblichen durchaus gebunden ſind? Darf er ſich einbilden, daß er eine beſſere Haushaltung
anrich-
(*) Pſalm LXXIII.
Y 5
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„wie klein die Gluͤckſeligkeit aller Sterb-
„lichen ſei!„
Aber von unendlich groͤſſerem Gewichte als
alles, was bisher hievon angefuͤhret, ſind die
Worte des Aſſaphs: (*)
„Jch haͤtte ſchier geſtrauchelt mit meinen Fuͤſ-
„ſen, mein Tritt haͤtte beinahe geglitten. Denn
„es verdroß mich auf die Ruhmraͤthigen, da
„ich ſahe, daß es den Gottloſen ſo wol gieng.
„Denn ſie ſtehen feſt, wie ein Pallaſt. Sie ſind
„nicht im Ungluͤck, wie andere Leute, und werden
„nicht wie andere Menſchen geplagt. ‒ ‒ Jhre
„Perſon bruͤſtet ſich, wie ein Wanſt; ſie haben
„mehr, als ihr Herz wuͤnſchen kann. ‒ ‒ Solls
„denn umſonſt ſeyn, daß ich meine Haͤnde in
„Unſchuld waſche? Und bin geplaget taͤglich?
„und meine Strafe iſt alle Morgen da? Jch
„gedachte ihm nach, daß ichs begreifen moͤchte,
„aber es war mir zu ſchwer. Bis daß ich gieng
„in das Heiligthum GOttes, und merkte auf
„ihr Ende. ‒ ‒ Du leiteſt mich, HErr, nach dei-
„nem Rath, und nimmſt mich endlich mit Eh-
„ren an.„
Dies iſt der Troſt, womit ſich der goͤttliche
Dichter beruhigte. Soll denn der Menſch ſich
herausnehmen, den gemeinen Lauf der Natur
zu veraͤndern, und, ſo weit er kann, die Ord-
nung zu unterbrechen, woran die ſchwachen
Sterblichen durchaus gebunden ſind? Darf er
ſich einbilden, daß er eine beſſere Haushaltung
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(*) Pſalm LXXIII.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/353>, abgerufen am 16.02.2025.
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