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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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"welche ihr alle ihre Kleider nahmen, und, weil
"sie sich nicht ergeben wollte, sie ins Gefängniß
"brachten, wo sie in Mangel und Verzweifelung
"starb!" - - Eine wahre Geschichte, wie du
weißt, Bruder - - Dieser Kerl verdiente ver-
dammt zu werden. Allein ist unser Robert ein
solcher Bösewicht gewesen? - - Und würde er
diese steinharte Fräulein nicht geheyrathet ha-
ben? - - So ist er ja ganz augenscheinlich
gerechtfertiget!

Warum sollten ihn denn so verfluchte Grillen
einnehmen? - - Wer hätte denken sollen, daß er
ein so armes Blut gewesen wäre? daß man ihn
itzo; der Henker hohle den albernen Kerl! in ei-
ner Ecke sitzen sehen sollte, wie er seinen Schatten
das Maul gegen die Vertäfelung verziehen lehret,
nachdem er seiner hönischen Majestät und seines
Beweiseführens müde geworden ist: und wer mag
wohl so gern Beweise machen, als er? - - Potz
tausend, ich habe keine Gedult mehr mit ihm.

Aber er hat diese zehn Tage her keine Ruhe
gehabt: das ist die Sache! - - Jhr müßt an ihn
schreiben: und ich bitte dich, schmeichle ihm ein
wenig, Bruder, schicke ihm alles, warum er ge-
schrieben hat, und laß ihm in allen seinen Willen;
sonst wird kein Auskommens mit ihm seyn.
Macht, daß die Fräulein so bald, als möglich ist,
begraben werde, und laßt ihn nicht wissen, wo.

Dieser Brief sollte schon gestern abgegangen
seyn. Wir sagten ihm, daß er wirklich fort wäre:
wir machten uns aber Hoffnung, daß er nicht wie-

der



„welche ihr alle ihre Kleider nahmen, und, weil
„ſie ſich nicht ergeben wollte, ſie ins Gefaͤngniß
„brachten, wo ſie in Mangel und Verzweifelung
„ſtarb!“ ‒ ‒ Eine wahre Geſchichte, wie du
weißt, Bruder ‒ ‒ Dieſer Kerl verdiente ver-
dammt zu werden. Allein iſt unſer Robert ein
ſolcher Boͤſewicht geweſen? ‒ ‒ Und wuͤrde er
dieſe ſteinharte Fraͤulein nicht geheyrathet ha-
ben? ‒ ‒ So iſt er ja ganz augenſcheinlich
gerechtfertiget!

Warum ſollten ihn denn ſo verfluchte Grillen
einnehmen? ‒ ‒ Wer haͤtte denken ſollen, daß er
ein ſo armes Blut geweſen waͤre? daß man ihn
itzo; der Henker hohle den albernen Kerl! in ei-
ner Ecke ſitzen ſehen ſollte, wie er ſeinen Schatten
das Maul gegen die Vertaͤfelung verziehen lehret,
nachdem er ſeiner hoͤniſchen Majeſtaͤt und ſeines
Beweiſefuͤhrens muͤde geworden iſt: und wer mag
wohl ſo gern Beweiſe machen, als er? ‒ ‒ Potz
tauſend, ich habe keine Gedult mehr mit ihm.

Aber er hat dieſe zehn Tage her keine Ruhe
gehabt: das iſt die Sache! ‒ ‒ Jhr muͤßt an ihn
ſchreiben: und ich bitte dich, ſchmeichle ihm ein
wenig, Bruder, ſchicke ihm alles, warum er ge-
ſchrieben hat, und laß ihm in allen ſeinen Willen;
ſonſt wird kein Auskommens mit ihm ſeyn.
Macht, daß die Fraͤulein ſo bald, als moͤglich iſt,
begraben werde, und laßt ihn nicht wiſſen, wo.

Dieſer Brief ſollte ſchon geſtern abgegangen
ſeyn. Wir ſagten ihm, daß er wirklich fort waͤre:
wir machten uns aber Hoffnung, daß er nicht wie-

der
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[526/0532] „welche ihr alle ihre Kleider nahmen, und, weil „ſie ſich nicht ergeben wollte, ſie ins Gefaͤngniß „brachten, wo ſie in Mangel und Verzweifelung „ſtarb!“ ‒ ‒ Eine wahre Geſchichte, wie du weißt, Bruder ‒ ‒ Dieſer Kerl verdiente ver- dammt zu werden. Allein iſt unſer Robert ein ſolcher Boͤſewicht geweſen? ‒ ‒ Und wuͤrde er dieſe ſteinharte Fraͤulein nicht geheyrathet ha- ben? ‒ ‒ So iſt er ja ganz augenſcheinlich gerechtfertiget! Warum ſollten ihn denn ſo verfluchte Grillen einnehmen? ‒ ‒ Wer haͤtte denken ſollen, daß er ein ſo armes Blut geweſen waͤre? daß man ihn itzo; der Henker hohle den albernen Kerl! in ei- ner Ecke ſitzen ſehen ſollte, wie er ſeinen Schatten das Maul gegen die Vertaͤfelung verziehen lehret, nachdem er ſeiner hoͤniſchen Majeſtaͤt und ſeines Beweiſefuͤhrens muͤde geworden iſt: und wer mag wohl ſo gern Beweiſe machen, als er? ‒ ‒ Potz tauſend, ich habe keine Gedult mehr mit ihm. Aber er hat dieſe zehn Tage her keine Ruhe gehabt: das iſt die Sache! ‒ ‒ Jhr muͤßt an ihn ſchreiben: und ich bitte dich, ſchmeichle ihm ein wenig, Bruder, ſchicke ihm alles, warum er ge- ſchrieben hat, und laß ihm in allen ſeinen Willen; ſonſt wird kein Auskommens mit ihm ſeyn. Macht, daß die Fraͤulein ſo bald, als moͤglich iſt, begraben werde, und laßt ihn nicht wiſſen, wo. Dieſer Brief ſollte ſchon geſtern abgegangen ſeyn. Wir ſagten ihm, daß er wirklich fort waͤre: wir machten uns aber Hoffnung, daß er nicht wie- der

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/532>, abgerufen am 22.11.2024.