Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



Thorheit zu ziehen. Denn wir sagten ihm, sie
wäre ja nur eine Weibsperson, und noch dazu eine
eigensinnige, verkehrte Weibsperson: und wie
könnte er es ändern?

Jhr wisset, Bruder; wie wir ihm überdieß
auch sagten; daß es eine Schande für das männ-
liche Geschlecht wäre, wenn sich eine Mannsper-
son, die mit zwanzig und abermal zwanzig Weibs-
leuten eben so arg oder noch ärger umgegangen,
er mag auch noch so arg mit der Fräulein Harlo-
we umgegangen seyn, sich so seltsam gebärden
sollte: und wir riethen ihm, sich niemals wieder
an ein Frauenzimmer, das auf ihre Ehre und
Tugend, wie sie es nennen, stolz ist, zu wagen;
denn warum? Der Sieg brächte die Mühe nicht
ein; und was wäre wohl an einem Frauenzim-
mer mehr, als an dem andern? Gelte, ihr wis-
set es, Bruder! - - Und so trösteten wir ihn und
gaben ihm guten Rath!

Allein dennoch steht ihm sein bethörter Sinn
auf diese Fräulein, itzo, da sie todt ist, eben so sehr,
als da sie am Leben war. Denn ich vermuthe,
Bruder, daß es kein Spaß ist. Sie ist doch
gewiß, und bona fide, todt: nicht wahr? Jst es
nicht: so verdienst du zwiefache Verdammniß,
weil du uns zu Narren haben willst; das sage
ich dir. Deswegen will er haben, daß ich an
dich schreiben, und mich nach den eigentlichen Um-
ständen ihres Abschiedes erkundigen soll.

Er will das Wort todt auf keine Weise lei-
den. Ein wunderlicher Tändler! Wie die Liebe

ent-
F f 3



Thorheit zu ziehen. Denn wir ſagten ihm, ſie
waͤre ja nur eine Weibsperſon, und noch dazu eine
eigenſinnige, verkehrte Weibsperſon: und wie
koͤnnte er es aͤndern?

Jhr wiſſet, Bruder; wie wir ihm uͤberdieß
auch ſagten; daß es eine Schande fuͤr das maͤnn-
liche Geſchlecht waͤre, wenn ſich eine Mannsper-
ſon, die mit zwanzig und abermal zwanzig Weibs-
leuten eben ſo arg oder noch aͤrger umgegangen,
er mag auch noch ſo arg mit der Fraͤulein Harlo-
we umgegangen ſeyn, ſich ſo ſeltſam gebaͤrden
ſollte: und wir riethen ihm, ſich niemals wieder
an ein Frauenzimmer, das auf ihre Ehre und
Tugend, wie ſie es nennen, ſtolz iſt, zu wagen;
denn warum? Der Sieg braͤchte die Muͤhe nicht
ein; und was waͤre wohl an einem Frauenzim-
mer mehr, als an dem andern? Gelte, ihr wiſ-
ſet es, Bruder! ‒ ‒ Und ſo troͤſteten wir ihn und
gaben ihm guten Rath!

Allein dennoch ſteht ihm ſein bethoͤrter Sinn
auf dieſe Fraͤulein, itzo, da ſie todt iſt, eben ſo ſehr,
als da ſie am Leben war. Denn ich vermuthe,
Bruder, daß es kein Spaß iſt. Sie iſt doch
gewiß, und bona fide, todt: nicht wahr? Jſt es
nicht: ſo verdienſt du zwiefache Verdammniß,
weil du uns zu Narren haben willſt; das ſage
ich dir. Deswegen will er haben, daß ich an
dich ſchreiben, und mich nach den eigentlichen Um-
ſtaͤnden ihres Abſchiedes erkundigen ſoll.

Er will das Wort todt auf keine Weiſe lei-
den. Ein wunderlicher Taͤndler! Wie die Liebe

ent-
F f 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0459" n="453"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Thorheit zu ziehen. Denn wir &#x017F;agten ihm, &#x017F;ie<lb/>
wa&#x0364;re ja nur eine Weibsper&#x017F;on, und noch dazu eine<lb/>
eigen&#x017F;innige, verkehrte Weibsper&#x017F;on: und wie<lb/>
ko&#x0364;nnte er es a&#x0364;ndern?</p><lb/>
          <p>Jhr wi&#x017F;&#x017F;et, Bruder; wie wir ihm u&#x0364;berdieß<lb/>
auch &#x017F;agten; daß es eine Schande fu&#x0364;r das ma&#x0364;nn-<lb/>
liche Ge&#x017F;chlecht wa&#x0364;re, wenn &#x017F;ich eine Mannsper-<lb/>
&#x017F;on, die mit zwanzig und abermal zwanzig Weibs-<lb/>
leuten eben &#x017F;o arg oder noch a&#x0364;rger umgegangen,<lb/>
er mag auch noch &#x017F;o arg mit der Fra&#x0364;ulein Harlo-<lb/>
we umgegangen &#x017F;eyn, &#x017F;ich &#x017F;o <hi rendition="#fr">&#x017F;elt&#x017F;am</hi> geba&#x0364;rden<lb/>
&#x017F;ollte: und wir riethen ihm, &#x017F;ich niemals wieder<lb/>
an ein Frauenzimmer, das auf ihre Ehre und<lb/><hi rendition="#fr">Tugend,</hi> wie &#x017F;ie es nennen, &#x017F;tolz i&#x017F;t, zu wagen;<lb/>
denn warum? Der Sieg bra&#x0364;chte die Mu&#x0364;he nicht<lb/>
ein; und was wa&#x0364;re wohl an einem Frauenzim-<lb/>
mer mehr, als an dem andern? Gelte, ihr wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;et es, Bruder! &#x2012; &#x2012; Und &#x017F;o tro&#x0364;&#x017F;teten wir ihn und<lb/>
gaben ihm guten Rath!</p><lb/>
          <p>Allein dennoch &#x017F;teht ihm &#x017F;ein betho&#x0364;rter Sinn<lb/>
auf die&#x017F;e Fra&#x0364;ulein, itzo, da &#x017F;ie todt i&#x017F;t, eben &#x017F;o &#x017F;ehr,<lb/>
als da &#x017F;ie am Leben war. Denn ich vermuthe,<lb/>
Bruder, daß es kein Spaß i&#x017F;t. Sie i&#x017F;t doch<lb/>
gewiß, und <hi rendition="#aq">bona fide,</hi> todt: nicht wahr? J&#x017F;t es<lb/>
nicht: &#x017F;o verdien&#x017F;t du zwiefache Verdammniß,<lb/>
weil du uns zu Narren haben will&#x017F;t; das &#x017F;age<lb/>
ich dir. Deswegen will er haben, daß ich an<lb/>
dich &#x017F;chreiben, und mich nach den eigentlichen Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nden ihres <hi rendition="#fr">Ab&#x017F;chiedes</hi> erkundigen &#x017F;oll.</p><lb/>
          <p>Er will das Wort <hi rendition="#fr">todt</hi> auf keine Wei&#x017F;e lei-<lb/>
den. Ein wunderlicher Ta&#x0364;ndler! Wie die Liebe<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F f 3</fw><fw place="bottom" type="catch">ent-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[453/0459] Thorheit zu ziehen. Denn wir ſagten ihm, ſie waͤre ja nur eine Weibsperſon, und noch dazu eine eigenſinnige, verkehrte Weibsperſon: und wie koͤnnte er es aͤndern? Jhr wiſſet, Bruder; wie wir ihm uͤberdieß auch ſagten; daß es eine Schande fuͤr das maͤnn- liche Geſchlecht waͤre, wenn ſich eine Mannsper- ſon, die mit zwanzig und abermal zwanzig Weibs- leuten eben ſo arg oder noch aͤrger umgegangen, er mag auch noch ſo arg mit der Fraͤulein Harlo- we umgegangen ſeyn, ſich ſo ſeltſam gebaͤrden ſollte: und wir riethen ihm, ſich niemals wieder an ein Frauenzimmer, das auf ihre Ehre und Tugend, wie ſie es nennen, ſtolz iſt, zu wagen; denn warum? Der Sieg braͤchte die Muͤhe nicht ein; und was waͤre wohl an einem Frauenzim- mer mehr, als an dem andern? Gelte, ihr wiſ- ſet es, Bruder! ‒ ‒ Und ſo troͤſteten wir ihn und gaben ihm guten Rath! Allein dennoch ſteht ihm ſein bethoͤrter Sinn auf dieſe Fraͤulein, itzo, da ſie todt iſt, eben ſo ſehr, als da ſie am Leben war. Denn ich vermuthe, Bruder, daß es kein Spaß iſt. Sie iſt doch gewiß, und bona fide, todt: nicht wahr? Jſt es nicht: ſo verdienſt du zwiefache Verdammniß, weil du uns zu Narren haben willſt; das ſage ich dir. Deswegen will er haben, daß ich an dich ſchreiben, und mich nach den eigentlichen Um- ſtaͤnden ihres Abſchiedes erkundigen ſoll. Er will das Wort todt auf keine Weiſe lei- den. Ein wunderlicher Taͤndler! Wie die Liebe ent- F f 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/459
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/459>, abgerufen am 26.06.2024.