Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



den; niederträchtige Bösewichter! ihre Onkels
dem Beyspiel, das ihr Großvater gegeben hatte,
folgen möchten.

Mancher Mensch, der erst nur willens war,
zu versuchen, ob ein Mägdchen eine kleine Frey-
heit übel aufnehmen würde, ist, wenn er gefun-
den, daß ihm kein Einhalt geschehen, oder daß er
nur obenhin und mit lachendem Munde abgewie-
sen worden, eben dadurch aufgemuntert, den letz-
ten Versuch zu wagen, und hat gesieget, wo er sich
vormals nicht anders, als mit Furcht und Zittern,
und vorläufiger Ueberlegung, wie er davon kom-
men möchte, wann ein heftiger Unwille darauf er-
folgen sollte, auch nur von weiten einen Versuch
zu machen unterstand.

Um diese Erläuterung auf den gegenwärtigen
Fall anzuwenden, vermuthe ich, daß die Fräulein
bey ihrem Unwillen anfangs nur die Absicht ge-
habt mich zu kränken und zu plagen. Da sie
aber gefunden, daß sie ihren Zweck dabey erreichen
könnte, ist die Rachbegierde bey ihr stärker gewor-
den, als das Verlangen zu leben. Und nun ist
sie willig zum Sterben, als einem Erfolg, der
nach ihrer Vermuthung mir das Herz abstoßen
wird. Auch noch desto mehr gerächet zu seyn,
nimmt sie die Gestalt einer Christinn an, und ver-
giebet mir.

Aber ich will nichts von ihrer Vergebung ha-
ben. Mein eigenes Herz saget mir zu, daß ich
sie nicht verdiene, und sie ist mir unerträglich. - -
Was ist es auch wohl anders, als eine bloße Ver-

gebung



den; niedertraͤchtige Boͤſewichter! ihre Onkels
dem Beyſpiel, das ihr Großvater gegeben hatte,
folgen moͤchten.

Mancher Menſch, der erſt nur willens war,
zu verſuchen, ob ein Maͤgdchen eine kleine Frey-
heit uͤbel aufnehmen wuͤrde, iſt, wenn er gefun-
den, daß ihm kein Einhalt geſchehen, oder daß er
nur obenhin und mit lachendem Munde abgewie-
ſen worden, eben dadurch aufgemuntert, den letz-
ten Verſuch zu wagen, und hat geſieget, wo er ſich
vormals nicht anders, als mit Furcht und Zittern,
und vorlaͤufiger Ueberlegung, wie er davon kom-
men moͤchte, wann ein heftiger Unwille darauf er-
folgen ſollte, auch nur von weiten einen Verſuch
zu machen unterſtand.

Um dieſe Erlaͤuterung auf den gegenwaͤrtigen
Fall anzuwenden, vermuthe ich, daß die Fraͤulein
bey ihrem Unwillen anfangs nur die Abſicht ge-
habt mich zu kraͤnken und zu plagen. Da ſie
aber gefunden, daß ſie ihren Zweck dabey erreichen
koͤnnte, iſt die Rachbegierde bey ihr ſtaͤrker gewor-
den, als das Verlangen zu leben. Und nun iſt
ſie willig zum Sterben, als einem Erfolg, der
nach ihrer Vermuthung mir das Herz abſtoßen
wird. Auch noch deſto mehr geraͤchet zu ſeyn,
nimmt ſie die Geſtalt einer Chriſtinn an, und ver-
giebet mir.

Aber ich will nichts von ihrer Vergebung ha-
ben. Mein eigenes Herz ſaget mir zu, daß ich
ſie nicht verdiene, und ſie iſt mir unertraͤglich. ‒ ‒
Was iſt es auch wohl anders, als eine bloße Ver-

gebung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0416" n="410"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
den; niedertra&#x0364;chtige Bo&#x0364;&#x017F;ewichter! ihre Onkels<lb/>
dem Bey&#x017F;piel, das ihr Großvater gegeben hatte,<lb/>
folgen mo&#x0364;chten.</p><lb/>
          <p>Mancher Men&#x017F;ch, der er&#x017F;t nur willens war,<lb/>
zu ver&#x017F;uchen, ob ein Ma&#x0364;gdchen eine kleine Frey-<lb/>
heit u&#x0364;bel aufnehmen wu&#x0364;rde, i&#x017F;t, wenn er gefun-<lb/>
den, daß ihm kein Einhalt ge&#x017F;chehen, oder daß er<lb/>
nur obenhin und mit lachendem Munde abgewie-<lb/>
&#x017F;en worden, eben dadurch aufgemuntert, den letz-<lb/>
ten Ver&#x017F;uch zu wagen, und hat ge&#x017F;ieget, wo er &#x017F;ich<lb/>
vormals nicht anders, als mit Furcht und Zittern,<lb/>
und vorla&#x0364;ufiger Ueberlegung, wie er davon kom-<lb/>
men mo&#x0364;chte, wann ein heftiger Unwille darauf er-<lb/>
folgen &#x017F;ollte, auch nur von weiten einen Ver&#x017F;uch<lb/>
zu machen unter&#x017F;tand.</p><lb/>
          <p>Um die&#x017F;e Erla&#x0364;uterung auf den gegenwa&#x0364;rtigen<lb/>
Fall anzuwenden, vermuthe ich, daß die Fra&#x0364;ulein<lb/>
bey ihrem Unwillen anfangs nur die Ab&#x017F;icht ge-<lb/>
habt mich zu kra&#x0364;nken und zu plagen. Da &#x017F;ie<lb/>
aber gefunden, daß &#x017F;ie ihren Zweck dabey erreichen<lb/>
ko&#x0364;nnte, i&#x017F;t die Rachbegierde bey ihr &#x017F;ta&#x0364;rker gewor-<lb/>
den, als das Verlangen zu leben. Und nun i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ie willig zum Sterben, als einem Erfolg, der<lb/>
nach ihrer Vermuthung mir das Herz ab&#x017F;toßen<lb/>
wird. Auch noch de&#x017F;to mehr gera&#x0364;chet zu &#x017F;eyn,<lb/>
nimmt &#x017F;ie die Ge&#x017F;talt einer Chri&#x017F;tinn an, und ver-<lb/>
giebet mir.</p><lb/>
          <p>Aber ich will nichts von ihrer Vergebung ha-<lb/>
ben. Mein eigenes Herz &#x017F;aget mir zu, daß ich<lb/>
&#x017F;ie nicht verdiene, und &#x017F;ie i&#x017F;t mir unertra&#x0364;glich. &#x2012; &#x2012;<lb/>
Was i&#x017F;t es auch wohl anders, als eine bloße Ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gebung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[410/0416] den; niedertraͤchtige Boͤſewichter! ihre Onkels dem Beyſpiel, das ihr Großvater gegeben hatte, folgen moͤchten. Mancher Menſch, der erſt nur willens war, zu verſuchen, ob ein Maͤgdchen eine kleine Frey- heit uͤbel aufnehmen wuͤrde, iſt, wenn er gefun- den, daß ihm kein Einhalt geſchehen, oder daß er nur obenhin und mit lachendem Munde abgewie- ſen worden, eben dadurch aufgemuntert, den letz- ten Verſuch zu wagen, und hat geſieget, wo er ſich vormals nicht anders, als mit Furcht und Zittern, und vorlaͤufiger Ueberlegung, wie er davon kom- men moͤchte, wann ein heftiger Unwille darauf er- folgen ſollte, auch nur von weiten einen Verſuch zu machen unterſtand. Um dieſe Erlaͤuterung auf den gegenwaͤrtigen Fall anzuwenden, vermuthe ich, daß die Fraͤulein bey ihrem Unwillen anfangs nur die Abſicht ge- habt mich zu kraͤnken und zu plagen. Da ſie aber gefunden, daß ſie ihren Zweck dabey erreichen koͤnnte, iſt die Rachbegierde bey ihr ſtaͤrker gewor- den, als das Verlangen zu leben. Und nun iſt ſie willig zum Sterben, als einem Erfolg, der nach ihrer Vermuthung mir das Herz abſtoßen wird. Auch noch deſto mehr geraͤchet zu ſeyn, nimmt ſie die Geſtalt einer Chriſtinn an, und ver- giebet mir. Aber ich will nichts von ihrer Vergebung ha- ben. Mein eigenes Herz ſaget mir zu, daß ich ſie nicht verdiene, und ſie iſt mir unertraͤglich. ‒ ‒ Was iſt es auch wohl anders, als eine bloße Ver- gebung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/416
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/416>, abgerufen am 22.11.2024.