den schiene. Bey andern waren sie mit Oel und Puder eingesalbet: aber das Oel merkte man vor dem Puder heraus. An allen hingen sie um die Ohren und um den Hals in gebrochenen Locken oder zerrissenen Enden herum: und als ich in das Zimmer trat, strichen sie alle ihre verwirrten Lo- cken mit beyden Händen unter ihre Hauben oder Nachtmützen, welche alle voller Falten waren. Sie hatten alle nur die Spitzen von den Füßen in die Schuhe gesteckt. Einige waren ohne Strümpfe: alle bloß in einem Unterrock. Jhre Oberröcke, die gemacht waren, weite Reiffen zu bedecken, hingen schlumpisch, und schlugen um ih- re Fersen herum. Diese hatten sie nur eben um sich geworfen, so bald als ich die Treppen hinauf gekommen war. Die Hälfte von ihnen waren ungestalte, schiefe, elende Geschöpfe, mit blassen Lippen, hingen nur schwach zusammen, und schie- nen aus blühenden Schönheiten von neunzehn oder zwanzig Jahren vielleicht über Nacht zu scheuslichen und wohlgeübten Huren von acht und dreyßig oder vierzig Jahren geworden zu seyn.
Jch beschreibe dir das Ansehen, das diese Creaturen in meinen Augen machten, da ich in das Zimmer kam, um desto genauer, weil ich glau- be, daß du niemals irgend eine von ihnen, viel weniger einen ganzen Haufen gesehen hast, wenn sie so wenig vorbereitet gewesen, sich sehen zu las- sen (*). Jch meines Theils habe sie nie gesehen:
und
(*) Wer des Dechant Swifts Putzstube der Frau-
enzimmer
den ſchiene. Bey andern waren ſie mit Oel und Puder eingeſalbet: aber das Oel merkte man vor dem Puder heraus. An allen hingen ſie um die Ohren und um den Hals in gebrochenen Locken oder zerriſſenen Enden herum: und als ich in das Zimmer trat, ſtrichen ſie alle ihre verwirrten Lo- cken mit beyden Haͤnden unter ihre Hauben oder Nachtmuͤtzen, welche alle voller Falten waren. Sie hatten alle nur die Spitzen von den Fuͤßen in die Schuhe geſteckt. Einige waren ohne Struͤmpfe: alle bloß in einem Unterrock. Jhre Oberroͤcke, die gemacht waren, weite Reiffen zu bedecken, hingen ſchlumpiſch, und ſchlugen um ih- re Ferſen herum. Dieſe hatten ſie nur eben um ſich geworfen, ſo bald als ich die Treppen hinauf gekommen war. Die Haͤlfte von ihnen waren ungeſtalte, ſchiefe, elende Geſchoͤpfe, mit blaſſen Lippen, hingen nur ſchwach zuſammen, und ſchie- nen aus bluͤhenden Schoͤnheiten von neunzehn oder zwanzig Jahren vielleicht uͤber Nacht zu ſcheuslichen und wohlgeuͤbten Huren von acht und dreyßig oder vierzig Jahren geworden zu ſeyn.
Jch beſchreibe dir das Anſehen, das dieſe Creaturen in meinen Augen machten, da ich in das Zimmer kam, um deſto genauer, weil ich glau- be, daß du niemals irgend eine von ihnen, viel weniger einen ganzen Haufen geſehen haſt, wenn ſie ſo wenig vorbereitet geweſen, ſich ſehen zu laſ- ſen (*). Jch meines Theils habe ſie nie geſehen:
und
(*) Wer des Dechant Swifts Putzſtube der Frau-
enzimmer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0548"n="542"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
den ſchiene. Bey andern waren ſie mit Oel und<lb/>
Puder eingeſalbet: aber das Oel merkte man vor<lb/>
dem Puder heraus. An allen hingen ſie um die<lb/>
Ohren und um den Hals in gebrochenen Locken<lb/>
oder zerriſſenen Enden herum: und als ich in das<lb/>
Zimmer trat, ſtrichen ſie alle ihre verwirrten Lo-<lb/>
cken mit beyden Haͤnden unter ihre Hauben oder<lb/>
Nachtmuͤtzen, welche alle voller Falten waren.<lb/>
Sie hatten alle nur die Spitzen von den Fuͤßen<lb/>
in die Schuhe geſteckt. Einige waren ohne<lb/>
Struͤmpfe: alle bloß in einem Unterrock. Jhre<lb/>
Oberroͤcke, die gemacht waren, weite Reiffen zu<lb/>
bedecken, hingen ſchlumpiſch, und ſchlugen um ih-<lb/>
re Ferſen herum. Dieſe hatten ſie nur eben um<lb/>ſich geworfen, ſo bald als ich die Treppen hinauf<lb/>
gekommen war. Die Haͤlfte von ihnen waren<lb/>
ungeſtalte, ſchiefe, elende Geſchoͤpfe, mit blaſſen<lb/>
Lippen, hingen nur ſchwach zuſammen, und ſchie-<lb/>
nen aus bluͤhenden Schoͤnheiten von neunzehn<lb/>
oder zwanzig Jahren vielleicht uͤber Nacht zu<lb/>ſcheuslichen und wohlgeuͤbten Huren von acht und<lb/>
dreyßig oder vierzig Jahren geworden zu ſeyn.</p><lb/><p>Jch beſchreibe dir das Anſehen, das dieſe<lb/>
Creaturen in meinen Augen machten, da ich in<lb/>
das Zimmer kam, um deſto genauer, weil ich glau-<lb/>
be, daß du niemals irgend eine von ihnen, viel<lb/>
weniger einen ganzen Haufen geſehen haſt, wenn<lb/>ſie ſo wenig vorbereitet geweſen, ſich ſehen zu laſ-<lb/>ſen <notexml:id="a03"next="#a04"place="foot"n="(*)">Wer des Dechant Swifts Putzſtube der Frau-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">enzimmer</fw></note>. Jch meines Theils habe ſie nie geſehen:<lb/><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[542/0548]
den ſchiene. Bey andern waren ſie mit Oel und
Puder eingeſalbet: aber das Oel merkte man vor
dem Puder heraus. An allen hingen ſie um die
Ohren und um den Hals in gebrochenen Locken
oder zerriſſenen Enden herum: und als ich in das
Zimmer trat, ſtrichen ſie alle ihre verwirrten Lo-
cken mit beyden Haͤnden unter ihre Hauben oder
Nachtmuͤtzen, welche alle voller Falten waren.
Sie hatten alle nur die Spitzen von den Fuͤßen
in die Schuhe geſteckt. Einige waren ohne
Struͤmpfe: alle bloß in einem Unterrock. Jhre
Oberroͤcke, die gemacht waren, weite Reiffen zu
bedecken, hingen ſchlumpiſch, und ſchlugen um ih-
re Ferſen herum. Dieſe hatten ſie nur eben um
ſich geworfen, ſo bald als ich die Treppen hinauf
gekommen war. Die Haͤlfte von ihnen waren
ungeſtalte, ſchiefe, elende Geſchoͤpfe, mit blaſſen
Lippen, hingen nur ſchwach zuſammen, und ſchie-
nen aus bluͤhenden Schoͤnheiten von neunzehn
oder zwanzig Jahren vielleicht uͤber Nacht zu
ſcheuslichen und wohlgeuͤbten Huren von acht und
dreyßig oder vierzig Jahren geworden zu ſeyn.
Jch beſchreibe dir das Anſehen, das dieſe
Creaturen in meinen Augen machten, da ich in
das Zimmer kam, um deſto genauer, weil ich glau-
be, daß du niemals irgend eine von ihnen, viel
weniger einen ganzen Haufen geſehen haſt, wenn
ſie ſo wenig vorbereitet geweſen, ſich ſehen zu laſ-
ſen (*). Jch meines Theils habe ſie nie geſehen:
und
(*) Wer des Dechant Swifts Putzſtube der Frau-
enzimmer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/548>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.