Wenn der arme Lovelace, sprach er, so wie ich nun, auf das Krankenbette geworfen wird, und sein Herz ihm zusaget, daß seine Genesung un- möglich sey; welches dasselbe in seiner letzten Krankheit nicht thun konnte, sonst würde er sich nicht so leichtsinnig dabey bezeiget haben - - Wenn er sein vergangenes und übel angewandtes Leben, seine strafbaren Handlungen gegen un- schuldige Personen, die sich nicht helfen konnten, sonderlich was mit der Fräulein Harlowe vorge- gangen ist, überleget: was wird er denn von sich selbst und von seinen vergangenen Thaten geden- ken? Wenn sein Muth geschwächet, seine Stärke Schwachheit geworden ist; wenn er nicht im Stande ist, ohne Hülfe aus der Stelle zu kom- men; wenn kein einziger Strahl der Hoffnung auf seine in Nacht und Dunkelheit verhüllte See- le zuschießet; wenn sein Gewissen die Stelle von tausend Zeugen wider ihn vertritt; wenn seine Schmerzen ihn quälen; wenn er des elenden Ue- berrestes von dem Leben, das er als eine Last schleppet, müde ist, und doch befürchtet, daß in wenigen kurzen Stunden sein Bette mit einem noch ärgern, ja dem ärgsten Zustande unter allen verwechselt seyn, und daß eben dieser ärgste Zu- stand unter allen ohne Ende, und in alle Ewig- keit dauren werde: o Bruder! was wird er als- denn von dem elenden und vorübergehenden Ver- gnügungen der Sinne gedenken, welche itzo alle seine Aufmerksamkeit an sich ziehen? Sage ihm, lieber Belford, sage ihm, wie glücklich er sey, wo-
fern
Wenn der arme Lovelace, ſprach er, ſo wie ich nun, auf das Krankenbette geworfen wird, und ſein Herz ihm zuſaget, daß ſeine Geneſung un- moͤglich ſey; welches daſſelbe in ſeiner letzten Krankheit nicht thun konnte, ſonſt wuͤrde er ſich nicht ſo leichtſinnig dabey bezeiget haben ‒ ‒ Wenn er ſein vergangenes und uͤbel angewandtes Leben, ſeine ſtrafbaren Handlungen gegen un- ſchuldige Perſonen, die ſich nicht helfen konnten, ſonderlich was mit der Fraͤulein Harlowe vorge- gangen iſt, uͤberleget: was wird er denn von ſich ſelbſt und von ſeinen vergangenen Thaten geden- ken? Wenn ſein Muth geſchwaͤchet, ſeine Staͤrke Schwachheit geworden iſt; wenn er nicht im Stande iſt, ohne Huͤlfe aus der Stelle zu kom- men; wenn kein einziger Strahl der Hoffnung auf ſeine in Nacht und Dunkelheit verhuͤllte See- le zuſchießet; wenn ſein Gewiſſen die Stelle von tauſend Zeugen wider ihn vertritt; wenn ſeine Schmerzen ihn quaͤlen; wenn er des elenden Ue- berreſtes von dem Leben, das er als eine Laſt ſchleppet, muͤde iſt, und doch befuͤrchtet, daß in wenigen kurzen Stunden ſein Bette mit einem noch aͤrgern, ja dem aͤrgſten Zuſtande unter allen verwechſelt ſeyn, und daß eben dieſer aͤrgſte Zu- ſtand unter allen ohne Ende, und in alle Ewig- keit dauren werde: o Bruder! was wird er als- denn von dem elenden und voruͤbergehenden Ver- gnuͤgungen der Sinne gedenken, welche itzo alle ſeine Aufmerkſamkeit an ſich ziehen? Sage ihm, lieber Belford, ſage ihm, wie gluͤcklich er ſey, wo-
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Wenn der arme Lovelace, ſprach er, ſo wie
ich nun, auf das Krankenbette geworfen wird, und
ſein Herz ihm zuſaget, daß ſeine Geneſung un-
moͤglich ſey; welches daſſelbe in ſeiner letzten
Krankheit nicht thun konnte, ſonſt wuͤrde er ſich
nicht ſo leichtſinnig dabey bezeiget haben ‒ ‒
Wenn er ſein vergangenes und uͤbel angewandtes
Leben, ſeine ſtrafbaren Handlungen gegen un-
ſchuldige Perſonen, die ſich nicht helfen konnten,
ſonderlich was mit der Fraͤulein Harlowe vorge-
gangen iſt, uͤberleget: was wird er denn von ſich
ſelbſt und von ſeinen vergangenen Thaten geden-
ken? Wenn ſein Muth geſchwaͤchet, ſeine Staͤrke
Schwachheit geworden iſt; wenn er nicht im
Stande iſt, ohne Huͤlfe aus der Stelle zu kom-
men; wenn kein einziger Strahl der Hoffnung
auf ſeine in Nacht und Dunkelheit verhuͤllte See-
le zuſchießet; wenn ſein Gewiſſen die Stelle von
tauſend Zeugen wider ihn vertritt; wenn ſeine
Schmerzen ihn quaͤlen; wenn er des elenden Ue-
berreſtes von dem Leben, das er als eine Laſt
ſchleppet, muͤde iſt, und doch befuͤrchtet, daß in
wenigen kurzen Stunden ſein Bette mit einem
noch aͤrgern, ja dem aͤrgſten Zuſtande unter allen
verwechſelt ſeyn, und daß eben dieſer aͤrgſte Zu-
ſtand unter allen ohne Ende, und in alle Ewig-
keit dauren werde: o Bruder! was wird er als-
denn von dem elenden und voruͤbergehenden Ver-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/19>, abgerufen am 23.11.2024.
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