dahin. Hier stellte sich mir ein so erschreckliches Trauerspiel dar, daß der Tod des armen Beltons in seiner Verzweifelung, meinen Gedanken nach, damit nicht zu vergleichen ist.
Das alte Ungeheuer hatte einmal aus Wuth und heftiger Aufwallung ihren Fuß herausge- steckt, und beständig seit dem vorigen Abend, da der Wundarzt ihr gesagt, daß es unmöglich wä- re, sie zu retten, und daß ein Brand sich zu zei- gen angefangen hätte, geschrieen, gescholten, geflu- chet: so daß sie bloß aus Mitleiden mit ihren eig- nen Ohren genöthigt worden waren, nach einem andern Wundarzt zu schicken; allein in der Ab- sicht, damit er ihr, ob gleich wider seine eigne Ueberzeugung, sagen, und den andern, weil er ein Freund von ihm war, zu überführen scheinen möchte, daß er sich versähe, und daß sie wieder aufkommen könnte, wenn sie gedultig seyn wollte. Nichts desto weniger war ihre Furcht vor dem Tode, und ihre Abneigung von den Todesgedan- ken so stark, daß ihre Teuscherey nicht die vermeyn- te Wirkung hatte: und sie lag und tobte, schriee, fluchte, ja heulte, als ich kam, mehr wie ein Wolf, als wie ein menschliches Geschöpfe: so daß ich sagte, indem ich die Treppe hinaufging: dieses Lärmen, dieses Heulen kann doch gewiß wohl nicht von dem unglücklichen Weibe seyn! Sarah sagte ja, und versicherte mich, daß es gegen den Lerm, welchen sie die ganze Nacht gemacht hätte, noch nichts wäre. Sie trat auch vor mir in das Zim- mer. Liebe Frau Sinclair, sprach sie, unterlas-
sen
dahin. Hier ſtellte ſich mir ein ſo erſchreckliches Trauerſpiel dar, daß der Tod des armen Beltons in ſeiner Verzweifelung, meinen Gedanken nach, damit nicht zu vergleichen iſt.
Das alte Ungeheuer hatte einmal aus Wuth und heftiger Aufwallung ihren Fuß herausge- ſteckt, und beſtaͤndig ſeit dem vorigen Abend, da der Wundarzt ihr geſagt, daß es unmoͤglich waͤ- re, ſie zu retten, und daß ein Brand ſich zu zei- gen angefangen haͤtte, geſchrieen, geſcholten, geflu- chet: ſo daß ſie bloß aus Mitleiden mit ihren eig- nen Ohren genoͤthigt worden waren, nach einem andern Wundarzt zu ſchicken; allein in der Ab- ſicht, damit er ihr, ob gleich wider ſeine eigne Ueberzeugung, ſagen, und den andern, weil er ein Freund von ihm war, zu uͤberfuͤhren ſcheinen moͤchte, daß er ſich verſaͤhe, und daß ſie wieder aufkommen koͤnnte, wenn ſie gedultig ſeyn wollte. Nichts deſto weniger war ihre Furcht vor dem Tode, und ihre Abneigung von den Todesgedan- ken ſo ſtark, daß ihre Teuſcherey nicht die vermeyn- te Wirkung hatte: und ſie lag und tobte, ſchriee, fluchte, ja heulte, als ich kam, mehr wie ein Wolf, als wie ein menſchliches Geſchoͤpfe: ſo daß ich ſagte, indem ich die Treppe hinaufging: dieſes Laͤrmen, dieſes Heulen kann doch gewiß wohl nicht von dem ungluͤcklichen Weibe ſeyn! Sarah ſagte ja, und verſicherte mich, daß es gegen den Lerm, welchen ſie die ganze Nacht gemacht haͤtte, noch nichts waͤre. Sie trat auch vor mir in das Zim- mer. Liebe Frau Sinclair, ſprach ſie, unterlaſ-
ſen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0546"n="540"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
dahin. Hier ſtellte ſich mir ein ſo erſchreckliches<lb/>
Trauerſpiel dar, daß der Tod des armen Beltons<lb/>
in ſeiner Verzweifelung, meinen Gedanken nach,<lb/>
damit nicht zu vergleichen iſt.</p><lb/><p>Das alte Ungeheuer hatte einmal aus Wuth<lb/>
und heftiger Aufwallung ihren Fuß herausge-<lb/>ſteckt, und beſtaͤndig ſeit dem vorigen Abend, da<lb/>
der Wundarzt ihr geſagt, daß es unmoͤglich waͤ-<lb/>
re, ſie zu retten, und daß ein Brand ſich zu zei-<lb/>
gen angefangen haͤtte, geſchrieen, geſcholten, geflu-<lb/>
chet: ſo daß ſie bloß aus Mitleiden mit ihren eig-<lb/>
nen Ohren genoͤthigt worden waren, nach einem<lb/>
andern Wundarzt zu ſchicken; allein in der Ab-<lb/>ſicht, damit er ihr, ob gleich wider ſeine eigne<lb/>
Ueberzeugung, ſagen, und den <hirendition="#fr">andern,</hi> weil er<lb/>
ein Freund von ihm war, zu uͤberfuͤhren ſcheinen<lb/>
moͤchte, daß er ſich verſaͤhe, und daß ſie wieder<lb/>
aufkommen koͤnnte, wenn ſie gedultig ſeyn wollte.<lb/>
Nichts deſto weniger war ihre Furcht vor dem<lb/>
Tode, und ihre Abneigung von den Todesgedan-<lb/>
ken ſo ſtark, daß ihre Teuſcherey nicht die vermeyn-<lb/>
te Wirkung hatte: und ſie lag und tobte, ſchriee,<lb/>
fluchte, ja heulte, als ich kam, mehr wie ein Wolf,<lb/>
als wie ein menſchliches Geſchoͤpfe: ſo daß ich<lb/>ſagte, indem ich die Treppe hinaufging: dieſes<lb/>
Laͤrmen, dieſes Heulen kann doch gewiß wohl nicht<lb/>
von dem ungluͤcklichen Weibe ſeyn! Sarah ſagte<lb/>
ja, und verſicherte mich, daß es gegen den Lerm,<lb/>
welchen ſie die ganze Nacht gemacht haͤtte, noch<lb/>
nichts waͤre. Sie trat auch vor mir in das Zim-<lb/>
mer. Liebe <hirendition="#fr">Frau</hi> Sinclair, ſprach ſie, unterlaſ-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[540/0546]
dahin. Hier ſtellte ſich mir ein ſo erſchreckliches
Trauerſpiel dar, daß der Tod des armen Beltons
in ſeiner Verzweifelung, meinen Gedanken nach,
damit nicht zu vergleichen iſt.
Das alte Ungeheuer hatte einmal aus Wuth
und heftiger Aufwallung ihren Fuß herausge-
ſteckt, und beſtaͤndig ſeit dem vorigen Abend, da
der Wundarzt ihr geſagt, daß es unmoͤglich waͤ-
re, ſie zu retten, und daß ein Brand ſich zu zei-
gen angefangen haͤtte, geſchrieen, geſcholten, geflu-
chet: ſo daß ſie bloß aus Mitleiden mit ihren eig-
nen Ohren genoͤthigt worden waren, nach einem
andern Wundarzt zu ſchicken; allein in der Ab-
ſicht, damit er ihr, ob gleich wider ſeine eigne
Ueberzeugung, ſagen, und den andern, weil er
ein Freund von ihm war, zu uͤberfuͤhren ſcheinen
moͤchte, daß er ſich verſaͤhe, und daß ſie wieder
aufkommen koͤnnte, wenn ſie gedultig ſeyn wollte.
Nichts deſto weniger war ihre Furcht vor dem
Tode, und ihre Abneigung von den Todesgedan-
ken ſo ſtark, daß ihre Teuſcherey nicht die vermeyn-
te Wirkung hatte: und ſie lag und tobte, ſchriee,
fluchte, ja heulte, als ich kam, mehr wie ein Wolf,
als wie ein menſchliches Geſchoͤpfe: ſo daß ich
ſagte, indem ich die Treppe hinaufging: dieſes
Laͤrmen, dieſes Heulen kann doch gewiß wohl nicht
von dem ungluͤcklichen Weibe ſeyn! Sarah ſagte
ja, und verſicherte mich, daß es gegen den Lerm,
welchen ſie die ganze Nacht gemacht haͤtte, noch
nichts waͤre. Sie trat auch vor mir in das Zim-
mer. Liebe Frau Sinclair, ſprach ſie, unterlaſ-
ſen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/546>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.