an den Frauensleuten sahe, theils bey ihrer rüh- renden Beredtsamkeit, eben so wenig der Thrä- nen erwehren, als diese. Nichts desto weniger schwiegen wir stille: und sie fuhr fort zu reden; wandte sich aber zu mir.
O Herr Belford! Dieß ist ein elendes ver- gängliches Leben in den besten Ergötzlichkeiten, die es verstattet. Wir flattern, wie die bunten Sommervögel, auf eine zwar lustige, aber sehr kurze Zeit, mit allen unsern Eitelkeiten um uns, hier und dort herum, bis wir uns endlich zur Ru- he niederlegen: und wer weiß, in was für einer Gestalt, oder zu was für einem Zustande wir wieder aufstehen werden?
Jch wünschte, daß sie mir, als einem jungen Frauenzimmer, das eben neunzehn Jahre errei- chet hat, und, da es noch vor einigen wenigen Mo- naten in voller Blüthe und gesundem Zustande war, itzo schon durch die kalte Hand des Todes gebrochen ist, in diesen meinen letzten Stun- den so vielen Einfluß über sie erlauben wollten, daß sie sich zu einem ordentlichen Leben und zur Buße über alles Böse, dessen sie sich etwa vorher schuldig gemacht haben können, entschließen möch- ten. Denn glauben sie mir, mein Herr, daß itzo, in diesem letzten Stande, sehr wenige Dinge vor unserm eignen Richterstuhl die Probe halten, oder als löblich, wo ja noch als verzeihlich, hin- gehen wollen; viel weniger vor einem noch fürch- terlichern Richterstuhle: und das in allem, was wir gethan, oder woran wir Vergnügen gefunden
haben;
an den Frauensleuten ſahe, theils bey ihrer ruͤh- renden Beredtſamkeit, eben ſo wenig der Thraͤ- nen erwehren, als dieſe. Nichts deſto weniger ſchwiegen wir ſtille: und ſie fuhr fort zu reden; wandte ſich aber zu mir.
O Herr Belford! Dieß iſt ein elendes ver- gaͤngliches Leben in den beſten Ergoͤtzlichkeiten, die es verſtattet. Wir flattern, wie die bunten Sommervoͤgel, auf eine zwar luſtige, aber ſehr kurze Zeit, mit allen unſern Eitelkeiten um uns, hier und dort herum, bis wir uns endlich zur Ru- he niederlegen: und wer weiß, in was fuͤr einer Geſtalt, oder zu was fuͤr einem Zuſtande wir wieder aufſtehen werden?
Jch wuͤnſchte, daß ſie mir, als einem jungen Frauenzimmer, das eben neunzehn Jahre errei- chet hat, und, da es noch vor einigen wenigen Mo- naten in voller Bluͤthe und geſundem Zuſtande war, itzo ſchon durch die kalte Hand des Todes gebrochen iſt, in dieſen meinen letzten Stun- den ſo vielen Einfluß uͤber ſie erlauben wollten, daß ſie ſich zu einem ordentlichen Leben und zur Buße uͤber alles Boͤſe, deſſen ſie ſich etwa vorher ſchuldig gemacht haben koͤnnen, entſchließen moͤch- ten. Denn glauben ſie mir, mein Herr, daß itzo, in dieſem letzten Stande, ſehr wenige Dinge vor unſerm eignen Richterſtuhl die Probe halten, oder als loͤblich, wo ja noch als verzeihlich, hin- gehen wollen; viel weniger vor einem noch fuͤrch- terlichern Richterſtuhle: und das in allem, was wir gethan, oder woran wir Vergnuͤgen gefunden
haben;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0384"n="378"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
an den Frauensleuten ſahe, theils bey ihrer ruͤh-<lb/>
renden Beredtſamkeit, eben ſo wenig der Thraͤ-<lb/>
nen erwehren, als dieſe. Nichts deſto weniger<lb/>ſchwiegen wir ſtille: und ſie fuhr fort zu reden;<lb/>
wandte ſich aber zu mir.</p><lb/><p>O Herr Belford! Dieß iſt ein elendes ver-<lb/>
gaͤngliches Leben in den beſten Ergoͤtzlichkeiten,<lb/>
die es verſtattet. Wir flattern, wie die bunten<lb/>
Sommervoͤgel, auf eine zwar luſtige, aber ſehr<lb/>
kurze Zeit, mit allen unſern Eitelkeiten um uns,<lb/>
hier und dort herum, bis wir uns endlich zur Ru-<lb/>
he niederlegen: und wer weiß, in was fuͤr einer<lb/>
Geſtalt, oder zu was fuͤr einem Zuſtande wir<lb/>
wieder aufſtehen werden?</p><lb/><p>Jch wuͤnſchte, daß ſie mir, als einem jungen<lb/>
Frauenzimmer, das eben neunzehn Jahre errei-<lb/>
chet hat, und, da es noch vor einigen wenigen Mo-<lb/>
naten in voller Bluͤthe und geſundem Zuſtande<lb/>
war, itzo ſchon durch die kalte Hand des Todes<lb/>
gebrochen iſt, in <hirendition="#fr">dieſen meinen letzten Stun-<lb/>
den</hi>ſo vielen Einfluß uͤber ſie erlauben wollten,<lb/>
daß ſie ſich zu einem ordentlichen Leben und zur<lb/>
Buße uͤber alles Boͤſe, deſſen ſie ſich etwa vorher<lb/>ſchuldig gemacht haben koͤnnen, entſchließen moͤch-<lb/>
ten. Denn glauben ſie mir, mein Herr, daß itzo,<lb/>
in dieſem letzten Stande, ſehr wenige Dinge vor<lb/>
unſerm eignen Richterſtuhl die Probe halten,<lb/>
oder als loͤblich, wo ja noch als <hirendition="#fr">verzeihlich,</hi> hin-<lb/>
gehen wollen; viel weniger vor einem noch fuͤrch-<lb/>
terlichern Richterſtuhle: und das in allem, was<lb/>
wir gethan, oder woran wir Vergnuͤgen gefunden<lb/><fwplace="bottom"type="catch">haben;</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[378/0384]
an den Frauensleuten ſahe, theils bey ihrer ruͤh-
renden Beredtſamkeit, eben ſo wenig der Thraͤ-
nen erwehren, als dieſe. Nichts deſto weniger
ſchwiegen wir ſtille: und ſie fuhr fort zu reden;
wandte ſich aber zu mir.
O Herr Belford! Dieß iſt ein elendes ver-
gaͤngliches Leben in den beſten Ergoͤtzlichkeiten,
die es verſtattet. Wir flattern, wie die bunten
Sommervoͤgel, auf eine zwar luſtige, aber ſehr
kurze Zeit, mit allen unſern Eitelkeiten um uns,
hier und dort herum, bis wir uns endlich zur Ru-
he niederlegen: und wer weiß, in was fuͤr einer
Geſtalt, oder zu was fuͤr einem Zuſtande wir
wieder aufſtehen werden?
Jch wuͤnſchte, daß ſie mir, als einem jungen
Frauenzimmer, das eben neunzehn Jahre errei-
chet hat, und, da es noch vor einigen wenigen Mo-
naten in voller Bluͤthe und geſundem Zuſtande
war, itzo ſchon durch die kalte Hand des Todes
gebrochen iſt, in dieſen meinen letzten Stun-
den ſo vielen Einfluß uͤber ſie erlauben wollten,
daß ſie ſich zu einem ordentlichen Leben und zur
Buße uͤber alles Boͤſe, deſſen ſie ſich etwa vorher
ſchuldig gemacht haben koͤnnen, entſchließen moͤch-
ten. Denn glauben ſie mir, mein Herr, daß itzo,
in dieſem letzten Stande, ſehr wenige Dinge vor
unſerm eignen Richterſtuhl die Probe halten,
oder als loͤblich, wo ja noch als verzeihlich, hin-
gehen wollen; viel weniger vor einem noch fuͤrch-
terlichern Richterſtuhle: und das in allem, was
wir gethan, oder woran wir Vergnuͤgen gefunden
haben;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/384>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.