Anfange bis zu Ende unendlich mehr über mich gesieget, als von mir gelitten?
Wollte nur die heilige Achtung, welche ich ge- gen ihre Reinigkeit selbst in Ansehung ihrer Per- son so wohl, als in Ansehung ihres Verstandes hege, es erlauben: so könnte ich dieß so klar, als die Sonne ist, beweisen. Daher sage der lieben Fräulein, daß sie nicht gottlos in ihrer Gottseligkeit seyn müsse. Es kann eben so wohl zu viel, als zu wenig, selbst in einem rechtmäßigen Verfah- ren geschehen. Vielleicht denkt sie nicht daran - - O daß sie mir so gefällig zugelassen hätte, als dir, ihr aufzuwarten! - - Das liebe Kind pflegte die Munterkeit gern zu haben. Jch gedenke noch der Zeit, da sie wohl wußte, wie sie über eine Probe einer wohlangebrachten Munterkeit lächeln sollte: und ich muß dir sagen, ein Lächeln auf den Lippen müßte in einem so aufrichtigen Herzen, als das ihrige ist, eine ihm gemäße Munterkeit gehabt haben.
Vermelde dem Arzt, daß ich ihm alles, was ich besitze und was auf mich fällt, übertragen will: wo er ihr Leben nur auf ein Jahr noch verlän- gern wird. Nur auf ein Jahr, Bruder! - - Er wird alle sein Ansehen bey mir verlieren, und ich werde ihm eben so begegnen, als Belton seinem Arzt begegnete: wo er an einer so jungen Person dieß nicht für mich thun kann. Aber neunzehn, Belford! - - Neunzehn kann nicht so bald vor Betrübniß sterben; wo der Arzt den Namen ver- dienet: sonderlich bey einer so blühenden und gu-
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Anfange bis zu Ende unendlich mehr uͤber mich geſieget, als von mir gelitten?
Wollte nur die heilige Achtung, welche ich ge- gen ihre Reinigkeit ſelbſt in Anſehung ihrer Per- ſon ſo wohl, als in Anſehung ihres Verſtandes hege, es erlauben: ſo koͤnnte ich dieß ſo klar, als die Sonne iſt, beweiſen. Daher ſage der lieben Fraͤulein, daß ſie nicht gottlos in ihrer Gottſeligkeit ſeyn muͤſſe. Es kann eben ſo wohl zu viel, als zu wenig, ſelbſt in einem rechtmaͤßigen Verfah- ren geſchehen. Vielleicht denkt ſie nicht daran ‒ ‒ O daß ſie mir ſo gefaͤllig zugelaſſen haͤtte, als dir, ihr aufzuwarten! ‒ ‒ Das liebe Kind pflegte die Munterkeit gern zu haben. Jch gedenke noch der Zeit, da ſie wohl wußte, wie ſie uͤber eine Probe einer wohlangebrachten Munterkeit laͤcheln ſollte: und ich muß dir ſagen, ein Laͤcheln auf den Lippen muͤßte in einem ſo aufrichtigen Herzen, als das ihrige iſt, eine ihm gemaͤße Munterkeit gehabt haben.
Vermelde dem Arzt, daß ich ihm alles, was ich beſitze und was auf mich faͤllt, uͤbertragen will: wo er ihr Leben nur auf ein Jahr noch verlaͤn- gern wird. Nur auf ein Jahr, Bruder! ‒ ‒ Er wird alle ſein Anſehen bey mir verlieren, und ich werde ihm eben ſo begegnen, als Belton ſeinem Arzt begegnete: wo er an einer ſo jungen Perſon dieß nicht fuͤr mich thun kann. Aber neunzehn, Belford! ‒ ‒ Neunzehn kann nicht ſo bald vor Betruͤbniß ſterben; wo der Arzt den Namen ver- dienet: ſonderlich bey einer ſo bluͤhenden und gu-
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Anfange bis zu Ende unendlich mehr uͤber mich
geſieget, als von mir gelitten?
Wollte nur die heilige Achtung, welche ich ge-
gen ihre Reinigkeit ſelbſt in Anſehung ihrer Per-
ſon ſo wohl, als in Anſehung ihres Verſtandes
hege, es erlauben: ſo koͤnnte ich dieß ſo klar, als
die Sonne iſt, beweiſen. Daher ſage der lieben
Fraͤulein, daß ſie nicht gottlos in ihrer Gottſeligkeit
ſeyn muͤſſe. Es kann eben ſo wohl zu viel, als
zu wenig, ſelbſt in einem rechtmaͤßigen Verfah-
ren geſchehen. Vielleicht denkt ſie nicht daran ‒ ‒
O daß ſie mir ſo gefaͤllig zugelaſſen haͤtte, als dir,
ihr aufzuwarten! ‒ ‒ Das liebe Kind pflegte die
Munterkeit gern zu haben. Jch gedenke noch der
Zeit, da ſie wohl wußte, wie ſie uͤber eine Probe
einer wohlangebrachten Munterkeit laͤcheln ſollte:
und ich muß dir ſagen, ein Laͤcheln auf den Lippen
muͤßte in einem ſo aufrichtigen Herzen, als das
ihrige iſt, eine ihm gemaͤße Munterkeit gehabt
haben.
Vermelde dem Arzt, daß ich ihm alles, was
ich beſitze und was auf mich faͤllt, uͤbertragen will:
wo er ihr Leben nur auf ein Jahr noch verlaͤn-
gern wird. Nur auf ein Jahr, Bruder! ‒ ‒ Er
wird alle ſein Anſehen bey mir verlieren, und ich
werde ihm eben ſo begegnen, als Belton ſeinem
Arzt begegnete: wo er an einer ſo jungen Perſon
dieß nicht fuͤr mich thun kann. Aber neunzehn,
Belford! ‒ ‒ Neunzehn kann nicht ſo bald vor
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/289>, abgerufen am 23.11.2024.
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