roth zu werden, weil sie nicht zweifeln konnte, daß sie es immer gut machte; und in Gesell- schaften zu schweigen, man mochte reden, wo- von man wollte, war ihr so fremd, als das Mistrauen auf ihre Vollkommenheiten.
Als sie das neunte Jahr zurückgelegt, ward sie von keiner Lustbarkeit weggelassen, und zur Ehre ihrer gesprächigen Zunge ward sie auf den Gastmalen, und Ergötzlichkeiten als die Haupt-Person betrachtet, welche ihre Aeltern, die ein wollüstiges Leben liebten, in der Absicht gaben, um durch die Vermehrung ihrer Be- kanntschaft ihren Handel zu vergrössern. Die guten Leute überlegten nicht gehörig, daß die Person, welche sie ihr bei den Gelegenheiten zu spielen erlaubten, die zu ihren Nutzen veran- staltet wurden, warscheinlicher Weise ein Mit- tel seyn würde, ihre Begierden zu stärken, und die Sitten einer Tochter gänzlich zu verderben, zu deren Besten sie sich doch, weil es ihr ein- ziges Kind war, bestrebten, Reichthümer zu erwerben.
Da sie als Kind schon so sehr ein Frauen- zimmer war, was mußte sie nicht seyn, als sie würklich ein Frauenzimmer wurde?
Jm funfzehenden oder sechzehenden Jahre, suchte sie, sowol in Kleidung als Manieren, den grössesten Affen unter den Personen vom Stan- de nachzuäffen. Die reichsten Stoffe in ihres Vaters Laden waren für sie nicht zu reich. Bei allen öffentlichen Lustbarkeiten war sie die An-
führe-
roth zu werden, weil ſie nicht zweifeln konnte, daß ſie es immer gut machte; und in Geſell- ſchaften zu ſchweigen, man mochte reden, wo- von man wollte, war ihr ſo fremd, als das Mistrauen auf ihre Vollkommenheiten.
Als ſie das neunte Jahr zuruͤckgelegt, ward ſie von keiner Luſtbarkeit weggelaſſen, und zur Ehre ihrer geſpraͤchigen Zunge ward ſie auf den Gaſtmalen, und Ergoͤtzlichkeiten als die Haupt-Perſon betrachtet, welche ihre Aeltern, die ein wolluͤſtiges Leben liebten, in der Abſicht gaben, um durch die Vermehrung ihrer Be- kanntſchaft ihren Handel zu vergroͤſſern. Die guten Leute uͤberlegten nicht gehoͤrig, daß die Perſon, welche ſie ihr bei den Gelegenheiten zu ſpielen erlaubten, die zu ihren Nutzen veran- ſtaltet wurden, warſcheinlicher Weiſe ein Mit- tel ſeyn wuͤrde, ihre Begierden zu ſtaͤrken, und die Sitten einer Tochter gaͤnzlich zu verderben, zu deren Beſten ſie ſich doch, weil es ihr ein- ziges Kind war, beſtrebten, Reichthuͤmer zu erwerben.
Da ſie als Kind ſchon ſo ſehr ein Frauen- zimmer war, was mußte ſie nicht ſeyn, als ſie wuͤrklich ein Frauenzimmer wurde?
Jm funfzehenden oder ſechzehenden Jahre, ſuchte ſie, ſowol in Kleidung als Manieren, den groͤſſeſten Affen unter den Perſonen vom Stan- de nachzuaͤffen. Die reichſten Stoffe in ihres Vaters Laden waren fuͤr ſie nicht zu reich. Bei allen oͤffentlichen Luſtbarkeiten war ſie die An-
fuͤhre-
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roth zu werden, weil ſie nicht zweifeln konnte,
daß ſie es immer gut machte; und in Geſell-
ſchaften zu ſchweigen, man mochte reden, wo-
von man wollte, war ihr ſo fremd, als das
Mistrauen auf ihre Vollkommenheiten.
Als ſie das neunte Jahr zuruͤckgelegt, ward
ſie von keiner Luſtbarkeit weggelaſſen, und zur
Ehre ihrer geſpraͤchigen Zunge ward ſie auf
den Gaſtmalen, und Ergoͤtzlichkeiten als die
Haupt-Perſon betrachtet, welche ihre Aeltern,
die ein wolluͤſtiges Leben liebten, in der Abſicht
gaben, um durch die Vermehrung ihrer Be-
kanntſchaft ihren Handel zu vergroͤſſern. Die
guten Leute uͤberlegten nicht gehoͤrig, daß die
Perſon, welche ſie ihr bei den Gelegenheiten zu
ſpielen erlaubten, die zu ihren Nutzen veran-
ſtaltet wurden, warſcheinlicher Weiſe ein Mit-
tel ſeyn wuͤrde, ihre Begierden zu ſtaͤrken, und
die Sitten einer Tochter gaͤnzlich zu verderben,
zu deren Beſten ſie ſich doch, weil es ihr ein-
ziges Kind war, beſtrebten, Reichthuͤmer zu
erwerben.
Da ſie als Kind ſchon ſo ſehr ein Frauen-
zimmer war, was mußte ſie nicht ſeyn, als ſie
wuͤrklich ein Frauenzimmer wurde?
Jm funfzehenden oder ſechzehenden Jahre,
ſuchte ſie, ſowol in Kleidung als Manieren, den
groͤſſeſten Affen unter den Perſonen vom Stan-
de nachzuaͤffen. Die reichſten Stoffe in ihres
Vaters Laden waren fuͤr ſie nicht zu reich. Bei
allen oͤffentlichen Luſtbarkeiten war ſie die An-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/318>, abgerufen am 16.02.2025.
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