nicht rühmen können; und da ihre Geschichte in den vorhergehenden Briefen, worin ihrer oft Meldung geschiehet, übergangen ist: So wird es dem neugierigen Leser ohne Zweifel angenehm, und dem guten Endzweck, den man durch die Bekanntmachung dieses Werks zu erreichen su- chet, vortheilhast seyn, von ihrem Herkommen, und Erziehung eine kurze Nachricht zu geben, welche sie gleichsam zu dieser niederträchtigen Le- bensart vorbereitete; wobei wir ihre Schicksale nach dem fürchterlichen Tode der schändlichen Sinclair mit erwehnen wollen.
Sally Martin war die Tochter eines Sei- den-Krämers in London ohnweit dem Schlosse, welchem ihre Mutter, die Tochter eines Gewürz- Händlers, ein ziemliches Vermögen zubrachte. Da sie beide ein aufgeräumtes Gemüth hatten, und die Moden liebten, die sie um ihres Han- dels willen einführeten, und welche die Weiber und Töchter der vornehmsten Kaufleute, beson- ders in dem Theil der Stadt, gern nachma- chen: So war es kein Wunder, daß sie auch ihre Tochter eben so erzogen, die ein muntres und witziges naseweises Mädgen war, und für eine sehr artige Person von feiner Lebensart ge- halten wurde; welche es also bei solchen Bei- spielen jedes Jahr weiter darin bringen mußte.
Sie sahe sehr frühe, daß sie ihrem eignen Willen überlassen sei. Alles was sie that, war wolgethan, und alles, was sie sagte, ward be- wundert. Frühe, sehr frühe verlernte sie es,
roth
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nicht ruͤhmen koͤnnen; und da ihre Geſchichte in den vorhergehenden Briefen, worin ihrer oft Meldung geſchiehet, uͤbergangen iſt: So wird es dem neugierigen Leſer ohne Zweifel angenehm, und dem guten Endzweck, den man durch die Bekanntmachung dieſes Werks zu erreichen ſu- chet, vortheilhaſt ſeyn, von ihrem Herkommen, und Erziehung eine kurze Nachricht zu geben, welche ſie gleichſam zu dieſer niedertraͤchtigen Le- bensart vorbereitete; wobei wir ihre Schickſale nach dem fuͤrchterlichen Tode der ſchaͤndlichen Sinclair mit erwehnen wollen.
Sally Martin war die Tochter eines Sei- den-Kraͤmers in London ohnweit dem Schloſſe, welchem ihre Mutter, die Tochter eines Gewuͤrz- Haͤndlers, ein ziemliches Vermoͤgen zubrachte. Da ſie beide ein aufgeraͤumtes Gemuͤth hatten, und die Moden liebten, die ſie um ihres Han- dels willen einfuͤhreten, und welche die Weiber und Toͤchter der vornehmſten Kaufleute, beſon- ders in dem Theil der Stadt, gern nachma- chen: So war es kein Wunder, daß ſie auch ihre Tochter eben ſo erzogen, die ein muntres und witziges naſeweiſes Maͤdgen war, und fuͤr eine ſehr artige Perſon von feiner Lebensart ge- halten wurde; welche es alſo bei ſolchen Bei- ſpielen jedes Jahr weiter darin bringen mußte.
Sie ſahe ſehr fruͤhe, daß ſie ihrem eignen Willen uͤberlaſſen ſei. Alles was ſie that, war wolgethan, und alles, was ſie ſagte, ward be- wundert. Fruͤhe, ſehr fruͤhe verlernte ſie es,
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nicht ruͤhmen koͤnnen; und da ihre Geſchichte
in den vorhergehenden Briefen, worin ihrer oft
Meldung geſchiehet, uͤbergangen iſt: So wird
es dem neugierigen Leſer ohne Zweifel angenehm,
und dem guten Endzweck, den man durch die
Bekanntmachung dieſes Werks zu erreichen ſu-
chet, vortheilhaſt ſeyn, von ihrem Herkommen,
und Erziehung eine kurze Nachricht zu geben,
welche ſie gleichſam zu dieſer niedertraͤchtigen Le-
bensart vorbereitete; wobei wir ihre Schickſale
nach dem fuͤrchterlichen Tode der ſchaͤndlichen
Sinclair mit erwehnen wollen.
Sally Martin war die Tochter eines Sei-
den-Kraͤmers in London ohnweit dem Schloſſe,
welchem ihre Mutter, die Tochter eines Gewuͤrz-
Haͤndlers, ein ziemliches Vermoͤgen zubrachte.
Da ſie beide ein aufgeraͤumtes Gemuͤth hatten,
und die Moden liebten, die ſie um ihres Han-
dels willen einfuͤhreten, und welche die Weiber
und Toͤchter der vornehmſten Kaufleute, beſon-
ders in dem Theil der Stadt, gern nachma-
chen: So war es kein Wunder, daß ſie auch
ihre Tochter eben ſo erzogen, die ein muntres
und witziges naſeweiſes Maͤdgen war, und fuͤr
eine ſehr artige Perſon von feiner Lebensart ge-
halten wurde; welche es alſo bei ſolchen Bei-
ſpielen jedes Jahr weiter darin bringen mußte.
Sie ſahe ſehr fruͤhe, daß ſie ihrem eignen
Willen uͤberlaſſen ſei. Alles was ſie that, war
wolgethan, und alles, was ſie ſagte, ward be-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/317>, abgerufen am 16.02.2025.
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