worden und doch ihrer Hoffnung, mich auf besse- re Wege zu bringen, so unwürdig gewesen bin!
Wie edel sind ihre Bewegungsgründe! Nicht bloß um ihretwillen, nicht gänzlich um meinet- willen hoffete sie mich auf bessere Wege zu brin- gen: sondern eben so viel auch um der Unschuldi- gen willen, die sonst von mir unglücklich gemacht werden möchten.
Und warum schrieb sie nun diesen Brief, und warum befahl sie, daß er mir eingehändigt würde, nachdem der beweinenswürdigste Erfolg zur Wirklichkeit gekommen wäre? Warum an- ders, als zu meinem Besten, und mit einer Ab- sicht auf die Sicherheit der Unschuldigen, die sie nicht gekannt hat? - - Und wann ward dieser Brief geschrieben? War es nicht zu der Zeit, eben zu der Zeit, da ich sie, so zu sagen, von einem Or- te zum andern verfolgt hatte; da ihre Seele durch Trübsal und Verfolgung niedergedrückt; und ihr selbst von den unversöhnlichsten Verwandten alle Vergebung versaget wurde?
Erhabene Seele! - - Konntest du zu einer solchen Zeit, und so frühe und unter solchen Umständen deinen gerechten Zorn so weit über- wältigt haben, daß du dem vornehmsten Urheber aller deiner Unglücksfälle die Glückseligkeit wün- schen konntest? Dem, der dich aller "deiner lieb- "sten Hoffnung in diesem Leben beraubet hatte?" Dem, der die Ursache gewesen war, "daß du in "der Blüte deiner Jugend hingerissen wor- "den?"
Himm-
worden und doch ihrer Hoffnung, mich auf beſſe- re Wege zu bringen, ſo unwuͤrdig geweſen bin!
Wie edel ſind ihre Bewegungsgruͤnde! Nicht bloß um ihretwillen, nicht gaͤnzlich um meinet- willen hoffete ſie mich auf beſſere Wege zu brin- gen: ſondern eben ſo viel auch um der Unſchuldi- gen willen, die ſonſt von mir ungluͤcklich gemacht werden moͤchten.
Und warum ſchrieb ſie nun dieſen Brief, und warum befahl ſie, daß er mir eingehaͤndigt wuͤrde, nachdem der beweinenswuͤrdigſte Erfolg zur Wirklichkeit gekommen waͤre? Warum an- ders, als zu meinem Beſten, und mit einer Ab- ſicht auf die Sicherheit der Unſchuldigen, die ſie nicht gekannt hat? ‒ ‒ Und wann ward dieſer Brief geſchrieben? War es nicht zu der Zeit, eben zu der Zeit, da ich ſie, ſo zu ſagen, von einem Or- te zum andern verfolgt hatte; da ihre Seele durch Truͤbſal und Verfolgung niedergedruͤckt; und ihr ſelbſt von den unverſoͤhnlichſten Verwandten alle Vergebung verſaget wurde?
Erhabene Seele! ‒ ‒ Konnteſt du zu einer ſolchen Zeit, und ſo fruͤhe und unter ſolchen Umſtaͤnden deinen gerechten Zorn ſo weit uͤber- waͤltigt haben, daß du dem vornehmſten Urheber aller deiner Ungluͤcksfaͤlle die Gluͤckſeligkeit wuͤn- ſchen konnteſt? Dem, der dich aller „deiner lieb- „ſten Hoffnung in dieſem Leben beraubet hatte?“ Dem, der die Urſache geweſen war, „daß du in „der Bluͤte deiner Jugend hingeriſſen wor- „den?“
Himm-
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worden und doch ihrer Hoffnung, mich auf beſſe-
re Wege zu bringen, ſo unwuͤrdig geweſen bin!
Wie edel ſind ihre Bewegungsgruͤnde! Nicht
bloß um ihretwillen, nicht gaͤnzlich um meinet-
willen hoffete ſie mich auf beſſere Wege zu brin-
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werden moͤchten.
Und warum ſchrieb ſie nun dieſen Brief,
und warum befahl ſie, daß er mir eingehaͤndigt
wuͤrde, nachdem der beweinenswuͤrdigſte Erfolg
zur Wirklichkeit gekommen waͤre? Warum an-
ders, als zu meinem Beſten, und mit einer Ab-
ſicht auf die Sicherheit der Unſchuldigen, die ſie
nicht gekannt hat? ‒ ‒ Und wann ward dieſer
Brief geſchrieben? War es nicht zu der Zeit, eben
zu der Zeit, da ich ſie, ſo zu ſagen, von einem Or-
te zum andern verfolgt hatte; da ihre Seele durch
Truͤbſal und Verfolgung niedergedruͤckt; und ihr
ſelbſt von den unverſoͤhnlichſten Verwandten alle
Vergebung verſaget wurde?
Erhabene Seele! ‒ ‒ Konnteſt du zu einer
ſolchen Zeit, und ſo fruͤhe und unter ſolchen
Umſtaͤnden deinen gerechten Zorn ſo weit uͤber-
waͤltigt haben, daß du dem vornehmſten Urheber
aller deiner Ungluͤcksfaͤlle die Gluͤckſeligkeit wuͤn-
ſchen konnteſt? Dem, der dich aller „deiner lieb-
„ſten Hoffnung in dieſem Leben beraubet hatte?“
Dem, der die Urſache geweſen war, „daß du in
„der Bluͤte deiner Jugend hingeriſſen wor-
„den?“
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 682. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/688>, abgerufen am 22.11.2024.
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