ausnehmend betrübt bin. Aber da es so ausge- fallen ist; da sie sich fest vorgenommen gehabt, die Welt zu verlassen; und da sie wirklich nicht mehr da ist: muß ich dann über eine Begeben- heit, die geschehen ist, und weil sie geschehen, nicht geändert werden kann, finstern und traurigen Be- trachtungen nachhängen; ich, der ich noch so viel Antheil am Leben und an guter Gesundheit in Händen habe? - - Habe ich nicht schon eine Probe gehabt, wie es mir gehen wird, wo ich es thue?
Denn, Belford; es wäre eine Thorheit, wenn ich es leugnen wollte; ich bin ganz verrückt gewesen.
Warum, warum hat meine Mutter mich so erzogen, daß ich keine Einrede, keine Hindernisse bey dem, was ich will, ertragen kann? Warum habe ich eine solche Erziehung gehabt, daß selbst von meinen Hofmeistern verlanget wurde, mich keinen Widerspruch oder Verdruß über fehlge- schlagene Hoffnung erfahren zu lassen? - - Hät- te sie nicht wissen sollen, was für Grausamkeit in ihrer Güte steckte?
Was für eine Strafe ist es, daß ich sehen muß, daß mein erster recht großer Verdruß über eine fehlgeschlagene Hoffnung meinen Verstand angreifet! - - Und wenn der Verstand einmal angegriffen ist - - Aber daran ist es mir uner- träglich zu gedenken - - Nur so viel ist gewiß: die Reue und Besserung, welche mir so herzlich von meiner gütigen und widersinnischen Schönen
an-
Siebenter Theil. X x
ausnehmend betruͤbt bin. Aber da es ſo ausge- fallen iſt; da ſie ſich feſt vorgenommen gehabt, die Welt zu verlaſſen; und da ſie wirklich nicht mehr da iſt: muß ich dann uͤber eine Begeben- heit, die geſchehen iſt, und weil ſie geſchehen, nicht geaͤndert werden kann, finſtern und traurigen Be- trachtungen nachhaͤngen; ich, der ich noch ſo viel Antheil am Leben und an guter Geſundheit in Haͤnden habe? ‒ ‒ Habe ich nicht ſchon eine Probe gehabt, wie es mir gehen wird, wo ich es thue?
Denn, Belford; es waͤre eine Thorheit, wenn ich es leugnen wollte; ich bin ganz verruͤckt geweſen.
Warum, warum hat meine Mutter mich ſo erzogen, daß ich keine Einrede, keine Hinderniſſe bey dem, was ich will, ertragen kann? Warum habe ich eine ſolche Erziehung gehabt, daß ſelbſt von meinen Hofmeiſtern verlanget wurde, mich keinen Widerſpruch oder Verdruß uͤber fehlge- ſchlagene Hoffnung erfahren zu laſſen? ‒ ‒ Haͤt- te ſie nicht wiſſen ſollen, was fuͤr Grauſamkeit in ihrer Guͤte ſteckte?
Was fuͤr eine Strafe iſt es, daß ich ſehen muß, daß mein erſter recht großer Verdruß uͤber eine fehlgeſchlagene Hoffnung meinen Verſtand angreifet! ‒ ‒ Und wenn der Verſtand einmal angegriffen iſt ‒ ‒ Aber daran iſt es mir uner- traͤglich zu gedenken ‒ ‒ Nur ſo viel iſt gewiß: die Reue und Beſſerung, welche mir ſo herzlich von meiner guͤtigen und widerſinniſchen Schoͤnen
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Siebenter Theil. X x
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ausnehmend betruͤbt bin. Aber da es ſo ausge-
fallen iſt; da ſie ſich feſt vorgenommen gehabt,
die Welt zu verlaſſen; und da ſie wirklich nicht
mehr da iſt: muß ich dann uͤber eine Begeben-
heit, die geſchehen iſt, und weil ſie geſchehen, nicht
geaͤndert werden kann, finſtern und traurigen Be-
trachtungen nachhaͤngen; ich, der ich noch ſo viel
Antheil am Leben und an guter Geſundheit in
Haͤnden habe? ‒ ‒ Habe ich nicht ſchon eine
Probe gehabt, wie es mir gehen wird, wo ich es
thue?
Denn, Belford; es waͤre eine Thorheit,
wenn ich es leugnen wollte; ich bin ganz verruͤckt
geweſen.
Warum, warum hat meine Mutter mich ſo
erzogen, daß ich keine Einrede, keine Hinderniſſe
bey dem, was ich will, ertragen kann? Warum
habe ich eine ſolche Erziehung gehabt, daß ſelbſt
von meinen Hofmeiſtern verlanget wurde, mich
keinen Widerſpruch oder Verdruß uͤber fehlge-
ſchlagene Hoffnung erfahren zu laſſen? ‒ ‒ Haͤt-
te ſie nicht wiſſen ſollen, was fuͤr Grauſamkeit in
ihrer Guͤte ſteckte?
Was fuͤr eine Strafe iſt es, daß ich ſehen
muß, daß mein erſter recht großer Verdruß uͤber
eine fehlgeſchlagene Hoffnung meinen Verſtand
angreifet! ‒ ‒ Und wenn der Verſtand einmal
angegriffen iſt ‒ ‒ Aber daran iſt es mir uner-
traͤglich zu gedenken ‒ ‒ Nur ſo viel iſt gewiß:
die Reue und Beſſerung, welche mir ſo herzlich
von meiner guͤtigen und widerſinniſchen Schoͤnen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/695>, abgerufen am 22.11.2024.
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