nützige Seelen, die bei ihrem unermeslichen Reichthum unermeslich gierig waren, es am ersten vertragen konnten, daß sie sich mit allem Fleiß auf diese Art der Wissenschaft legte: Jn- dem ihre ältere Schwester, eine Kleider-När- rin, ohne daß ihr eine Kleidung wol anstand! eine Fräulein von Lebensart seyn wollte, welches sie doch nimmer werden konnte; und welches ihre Schwester war, ohne sich darauf zu bemühen, und ohne daß sie schien, es zu wissen.
Wenn man Gesellschaft erwartete, so war es bei der einen Schwester gewöhnlich, den hal- ben Morgen auf ihren Anputz zu verwenden, indem die andre die Tafel und alles besorgte, was den Tag in der Haushaltung geschehen sollte. Dann gieng sie in ihr Putzzimmer, und ehe man sie vermissen konnte, weil sie alle ih- re Sachen in der vortreflichsten Ordnung hat- te, kam sie wieder herunter, und empfieng die Gesellschaft mit einem so freundlichen, freien, und ungeschäftigen Wesen, als wenn sie sonst an nichts zu denken gehabt hätte.
Lange nach ihr, wenn etwa die Stunden vorbei waren, da man zu der Gasterei Anstalt machet, kam mit einem grossen Geräusch und Lärmen die prächtig aufgeputzte ungeschickte Arabella, welche die wenige Fassung, die sie noch hatte, bei dem Anblick ihrer heitern Schwe- ster verlohr, und ihren finstern Neid nicht ver- bergen konnte, wenn sie sich mit so weniger
Mühe,
nuͤtzige Seelen, die bei ihrem unermeslichen Reichthum unermeslich gierig waren, es am erſten vertragen konnten, daß ſie ſich mit allem Fleiß auf dieſe Art der Wiſſenſchaft legte: Jn- dem ihre aͤltere Schweſter, eine Kleider-Naͤr- rin, ohne daß ihr eine Kleidung wol anſtand! eine Fraͤulein von Lebensart ſeyn wollte, welches ſie doch nimmer werden konnte; und welches ihre Schweſter war, ohne ſich darauf zu bemuͤhen, und ohne daß ſie ſchien, es zu wiſſen.
Wenn man Geſellſchaft erwartete, ſo war es bei der einen Schweſter gewoͤhnlich, den hal- ben Morgen auf ihren Anputz zu verwenden, indem die andre die Tafel und alles beſorgte, was den Tag in der Haushaltung geſchehen ſollte. Dann gieng ſie in ihr Putzzimmer, und ehe man ſie vermiſſen konnte, weil ſie alle ih- re Sachen in der vortreflichſten Ordnung hat- te, kam ſie wieder herunter, und empfieng die Geſellſchaft mit einem ſo freundlichen, freien, und ungeſchaͤftigen Weſen, als wenn ſie ſonſt an nichts zu denken gehabt haͤtte.
Lange nach ihr, wenn etwa die Stunden vorbei waren, da man zu der Gaſterei Anſtalt machet, kam mit einem groſſen Geraͤuſch und Laͤrmen die praͤchtig aufgeputzte ungeſchickte Arabella, welche die wenige Faſſung, die ſie noch hatte, bei dem Anblick ihrer heitern Schwe- ſter verlohr, und ihren finſtern Neid nicht ver- bergen konnte, wenn ſie ſich mit ſo weniger
Muͤhe,
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nuͤtzige Seelen, die bei ihrem unermeslichen
Reichthum unermeslich gierig waren, es am
erſten vertragen konnten, daß ſie ſich mit allem
Fleiß auf dieſe Art der Wiſſenſchaft legte: Jn-
dem ihre aͤltere Schweſter, eine Kleider-Naͤr-
rin, ohne daß ihr eine Kleidung wol anſtand!
eine Fraͤulein von Lebensart ſeyn wollte,
welches ſie doch nimmer werden konnte; und
welches ihre Schweſter war, ohne ſich darauf
zu bemuͤhen, und ohne daß ſie ſchien, es zu
wiſſen.
Wenn man Geſellſchaft erwartete, ſo war
es bei der einen Schweſter gewoͤhnlich, den hal-
ben Morgen auf ihren Anputz zu verwenden,
indem die andre die Tafel und alles beſorgte,
was den Tag in der Haushaltung geſchehen
ſollte. Dann gieng ſie in ihr Putzzimmer, und
ehe man ſie vermiſſen konnte, weil ſie alle ih-
re Sachen in der vortreflichſten Ordnung hat-
te, kam ſie wieder herunter, und empfieng die
Geſellſchaft mit einem ſo freundlichen, freien,
und ungeſchaͤftigen Weſen, als wenn ſie ſonſt
an nichts zu denken gehabt haͤtte.
Lange nach ihr, wenn etwa die Stunden
vorbei waren, da man zu der Gaſterei Anſtalt
machet, kam mit einem groſſen Geraͤuſch und
Laͤrmen die praͤchtig aufgeputzte ungeſchickte
Arabella, welche die wenige Faſſung, die ſie
noch hatte, bei dem Anblick ihrer heitern Schwe-
ſter verlohr, und ihren finſtern Neid nicht ver-
bergen konnte, wenn ſie ſich mit ſo weniger
Muͤhe,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/292>, abgerufen am 16.02.2025.
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