Hierauf würde sie sich selbst geschlagen haben: wenn nicht ein halbes Dutzent auf einmal sich be- mühet hätte, ihre gewaltsamen Hände niederzuhal- ten. Das hatte sie, wie es scheint, schon oft ver- sucht, seit dem der Wundarzt sich das Wort kal- ter Brand gegen sie hatte entfallen lassen.
Aber zu welchem Ende; sprach ich, nachdem ich mich auf die Seite zu ihrer Schwester und Sarah und Maria gewandt hatte; zu welchem Ende wird ihr diese Hoffnung gemacht: wo die Aerzte sie aufgeben? Man sollte sie alles wissen lassen, so arg als es ist. Alsdenn müßte sie sich darein schicken. Denn vom Tode läßt sich nicht wegrennen. Wo sie etwas in Ordnung zu bringen hat: so berede man sie, es in Ordnung zu bringen, und beraube sie nicht durch eine fälschli- che Hoffnung, daß sie am Leben bleiben werde, der Bequemlichkeit, das nöthige zu beschicken. Geben die Wundärzte sie wirklich auf?
Ja, zischelten sie mir zu. Jhr starker Kör- per, sagen sie, giebt keine gute Hoffnung. Wir haben nach beyden Wundärzten geschickt, die wir alle Augenblicke erwarten.
Die beyden Wundärzte, welche Franzosen sind, weil Fr. Sinclair die französischen Wundärzte von Tourvillen hatte sehr loben hören, kamen her- ein, als wir noch so schwatzten. Jch begab mich in die andere Ecke des Zimmers und schob ein Fenster auf, um ein wenig frische Lust zu schöpfen: indem ich von den Ausdünstungen aus so vielen unreinen Körpern halb vergiftet war. Dieß
brach-
Hierauf wuͤrde ſie ſich ſelbſt geſchlagen haben: wenn nicht ein halbes Dutzent auf einmal ſich be- muͤhet haͤtte, ihre gewaltſamen Haͤnde niederzuhal- ten. Das hatte ſie, wie es ſcheint, ſchon oft ver- ſucht, ſeit dem der Wundarzt ſich das Wort kal- ter Brand gegen ſie hatte entfallen laſſen.
Aber zu welchem Ende; ſprach ich, nachdem ich mich auf die Seite zu ihrer Schweſter und Sarah und Maria gewandt hatte; zu welchem Ende wird ihr dieſe Hoffnung gemacht: wo die Aerzte ſie aufgeben? Man ſollte ſie alles wiſſen laſſen, ſo arg als es iſt. Alsdenn muͤßte ſie ſich darein ſchicken. Denn vom Tode laͤßt ſich nicht wegrennen. Wo ſie etwas in Ordnung zu bringen hat: ſo berede man ſie, es in Ordnung zu bringen, und beraube ſie nicht durch eine faͤlſchli- che Hoffnung, daß ſie am Leben bleiben werde, der Bequemlichkeit, das noͤthige zu beſchicken. Geben die Wundaͤrzte ſie wirklich auf?
Ja, ziſchelten ſie mir zu. Jhr ſtarker Koͤr- per, ſagen ſie, giebt keine gute Hoffnung. Wir haben nach beyden Wundaͤrzten geſchickt, die wir alle Augenblicke erwarten.
Die beyden Wundaͤrzte, welche Franzoſen ſind, weil Fr. Sinclair die franzoͤſiſchen Wundaͤrzte von Tourvillen hatte ſehr loben hoͤren, kamen her- ein, als wir noch ſo ſchwatzten. Jch begab mich in die andere Ecke des Zimmers und ſchob ein Fenſter auf, um ein wenig friſche Luſt zu ſchoͤpfen: indem ich von den Ausduͤnſtungen aus ſo vielen unreinen Koͤrpern halb vergiftet war. Dieß
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Hierauf wuͤrde ſie ſich ſelbſt geſchlagen haben:
wenn nicht ein halbes Dutzent auf einmal ſich be-
muͤhet haͤtte, ihre gewaltſamen Haͤnde niederzuhal-
ten. Das hatte ſie, wie es ſcheint, ſchon oft ver-
ſucht, ſeit dem der Wundarzt ſich das Wort kal-
ter Brand gegen ſie hatte entfallen laſſen.
Aber zu welchem Ende; ſprach ich, nachdem
ich mich auf die Seite zu ihrer Schweſter und
Sarah und Maria gewandt hatte; zu welchem
Ende wird ihr dieſe Hoffnung gemacht: wo die
Aerzte ſie aufgeben? Man ſollte ſie alles wiſſen
laſſen, ſo arg als es iſt. Alsdenn muͤßte ſie
ſich darein ſchicken. Denn vom Tode laͤßt ſich
nicht wegrennen. Wo ſie etwas in Ordnung zu
bringen hat: ſo berede man ſie, es in Ordnung zu
bringen, und beraube ſie nicht durch eine faͤlſchli-
che Hoffnung, daß ſie am Leben bleiben werde,
der Bequemlichkeit, das noͤthige zu beſchicken.
Geben die Wundaͤrzte ſie wirklich auf?
Ja, ziſchelten ſie mir zu. Jhr ſtarker Koͤr-
per, ſagen ſie, giebt keine gute Hoffnung. Wir
haben nach beyden Wundaͤrzten geſchickt, die wir
alle Augenblicke erwarten.
Die beyden Wundaͤrzte, welche Franzoſen ſind,
weil Fr. Sinclair die franzoͤſiſchen Wundaͤrzte
von Tourvillen hatte ſehr loben hoͤren, kamen her-
ein, als wir noch ſo ſchwatzten. Jch begab mich
in die andere Ecke des Zimmers und ſchob ein
Fenſter auf, um ein wenig friſche Luſt zu ſchoͤpfen:
indem ich von den Ausduͤnſtungen aus ſo vielen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/556>, abgerufen am 22.11.2024.
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