Der unglückliche Vater suchte seine Gattinn zu trösten, und vermehrte sich dabey selbst die Last seiner Schuld. Wollte Gott, meine Wertheste, sprach er, wollte Gott, ich hätte mir nichts mehr vorzuwerfen, als sie. - - Sie gaben ja schon nach! - - Sie hätten mich auch gern beredet, nachzugeben!
Desto größer ist meine Schuld, versetzte sie, da ich wußte, das Misvergnügen sey zu hoch ge- trieben, daß ich mich beruhigen ließ, wie ich that. Was für eine grausame Mutter bin ich gewesen, da ich mich durch zwey zornige Kinder so weit bringen lassen, zu vergessen, daß ich auch Mutter von einem dritten wäre! - - Von solch einem dritten! - -
Fr. Norton brauchte Gründe und Bitten, sie zu trösten - - O meine liebe Fr. Norton, ant- wortete die unglückselige Frau, sie sind eine weit natürlichere Mutter für das liebe Kind gewe- sen! - - Wollte der Himmel, ich hätte nicht mehr zu verantworten, als sie.
So wiederhohlte das unglückliche Paar ohne Nutzen ihre Vorwürfe und Gegenvorwürfe, bis meine Base Hervey herein trat und die untröstli- che Mutter mit der Fr. Norton hinauf in ihre Kammer führte. Zu gleicher Zeit kamen die bey- den Onkels und Herr Hervey herein und berede- ten den gekränkten Vater, sich auch mit ihnen in seine Kammer zu begeben. - - Beyde gaben alle Gedanken auf, jemals das Kind wieder zu sehen, dessen Tod so billig von ihnen bedauret wurde.
Nur
Der ungluͤckliche Vater ſuchte ſeine Gattinn zu troͤſten, und vermehrte ſich dabey ſelbſt die Laſt ſeiner Schuld. Wollte Gott, meine Wertheſte, ſprach er, wollte Gott, ich haͤtte mir nichts mehr vorzuwerfen, als ſie. ‒ ‒ Sie gaben ja ſchon nach! ‒ ‒ Sie haͤtten mich auch gern beredet, nachzugeben!
Deſto groͤßer iſt meine Schuld, verſetzte ſie, da ich wußte, das Misvergnuͤgen ſey zu hoch ge- trieben, daß ich mich beruhigen ließ, wie ich that. Was fuͤr eine grauſame Mutter bin ich geweſen, da ich mich durch zwey zornige Kinder ſo weit bringen laſſen, zu vergeſſen, daß ich auch Mutter von einem dritten waͤre! ‒ ‒ Von ſolch einem dritten! ‒ ‒
Fr. Norton brauchte Gruͤnde und Bitten, ſie zu troͤſten ‒ ‒ O meine liebe Fr. Norton, ant- wortete die ungluͤckſelige Frau, ſie ſind eine weit natuͤrlichere Mutter fuͤr das liebe Kind gewe- ſen! ‒ ‒ Wollte der Himmel, ich haͤtte nicht mehr zu verantworten, als ſie.
So wiederhohlte das ungluͤckliche Paar ohne Nutzen ihre Vorwuͤrfe und Gegenvorwuͤrfe, bis meine Baſe Hervey herein trat und die untroͤſtli- che Mutter mit der Fr. Norton hinauf in ihre Kammer fuͤhrte. Zu gleicher Zeit kamen die bey- den Onkels und Herr Hervey herein und berede- ten den gekraͤnkten Vater, ſich auch mit ihnen in ſeine Kammer zu begeben. ‒ ‒ Beyde gaben alle Gedanken auf, jemals das Kind wieder zu ſehen, deſſen Tod ſo billig von ihnen bedauret wurde.
Nur
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Der ungluͤckliche Vater ſuchte ſeine Gattinn
zu troͤſten, und vermehrte ſich dabey ſelbſt die Laſt
ſeiner Schuld. Wollte Gott, meine Wertheſte,
ſprach er, wollte Gott, ich haͤtte mir nichts mehr
vorzuwerfen, als ſie. ‒ ‒ Sie gaben ja ſchon
nach! ‒ ‒ Sie haͤtten mich auch gern beredet,
nachzugeben!
Deſto groͤßer iſt meine Schuld, verſetzte ſie,
da ich wußte, das Misvergnuͤgen ſey zu hoch ge-
trieben, daß ich mich beruhigen ließ, wie ich that.
Was fuͤr eine grauſame Mutter bin ich geweſen,
da ich mich durch zwey zornige Kinder ſo weit
bringen laſſen, zu vergeſſen, daß ich auch Mutter
von einem dritten waͤre! ‒ ‒ Von ſolch einem
dritten! ‒ ‒
Fr. Norton brauchte Gruͤnde und Bitten, ſie
zu troͤſten ‒ ‒ O meine liebe Fr. Norton, ant-
wortete die ungluͤckſelige Frau, ſie ſind eine weit
natuͤrlichere Mutter fuͤr das liebe Kind gewe-
ſen! ‒ ‒ Wollte der Himmel, ich haͤtte nicht mehr
zu verantworten, als ſie.
So wiederhohlte das ungluͤckliche Paar ohne
Nutzen ihre Vorwuͤrfe und Gegenvorwuͤrfe, bis
meine Baſe Hervey herein trat und die untroͤſtli-
che Mutter mit der Fr. Norton hinauf in ihre
Kammer fuͤhrte. Zu gleicher Zeit kamen die bey-
den Onkels und Herr Hervey herein und berede-
ten den gekraͤnkten Vater, ſich auch mit ihnen in
ſeine Kammer zu begeben. ‒ ‒ Beyde gaben alle
Gedanken auf, jemals das Kind wieder zu ſehen,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/606>, abgerufen am 23.11.2024.
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