da ein jeder von den Leidtragenden mit ihm so nahe verwandt ist!
Weil ich die einzige Person war, von der, so betrübt ich auch selbst war, jemand von ihnen da- mals Trost erlangen konnte: so ging ich mit die- sen Worten zu der untröstlichen Mutter. Lassen sie uns nicht, liebste Base, einem Kummer völlig Raum geben, der, so gerecht er auch seyn mag, uns doch nunmehr nichts helfen kann. Wir thun uns selbst Schaden und können doch die liebe Fräulein, um die wir trauren, nicht wiederrufen. Sie würden es auch nicht einmal wünschen: wenn sie wüßten, mit was für Versicherungen von der ewigen Glückseligkeit sie die Welt verlassen hat. - - Sie ist glücklich, Madame! - - Verlassen sie sich darauf, sie ist glücklich! und trösten sie sich mit dieser Versicherung.
O Herr Vetter, Herr Vetter! rief die un- glückselige Mutter, indem sie zugleich ihre Hand von ihrer Schwester Hervey wegzog und die mei- nige mit derselben drückte, sie wissen nicht, was für ein Kind ich verlohren habe! - - Mit einer leisern Stimme setzte sie hinzu - - Und wie ver- lohren! - - Das ist es, was mir den Verlust unerträglich macht.
Sie vereinigten sich alle in einer gewissen Art von einem Trauerchor und alle klagten sich selbst an, einige auch einander. Alle aber rund um- her warfen ihre Augen auf meinen Vetter Jakob, als denjenigen, welcher den allgemeinen Wider- willen gegen ein so angenehmes Kind unterhalten
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da ein jeder von den Leidtragenden mit ihm ſo nahe verwandt iſt!
Weil ich die einzige Perſon war, von der, ſo betruͤbt ich auch ſelbſt war, jemand von ihnen da- mals Troſt erlangen konnte: ſo ging ich mit die- ſen Worten zu der untroͤſtlichen Mutter. Laſſen ſie uns nicht, liebſte Baſe, einem Kummer voͤllig Raum geben, der, ſo gerecht er auch ſeyn mag, uns doch nunmehr nichts helfen kann. Wir thun uns ſelbſt Schaden und koͤnnen doch die liebe Fraͤulein, um die wir trauren, nicht wiederrufen. Sie wuͤrden es auch nicht einmal wuͤnſchen: wenn ſie wuͤßten, mit was fuͤr Verſicherungen von der ewigen Gluͤckſeligkeit ſie die Welt verlaſſen hat. ‒ ‒ Sie iſt gluͤcklich, Madame! ‒ ‒ Verlaſſen ſie ſich darauf, ſie iſt gluͤcklich! und troͤſten ſie ſich mit dieſer Verſicherung.
O Herr Vetter, Herr Vetter! rief die un- gluͤckſelige Mutter, indem ſie zugleich ihre Hand von ihrer Schweſter Hervey wegzog und die mei- nige mit derſelben druͤckte, ſie wiſſen nicht, was fuͤr ein Kind ich verlohren habe! ‒ ‒ Mit einer leiſern Stimme ſetzte ſie hinzu ‒ ‒ Und wie ver- lohren! ‒ ‒ Das iſt es, was mir den Verluſt unertraͤglich macht.
Sie vereinigten ſich alle in einer gewiſſen Art von einem Trauerchor und alle klagten ſich ſelbſt an, einige auch einander. Alle aber rund um- her warfen ihre Augen auf meinen Vetter Jakob, als denjenigen, welcher den allgemeinen Wider- willen gegen ein ſo angenehmes Kind unterhalten
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Weil ich die einzige Perſon war, von der, ſo
betruͤbt ich auch ſelbſt war, jemand von ihnen da-
mals Troſt erlangen konnte: ſo ging ich mit die-
ſen Worten zu der untroͤſtlichen Mutter. Laſſen
ſie uns nicht, liebſte Baſe, einem Kummer voͤllig
Raum geben, der, ſo gerecht er auch ſeyn mag,
uns doch nunmehr nichts helfen kann. Wir thun
uns ſelbſt Schaden und koͤnnen doch die liebe
Fraͤulein, um die wir trauren, nicht wiederrufen.
Sie wuͤrden es auch nicht einmal wuͤnſchen: wenn
ſie wuͤßten, mit was fuͤr Verſicherungen von der
ewigen Gluͤckſeligkeit ſie die Welt verlaſſen hat.
‒ ‒ Sie iſt gluͤcklich, Madame! ‒ ‒ Verlaſſen
ſie ſich darauf, ſie iſt gluͤcklich! und troͤſten ſie ſich
mit dieſer Verſicherung.
O Herr Vetter, Herr Vetter! rief die un-
gluͤckſelige Mutter, indem ſie zugleich ihre Hand
von ihrer Schweſter Hervey wegzog und die mei-
nige mit derſelben druͤckte, ſie wiſſen nicht, was
fuͤr ein Kind ich verlohren habe! ‒ ‒ Mit einer
leiſern Stimme ſetzte ſie hinzu ‒ ‒ Und wie ver-
lohren! ‒ ‒ Das iſt es, was mir den Verluſt
unertraͤglich macht.
Sie vereinigten ſich alle in einer gewiſſen Art
von einem Trauerchor und alle klagten ſich ſelbſt
an, einige auch einander. Alle aber rund um-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/575>, abgerufen am 22.11.2024.
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