fen. Hiebey konnte Jhre Fr. Mutter nicht aus- dauren, sondern ging allein in eine Ecke des Zim- mers, gluchsete und weinte. Jhr Herr Vater war auf einige Augenblicke nicht im Stande ein Wort zu sagen: ob es gleich schiene, als wenn er etwas sagen wollte.
Jhre Onkels waren auch beyde mitleidig ge- rühret: - - allein Jhr Bruder ging zu allen in die Ründe herum; und erinnerte Jhre Fr. Mut- ter wieder, daß sie noch andere Kinder hätte. Was wäre wohl, sprach er, in allem dem, was gelesen worden, mehr, als die Wirkung der na- türlichen Gabe, die Sie hätten, Leidenschaften zu erregen? Ja er machte ihnen einen Vorwurf dar- aus, daß sie sich entschließen möchten, etwas gele- sen zu hören, das, nach ihrer eignen Ueberzeu- gung, für ihre allzu große und gemisbrauchte Güte zu stark wäre, sich dabey halten zu können.
Dieß brachte den Herrn Morden wieder auf. Pfuy, schämen sie sich, Vetter Harlowe! waren seine Worte - - Jch sehe augenscheinlich, wer daran schuld ist, daß alle Verwandtschaft, alle Verbindung unter Blutsfreunden gegen diese lie- benswürdige Bedrängte aus den Augen gesetzet wird. Eine solche Härte, wie dieß ist, macht es einer gleitenden Tugend schwer, sich jemals wie- der zu setzen.
Jhr Bruder brauchte die Ehre der Familie zu einem Vorwande, und erklärte sich, daß man keinem Kinde vergeben müßte, welches gegen alle War-
nung,
fen. Hiebey konnte Jhre Fr. Mutter nicht aus- dauren, ſondern ging allein in eine Ecke des Zim- mers, gluchſete und weinte. Jhr Herr Vater war auf einige Augenblicke nicht im Stande ein Wort zu ſagen: ob es gleich ſchiene, als wenn er etwas ſagen wollte.
Jhre Onkels waren auch beyde mitleidig ge- ruͤhret: ‒ ‒ allein Jhr Bruder ging zu allen in die Ruͤnde herum; und erinnerte Jhre Fr. Mut- ter wieder, daß ſie noch andere Kinder haͤtte. Was waͤre wohl, ſprach er, in allem dem, was geleſen worden, mehr, als die Wirkung der na- tuͤrlichen Gabe, die Sie haͤtten, Leidenſchaften zu erregen? Ja er machte ihnen einen Vorwurf dar- aus, daß ſie ſich entſchließen moͤchten, etwas gele- ſen zu hoͤren, das, nach ihrer eignen Ueberzeu- gung, fuͤr ihre allzu große und gemisbrauchte Guͤte zu ſtark waͤre, ſich dabey halten zu koͤnnen.
Dieß brachte den Herrn Morden wieder auf. Pfuy, ſchaͤmen ſie ſich, Vetter Harlowe! waren ſeine Worte ‒ ‒ Jch ſehe augenſcheinlich, wer daran ſchuld iſt, daß alle Verwandtſchaft, alle Verbindung unter Blutsfreunden gegen dieſe lie- benswuͤrdige Bedraͤngte aus den Augen geſetzet wird. Eine ſolche Haͤrte, wie dieß iſt, macht es einer gleitenden Tugend ſchwer, ſich jemals wie- der zu ſetzen.
Jhr Bruder brauchte die Ehre der Familie zu einem Vorwande, und erklaͤrte ſich, daß man keinem Kinde vergeben muͤßte, welches gegen alle War-
nung,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0337"n="331"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
fen. Hiebey konnte Jhre Fr. Mutter nicht aus-<lb/>
dauren, ſondern ging allein in eine Ecke des Zim-<lb/>
mers, gluchſete und weinte. Jhr Herr Vater<lb/>
war auf einige Augenblicke nicht im Stande ein<lb/>
Wort zu ſagen: ob es gleich ſchiene, als wenn er<lb/>
etwas ſagen wollte.</p><lb/><p>Jhre Onkels waren auch beyde mitleidig ge-<lb/>
ruͤhret: ‒‒ allein Jhr Bruder ging zu allen in<lb/>
die Ruͤnde herum; und erinnerte Jhre Fr. Mut-<lb/>
ter wieder, daß ſie noch andere Kinder haͤtte.<lb/>
Was waͤre wohl, ſprach er, in allem dem, was<lb/>
geleſen worden, mehr, als die Wirkung der na-<lb/>
tuͤrlichen Gabe, die Sie haͤtten, Leidenſchaften zu<lb/>
erregen? Ja er machte ihnen einen Vorwurf dar-<lb/>
aus, daß ſie ſich entſchließen moͤchten, etwas gele-<lb/>ſen zu hoͤren, das, nach ihrer eignen Ueberzeu-<lb/>
gung, fuͤr ihre allzu große und gemisbrauchte<lb/>
Guͤte zu ſtark waͤre, ſich dabey halten zu koͤnnen.</p><lb/><p>Dieß brachte den Herrn Morden wieder auf.<lb/>
Pfuy, ſchaͤmen ſie ſich, Vetter Harlowe! waren<lb/>ſeine Worte ‒‒ Jch ſehe augenſcheinlich, wer<lb/>
daran ſchuld iſt, daß alle Verwandtſchaft, alle<lb/>
Verbindung unter Blutsfreunden gegen dieſe lie-<lb/>
benswuͤrdige Bedraͤngte aus den Augen geſetzet<lb/>
wird. Eine ſolche Haͤrte, wie dieß iſt, macht es<lb/>
einer gleitenden Tugend ſchwer, ſich jemals wie-<lb/>
der zu ſetzen.</p><lb/><p>Jhr Bruder brauchte die Ehre der Familie zu<lb/>
einem Vorwande, und erklaͤrte ſich, daß man keinem<lb/>
Kinde vergeben muͤßte, welches gegen alle War-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nung,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[331/0337]
fen. Hiebey konnte Jhre Fr. Mutter nicht aus-
dauren, ſondern ging allein in eine Ecke des Zim-
mers, gluchſete und weinte. Jhr Herr Vater
war auf einige Augenblicke nicht im Stande ein
Wort zu ſagen: ob es gleich ſchiene, als wenn er
etwas ſagen wollte.
Jhre Onkels waren auch beyde mitleidig ge-
ruͤhret: ‒ ‒ allein Jhr Bruder ging zu allen in
die Ruͤnde herum; und erinnerte Jhre Fr. Mut-
ter wieder, daß ſie noch andere Kinder haͤtte.
Was waͤre wohl, ſprach er, in allem dem, was
geleſen worden, mehr, als die Wirkung der na-
tuͤrlichen Gabe, die Sie haͤtten, Leidenſchaften zu
erregen? Ja er machte ihnen einen Vorwurf dar-
aus, daß ſie ſich entſchließen moͤchten, etwas gele-
ſen zu hoͤren, das, nach ihrer eignen Ueberzeu-
gung, fuͤr ihre allzu große und gemisbrauchte
Guͤte zu ſtark waͤre, ſich dabey halten zu koͤnnen.
Dieß brachte den Herrn Morden wieder auf.
Pfuy, ſchaͤmen ſie ſich, Vetter Harlowe! waren
ſeine Worte ‒ ‒ Jch ſehe augenſcheinlich, wer
daran ſchuld iſt, daß alle Verwandtſchaft, alle
Verbindung unter Blutsfreunden gegen dieſe lie-
benswuͤrdige Bedraͤngte aus den Augen geſetzet
wird. Eine ſolche Haͤrte, wie dieß iſt, macht es
einer gleitenden Tugend ſchwer, ſich jemals wie-
der zu ſetzen.
Jhr Bruder brauchte die Ehre der Familie zu
einem Vorwande, und erklaͤrte ſich, daß man keinem
Kinde vergeben muͤßte, welches gegen alle War-
nung,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/337>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.