lich seyn mögen. Allein bisher ist Jhr Leben so beschaffen gewesen, daß Sie keine Zeit versäumen müssen, Jhre Buße anzufangen. Buße bey sol- chen Leuten, die nur sorglos gelebet und ihre or- dentliche Pflichten unterlassen, niemals aber arme unschuldige Personen ins Unglück zu stürzen ge- sucht haben, ist kein so leichtes Werk und nicht so sehr in unserer Gewalt, als sich einige einbilden. Was für eine schwer zu erhaltende Gnade muß sie denn da seyn, wo die Schuld vorsetzlich, frey- willig und mannichfaltig ist!
Wenn ich sagen soll, daß ich Sie einstens vor- züglich geachtet habe: so ist das ein Bekenntniß, wovor ich billig erröthen muß; indem ich Sie eben damals im geringsten nicht für tugendhaft hielte, ob ich mir gleich gar nicht in den Sinn kommen ließ, daß Sie, oder in der That eine le- bendige Seele, so seyn könnte, wie Sie sich bewie- sen haben. Allein, in Wahrheit, mein Herr, ich bin lange weit über Sie hinaus gewesen: denn von ganzem Herzen habe ich Sie und alle Jhre Arten zu handeln, seitdem ich gesehen, was für ein Mensch Sie wären, allezeit verachtet.
Es ist auch nicht zu verwundern, daß ich es zu thun im Stande seyn sollte: da der Vorzug, den ich Jhnen gegeben hatte, auf keine unedle Be- wegungsgründe gebauet war. Denn ich hatte Schwachheit und Einbildung genug, mir Hoff- nung zu machen, daß ich in den Händen der Vor- sehung ein Werkzeug seyn würde, einen Men-
schen
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lich ſeyn moͤgen. Allein bisher iſt Jhr Leben ſo beſchaffen geweſen, daß Sie keine Zeit verſaͤumen muͤſſen, Jhre Buße anzufangen. Buße bey ſol- chen Leuten, die nur ſorglos gelebet und ihre or- dentliche Pflichten unterlaſſen, niemals aber arme unſchuldige Perſonen ins Ungluͤck zu ſtuͤrzen ge- ſucht haben, iſt kein ſo leichtes Werk und nicht ſo ſehr in unſerer Gewalt, als ſich einige einbilden. Was fuͤr eine ſchwer zu erhaltende Gnade muß ſie denn da ſeyn, wo die Schuld vorſetzlich, frey- willig und mannichfaltig iſt!
Wenn ich ſagen ſoll, daß ich Sie einſtens vor- zuͤglich geachtet habe: ſo iſt das ein Bekenntniß, wovor ich billig erroͤthen muß; indem ich Sie eben damals im geringſten nicht fuͤr tugendhaft hielte, ob ich mir gleich gar nicht in den Sinn kommen ließ, daß Sie, oder in der That eine le- bendige Seele, ſo ſeyn koͤnnte, wie Sie ſich bewie- ſen haben. Allein, in Wahrheit, mein Herr, ich bin lange weit uͤber Sie hinaus geweſen: denn von ganzem Herzen habe ich Sie und alle Jhre Arten zu handeln, ſeitdem ich geſehen, was fuͤr ein Menſch Sie waͤren, allezeit verachtet.
Es iſt auch nicht zu verwundern, daß ich es zu thun im Stande ſeyn ſollte: da der Vorzug, den ich Jhnen gegeben hatte, auf keine unedle Be- wegungsgruͤnde gebauet war. Denn ich hatte Schwachheit und Einbildung genug, mir Hoff- nung zu machen, daß ich in den Haͤnden der Vor- ſehung ein Werkzeug ſeyn wuͤrde, einen Men-
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lich ſeyn moͤgen. Allein bisher iſt Jhr Leben ſo
beſchaffen geweſen, daß Sie keine Zeit verſaͤumen
muͤſſen, Jhre Buße anzufangen. Buße bey ſol-
chen Leuten, die nur ſorglos gelebet und ihre or-
dentliche Pflichten unterlaſſen, niemals aber arme
unſchuldige Perſonen ins Ungluͤck zu ſtuͤrzen ge-
ſucht haben, iſt kein ſo leichtes Werk und nicht ſo
ſehr in unſerer Gewalt, als ſich einige einbilden.
Was fuͤr eine ſchwer zu erhaltende Gnade muß
ſie denn da ſeyn, wo die Schuld vorſetzlich, frey-
willig und mannichfaltig iſt!
Wenn ich ſagen ſoll, daß ich Sie einſtens vor-
zuͤglich geachtet habe: ſo iſt das ein Bekenntniß,
wovor ich billig erroͤthen muß; indem ich Sie
eben damals im geringſten nicht fuͤr tugendhaft
hielte, ob ich mir gleich gar nicht in den Sinn
kommen ließ, daß Sie, oder in der That eine le-
bendige Seele, ſo ſeyn koͤnnte, wie Sie ſich bewie-
ſen haben. Allein, in Wahrheit, mein Herr, ich
bin lange weit uͤber Sie hinaus geweſen: denn
von ganzem Herzen habe ich Sie und alle Jhre
Arten zu handeln, ſeitdem ich geſehen, was fuͤr ein
Menſch Sie waͤren, allezeit verachtet.
Es iſt auch nicht zu verwundern, daß ich es
zu thun im Stande ſeyn ſollte: da der Vorzug,
den ich Jhnen gegeben hatte, auf keine unedle Be-
wegungsgruͤnde gebauet war. Denn ich hatte
Schwachheit und Einbildung genug, mir Hoff-
nung zu machen, daß ich in den Haͤnden der Vor-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/681>, abgerufen am 22.11.2024.
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