wart nicht zu nahe geredet Base Charlotte, auch ihrer nicht, Base Martha: ist der Tod die na- türliche Folge von einer geraubten Jungfer- schaft? - - Haben sie das jemals gehöret, mein Lord, oder sie, Fräulein? - - Jst er aber nicht die natürliche Folge und ein Frauenzimmer will sich selbst hinrichten, entweder durch einen langsa- men Tod, als durch Kummer, oder durch den Dolch, wie Lucretia that: hat denn die Manns- person mehr als einen Fehler begangen; - - ist der andere nicht des Frauenzimmers Versehen? - - Wäre es nicht so, erlauben sie mir zu sagen, meine Wertheste: - - Hiebey griff ich meinen beyden erröthenden Basen unter das Kinn - - so haben wir entweder keine so gottlosen Män- ner, als der junge Tarquin gewesen, oder keine so tugendhafte Frauen, als die Lucretia, gehabt; in der Zeit von - - wie viel tausend Jahren, mein Lord? - - Und so erinnert man sich der Lucretia, als eines einzelnen Wunders!
Jhr werdet leicht glauben, daß man über mich ausschrie. Leute, die nicht antworten kön- nen, werden gemeiniglich zu toben anfangen: und das thaten sie alle. Aber ich bestand bey ihnen, und bestehe auch bey euch darauf, Bruder, daß ich von allem außer einem gemeinen Diebstal bil- lig freyzusprechen bin: es ist nur ein heimlicher Raub, wie es die Rechtsgelehrten nennen, in die- sem Stücke geschehen. Wäre mein Leben nach den Gesetzen verwirkt: so würde es nicht des Mor- des wegen seyn.
Ueber
wart nicht zu nahe geredet Baſe Charlotte, auch ihrer nicht, Baſe Martha: iſt der Tod die na- tuͤrliche Folge von einer geraubten Jungfer- ſchaft? ‒ ‒ Haben ſie das jemals gehoͤret, mein Lord, oder ſie, Fraͤulein? ‒ ‒ Jſt er aber nicht die natuͤrliche Folge und ein Frauenzimmer will ſich ſelbſt hinrichten, entweder durch einen langſa- men Tod, als durch Kummer, oder durch den Dolch, wie Lucretia that: hat denn die Manns- perſon mehr als einen Fehler begangen; ‒ ‒ iſt der andere nicht des Frauenzimmers Verſehen? ‒ ‒ Waͤre es nicht ſo, erlauben ſie mir zu ſagen, meine Wertheſte: ‒ ‒ Hiebey griff ich meinen beyden erroͤthenden Baſen unter das Kinn ‒ ‒ ſo haben wir entweder keine ſo gottloſen Maͤn- ner, als der junge Tarquin geweſen, oder keine ſo tugendhafte Frauen, als die Lucretia, gehabt; in der Zeit von ‒ ‒ wie viel tauſend Jahren, mein Lord? ‒ ‒ Und ſo erinnert man ſich der Lucretia, als eines einzelnen Wunders!
Jhr werdet leicht glauben, daß man uͤber mich ausſchrie. Leute, die nicht antworten koͤn- nen, werden gemeiniglich zu toben anfangen: und das thaten ſie alle. Aber ich beſtand bey ihnen, und beſtehe auch bey euch darauf, Bruder, daß ich von allem außer einem gemeinen Diebſtal bil- lig freyzuſprechen bin: es iſt nur ein heimlicher Raub, wie es die Rechtsgelehrten nennen, in die- ſem Stuͤcke geſchehen. Waͤre mein Leben nach den Geſetzen verwirkt: ſo wuͤrde es nicht des Mor- des wegen ſeyn.
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wart nicht zu nahe geredet Baſe Charlotte, auch
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tuͤrliche Folge von einer geraubten Jungfer-
ſchaft? ‒ ‒ Haben ſie das jemals gehoͤret, mein
Lord, oder ſie, Fraͤulein? ‒ ‒ Jſt er aber nicht
die natuͤrliche Folge und ein Frauenzimmer will
ſich ſelbſt hinrichten, entweder durch einen langſa-
men Tod, als durch Kummer, oder durch den
Dolch, wie Lucretia that: hat denn die Manns-
perſon mehr als einen Fehler begangen; ‒ ‒ iſt
der andere nicht des Frauenzimmers Verſehen?
‒ ‒ Waͤre es nicht ſo, erlauben ſie mir zu ſagen,
meine Wertheſte: ‒ ‒ Hiebey griff ich meinen
beyden erroͤthenden Baſen unter das Kinn ‒ ‒
ſo haben wir entweder keine ſo gottloſen Maͤn-
ner, als der junge Tarquin geweſen, oder keine ſo
tugendhafte Frauen, als die Lucretia, gehabt; in
der Zeit von ‒ ‒ wie viel tauſend Jahren, mein
Lord? ‒ ‒ Und ſo erinnert man ſich der Lucretia,
als eines einzelnen Wunders!
Jhr werdet leicht glauben, daß man uͤber
mich ausſchrie. Leute, die nicht antworten koͤn-
nen, werden gemeiniglich zu toben anfangen: und
das thaten ſie alle. Aber ich beſtand bey ihnen,
und beſtehe auch bey euch darauf, Bruder, daß
ich von allem außer einem gemeinen Diebſtal bil-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 715. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/721>, abgerufen am 27.11.2024.
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