gewesen, wie mein Schmerz! - - O Sohn! Sohn! - - Dieß sprach er mit einem bey Vor- würfen gewohnlichen Tone aus und wandte sein Gesicht von ihm.
Jch begleitete ihn durch den mittlern Saal und suchte ihn zu trösten. Seine Gemahlinn war daselbst in Todesängsten. Sie fiel ihm in die Augen. Er machte eine Bewegung auf sie zuzugehen: O meine Wertheste, sprach er - - Allein er wandte kurz wieder um. Seine Augen waren so schwer, als sein Herz. Er eilte hindurch zu dem großen Saal: und als er da war, bat er mich, ihn sich selbst zu überlassen.
Jhre Onkels und ihre Schwester sahen sehr oft in stillschweigender Betrübniß auf die Sinnbil- der und wieder davon weg. Fr. Hervey wollte ihnen die Jnschrift lesen - - Folgende Worte las sie: Hier hört [de]r Gottlose auf zu pla- gen: allein weiter konnte sie nicht lesen. Jhre Thränen fielen in großen Tropfen auf die Platte, welche sie betrachtete. Gleichwohl hatte sie Verlan- gen, einer Neubegierde Genüge zu thun, welche ihre Traurigkeit mit Ungedult vermischte, weil sie ihr nicht Genüge thun konnte, ob sie gleich ihre Au- gen oft so, wie sie überflossen, abwischte.
Urtheilen sie, Herr Belford; denn sie haben viele Menschheit: wie ich gerühret seyn mußte. Dennoch war ich gezwungen zu versuchen, wie ich sie alle trösten möchte.
Allein hier will ich diesen Brief schließen, da- mit ich ihn morgen frühe zu Jhnen senden kann.
Nichts
O o 2
geweſen, wie mein Schmerz! ‒ ‒ O Sohn! Sohn! ‒ ‒ Dieß ſprach er mit einem bey Vor- wuͤrfen gewohnlichen Tone aus und wandte ſein Geſicht von ihm.
Jch begleitete ihn durch den mittlern Saal und ſuchte ihn zu troͤſten. Seine Gemahlinn war daſelbſt in Todesaͤngſten. Sie fiel ihm in die Augen. Er machte eine Bewegung auf ſie zuzugehen: O meine Wertheſte, ſprach er ‒ ‒ Allein er wandte kurz wieder um. Seine Augen waren ſo ſchwer, als ſein Herz. Er eilte hindurch zu dem großen Saal: und als er da war, bat er mich, ihn ſich ſelbſt zu uͤberlaſſen.
Jhre Onkels und ihre Schweſter ſahen ſehr oft in ſtillſchweigender Betruͤbniß auf die Sinnbil- der und wieder davon weg. Fr. Hervey wollte ihnen die Jnſchrift leſen ‒ ‒ Folgende Worte las ſie: Hier hoͤrt [de]r Gottloſe auf zu pla- gen: allein weiter konnte ſie nicht leſen. Jhre Thraͤnen fielen in großen Tropfen auf die Platte, welche ſie betrachtete. Gleichwohl hatte ſie Verlan- gen, einer Neubegierde Genuͤge zu thun, welche ihre Traurigkeit mit Ungedult vermiſchte, weil ſie ihr nicht Genuͤge thun konnte, ob ſie gleich ihre Au- gen oft ſo, wie ſie uͤberfloſſen, abwiſchte.
Urtheilen ſie, Herr Belford; denn ſie haben viele Menſchheit: wie ich geruͤhret ſeyn mußte. Dennoch war ich gezwungen zu verſuchen, wie ich ſie alle troͤſten moͤchte.
Allein hier will ich dieſen Brief ſchließen, da- mit ich ihn morgen fruͤhe zu Jhnen ſenden kann.
Nichts
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geweſen, wie mein Schmerz! ‒ ‒ O Sohn!
Sohn! ‒ ‒ Dieß ſprach er mit einem bey Vor-
wuͤrfen gewohnlichen Tone aus und wandte ſein
Geſicht von ihm.
Jch begleitete ihn durch den mittlern Saal
und ſuchte ihn zu troͤſten. Seine Gemahlinn
war daſelbſt in Todesaͤngſten. Sie fiel ihm in
die Augen. Er machte eine Bewegung auf ſie
zuzugehen: O meine Wertheſte, ſprach er ‒ ‒
Allein er wandte kurz wieder um. Seine Augen
waren ſo ſchwer, als ſein Herz. Er eilte hindurch
zu dem großen Saal: und als er da war, bat er
mich, ihn ſich ſelbſt zu uͤberlaſſen.
Jhre Onkels und ihre Schweſter ſahen ſehr
oft in ſtillſchweigender Betruͤbniß auf die Sinnbil-
der und wieder davon weg. Fr. Hervey wollte
ihnen die Jnſchrift leſen ‒ ‒ Folgende Worte
las ſie: Hier hoͤrt der Gottloſe auf zu pla-
gen: allein weiter konnte ſie nicht leſen. Jhre
Thraͤnen fielen in großen Tropfen auf die Platte,
welche ſie betrachtete. Gleichwohl hatte ſie Verlan-
gen, einer Neubegierde Genuͤge zu thun, welche ihre
Traurigkeit mit Ungedult vermiſchte, weil ſie ihr
nicht Genuͤge thun konnte, ob ſie gleich ihre Au-
gen oft ſo, wie ſie uͤberfloſſen, abwiſchte.
Urtheilen ſie, Herr Belford; denn ſie haben
viele Menſchheit: wie ich geruͤhret ſeyn mußte.
Dennoch war ich gezwungen zu verſuchen, wie ich
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/585>, abgerufen am 22.11.2024.
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