"Unterdessen muß ich zugleich gestehen, daß "man sehr schöne Trauerspiele hat, die nach dem "andern Plan eingerichtet sind und einen glückli- "chen Ausgang haben: wie in der That die mei- "sten von den guten Trauerspielen, welche seit der "Zeit geschrieben sind, da der obengedachte Grund- "satz der Kunstrichter aufgekommen, diese Be- "schaffenheit haben; als die traurende Braut, "Tamerlan(*), Ulysses, Phädra und Hip- "polytus, nebst den meisten von Herrn Dryden. "Jch muß auch gestehen, daß viele vom Shake-
"speare
dem Urstücke, ob es gleich von Shakespeare selbst geschrieben ist, beständig auf der englischen Schau- bühne vorgestellt wird. - - Ob dieser seltsame Vor- zug von der falschen Bedenklichkeit oder gezwunge- nen Zärtlichkeit der Spieler, oder der Zuhörer her- komme, ist viele Jahre her nicht versucht worden. Und die erstern haben vielleicht das Herz nicht, den öffentlichen Geschmack darüber zu versuchen. Gleich- wohl scheint es, wo es jemals zu versuchen seyn sollte, itzo die Zeit zu seyn: Da einer, der die Rol- len vorstellt und einer, der die Einrichtung der Schauspiele macht, in einer und eben derselben Person vorhanden ist, welcher in allem, was er un- ternimmt, öffentlichen Beyfall findet, und diesem großen Meister menschlicher Leidenschaften so viel zu danken hat, und es auch so dankbar erkennet.
(*) Jedoch leiden in dem Tamerlan zwo Personen von den liebenswürdigsten Eigenschaften, Moneses und Aspasia, den Tod.
L l l 3
„Unterdeſſen muß ich zugleich geſtehen, daß „man ſehr ſchoͤne Trauerſpiele hat, die nach dem „andern Plan eingerichtet ſind und einen gluͤckli- „chen Ausgang haben: wie in der That die mei- „ſten von den guten Trauerſpielen, welche ſeit der „Zeit geſchrieben ſind, da der obengedachte Grund- „ſatz der Kunſtrichter aufgekommen, dieſe Be- „ſchaffenheit haben; als die traurende Braut, „Tamerlan(*), Ulyſſes, Phaͤdra und Hip- „polytus, nebſt den meiſten von Herrn Dryden. „Jch muß auch geſtehen, daß viele vom Shake-
„ſpeare
dem Urſtuͤcke, ob es gleich von Shakeſpeare ſelbſt geſchrieben iſt, beſtaͤndig auf der engliſchen Schau- buͤhne vorgeſtellt wird. ‒ ‒ Ob dieſer ſeltſame Vor- zug von der falſchen Bedenklichkeit oder gezwunge- nen Zaͤrtlichkeit der Spieler, oder der Zuhoͤrer her- komme, iſt viele Jahre her nicht verſucht worden. Und die erſtern haben vielleicht das Herz nicht, den oͤffentlichen Geſchmack daruͤber zu verſuchen. Gleich- wohl ſcheint es, wo es jemals zu verſuchen ſeyn ſollte, itzo die Zeit zu ſeyn: Da einer, der die Rol- len vorſtellt und einer, der die Einrichtung der Schauſpiele macht, in einer und eben derſelben Perſon vorhanden iſt, welcher in allem, was er un- ternimmt, oͤffentlichen Beyfall findet, und dieſem großen Meiſter menſchlicher Leidenſchaften ſo viel zu danken hat, und es auch ſo dankbar erkennet.
(*) Jedoch leiden in dem Tamerlan zwo Perſonen von den liebenswuͤrdigſten Eigenſchaften, Moneſes und Aſpaſia, den Tod.
L l l 3
<TEI><text><back><divn="1"><pbfacs="#f0907"n="901"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>„Unterdeſſen muß ich zugleich geſtehen, daß<lb/>„man ſehr ſchoͤne Trauerſpiele hat, die nach dem<lb/>„andern Plan eingerichtet ſind und einen gluͤckli-<lb/>„chen Ausgang haben: wie in der That die mei-<lb/>„ſten von den guten Trauerſpielen, welche ſeit der<lb/>„Zeit geſchrieben ſind, da der obengedachte Grund-<lb/>„ſatz der Kunſtrichter aufgekommen, dieſe Be-<lb/>„ſchaffenheit haben; als <hirendition="#fr">die traurende Braut,<lb/>„Tamerlan</hi><noteplace="foot"n="(*)">Jedoch leiden in dem Tamerlan zwo Perſonen von<lb/>
den liebenswuͤrdigſten Eigenſchaften, Moneſes und<lb/>
Aſpaſia, den Tod.</note>, <hirendition="#fr">Ulyſſes, Phaͤdra und Hip-<lb/>„polytus,</hi> nebſt den meiſten von Herrn Dryden.<lb/>„Jch muß auch geſtehen, daß viele vom Shake-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">L l l 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">„ſpeare</fw><lb/><notexml:id="a14"prev="#a13"place="foot"n="(*)">dem Urſtuͤcke, ob es gleich von Shakeſpeare ſelbſt<lb/>
geſchrieben iſt, beſtaͤndig auf der engliſchen Schau-<lb/>
buͤhne vorgeſtellt wird. ‒‒ Ob dieſer ſeltſame Vor-<lb/>
zug von der falſchen Bedenklichkeit oder gezwunge-<lb/>
nen Zaͤrtlichkeit der Spieler, oder der Zuhoͤrer her-<lb/>
komme, iſt viele Jahre her nicht verſucht worden.<lb/>
Und die erſtern haben vielleicht das Herz nicht, den<lb/>
oͤffentlichen Geſchmack daruͤber zu verſuchen. Gleich-<lb/>
wohl ſcheint es, wo es <hirendition="#fr">jemals</hi> zu verſuchen ſeyn<lb/>ſollte, <hirendition="#fr">itzo</hi> die Zeit zu ſeyn: Da einer, <hirendition="#fr">der die Rol-<lb/>
len vorſtellt und einer, der die Einrichtung der<lb/>
Schauſpiele macht,</hi> in einer und eben derſelben<lb/>
Perſon vorhanden iſt, welcher in allem, was er un-<lb/>
ternimmt, oͤffentlichen Beyfall findet, und dieſem<lb/>
großen Meiſter menſchlicher Leidenſchaften ſo viel zu<lb/>
danken hat, und es auch ſo dankbar erkennet.</note><lb/></p></div></back></text></TEI>
[901/0907]
„Unterdeſſen muß ich zugleich geſtehen, daß
„man ſehr ſchoͤne Trauerſpiele hat, die nach dem
„andern Plan eingerichtet ſind und einen gluͤckli-
„chen Ausgang haben: wie in der That die mei-
„ſten von den guten Trauerſpielen, welche ſeit der
„Zeit geſchrieben ſind, da der obengedachte Grund-
„ſatz der Kunſtrichter aufgekommen, dieſe Be-
„ſchaffenheit haben; als die traurende Braut,
„Tamerlan (*), Ulyſſes, Phaͤdra und Hip-
„polytus, nebſt den meiſten von Herrn Dryden.
„Jch muß auch geſtehen, daß viele vom Shake-
„ſpeare
(*)
(*) Jedoch leiden in dem Tamerlan zwo Perſonen von
den liebenswuͤrdigſten Eigenſchaften, Moneſes und
Aſpaſia, den Tod.
(*) dem Urſtuͤcke, ob es gleich von Shakeſpeare ſelbſt
geſchrieben iſt, beſtaͤndig auf der engliſchen Schau-
buͤhne vorgeſtellt wird. ‒ ‒ Ob dieſer ſeltſame Vor-
zug von der falſchen Bedenklichkeit oder gezwunge-
nen Zaͤrtlichkeit der Spieler, oder der Zuhoͤrer her-
komme, iſt viele Jahre her nicht verſucht worden.
Und die erſtern haben vielleicht das Herz nicht, den
oͤffentlichen Geſchmack daruͤber zu verſuchen. Gleich-
wohl ſcheint es, wo es jemals zu verſuchen ſeyn
ſollte, itzo die Zeit zu ſeyn: Da einer, der die Rol-
len vorſtellt und einer, der die Einrichtung der
Schauſpiele macht, in einer und eben derſelben
Perſon vorhanden iſt, welcher in allem, was er un-
ternimmt, oͤffentlichen Beyfall findet, und dieſem
großen Meiſter menſchlicher Leidenſchaften ſo viel zu
danken hat, und es auch ſo dankbar erkennet.
L l l 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 901. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/907>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.