dem ärgsten Waisenstande leiden müßte. Dieß waren ihre eigene Worte.
Hierauf kam sie wieder auf ihre erste Sache zurück: auf ihre Unruhe, vor Furcht, daß ihr sie wiederum belästigen möchtet. Wo sie etwas über ihn vermögen, Herr Belford, sagte sie: so bewegen sie ihn, mir die Versicherung zu geben, daß der kurze Ueberrest meiner Zeit mir gänzlich als eigen gelassen werde. Jch brauche ihn. Jn Wahrheit, ich brauche ihn. Warum will er wünschen, mich in meiner Pflicht zu stören? Hat er mich für den Vorzug, den ich ihm vor allen an- dern seines Geschlechts gegeben habe, nicht genug gestrafet? Hat er nicht meinen guten Namen und mein Glück zernichtet? Und wird seine un- verschuldete Rache über mich nicht vollkommen seyn, wofern er nicht auch meine Seele ins Ver- derben stürzet? - - Verzeihen sie mir diese Hef- tigkeit, mein Herr! Allein es ist mir viel daran gelegen, zu wissen, daß ich von ihm nicht mehr werde beunruhigt werden. Jedoch wollte ich, bey allem diesem Abscheu, viel lieber seinen Be- such leiden, wenn ich auch den Augenblick, da ich ihn sehen würde, den Geist aufgeben sollte, als an irgend einem unglücklichen Misverständnisse zwischen ihnen und ihm schuld seyn.
Jch versicherte sie, ich wollte euch die Sache und den Zustand ihrer Gesundheit auf eine solche Art vorstellen, daß ich es über mich nehmen könn- te, für euch Gewähr zu leisten, daß ihr nicht versuchen würdet zu ihr zu kommen.
Aus
dem aͤrgſten Waiſenſtande leiden muͤßte. Dieß waren ihre eigene Worte.
Hierauf kam ſie wieder auf ihre erſte Sache zuruͤck: auf ihre Unruhe, vor Furcht, daß ihr ſie wiederum belaͤſtigen moͤchtet. Wo ſie etwas uͤber ihn vermoͤgen, Herr Belford, ſagte ſie: ſo bewegen ſie ihn, mir die Verſicherung zu geben, daß der kurze Ueberreſt meiner Zeit mir gaͤnzlich als eigen gelaſſen werde. Jch brauche ihn. Jn Wahrheit, ich brauche ihn. Warum will er wuͤnſchen, mich in meiner Pflicht zu ſtoͤren? Hat er mich fuͤr den Vorzug, den ich ihm vor allen an- dern ſeines Geſchlechts gegeben habe, nicht genug geſtrafet? Hat er nicht meinen guten Namen und mein Gluͤck zernichtet? Und wird ſeine un- verſchuldete Rache uͤber mich nicht vollkommen ſeyn, wofern er nicht auch meine Seele ins Ver- derben ſtuͤrzet? ‒ ‒ Verzeihen ſie mir dieſe Hef- tigkeit, mein Herr! Allein es iſt mir viel daran gelegen, zu wiſſen, daß ich von ihm nicht mehr werde beunruhigt werden. Jedoch wollte ich, bey allem dieſem Abſcheu, viel lieber ſeinen Be- ſuch leiden, wenn ich auch den Augenblick, da ich ihn ſehen wuͤrde, den Geiſt aufgeben ſollte, als an irgend einem ungluͤcklichen Misverſtaͤndniſſe zwiſchen ihnen und ihm ſchuld ſeyn.
Jch verſicherte ſie, ich wollte euch die Sache und den Zuſtand ihrer Geſundheit auf eine ſolche Art vorſtellen, daß ich es uͤber mich nehmen koͤnn- te, fuͤr euch Gewaͤhr zu leiſten, daß ihr nicht verſuchen wuͤrdet zu ihr zu kommen.
Aus
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dem aͤrgſten Waiſenſtande leiden muͤßte. Dieß
waren ihre eigene Worte.
Hierauf kam ſie wieder auf ihre erſte Sache
zuruͤck: auf ihre Unruhe, vor Furcht, daß ihr ſie
wiederum belaͤſtigen moͤchtet. Wo ſie etwas
uͤber ihn vermoͤgen, Herr Belford, ſagte ſie: ſo
bewegen ſie ihn, mir die Verſicherung zu geben,
daß der kurze Ueberreſt meiner Zeit mir gaͤnzlich
als eigen gelaſſen werde. Jch brauche ihn. Jn
Wahrheit, ich brauche ihn. Warum will er
wuͤnſchen, mich in meiner Pflicht zu ſtoͤren? Hat
er mich fuͤr den Vorzug, den ich ihm vor allen an-
dern ſeines Geſchlechts gegeben habe, nicht genug
geſtrafet? Hat er nicht meinen guten Namen
und mein Gluͤck zernichtet? Und wird ſeine un-
verſchuldete Rache uͤber mich nicht vollkommen
ſeyn, wofern er nicht auch meine Seele ins Ver-
derben ſtuͤrzet? ‒ ‒ Verzeihen ſie mir dieſe Hef-
tigkeit, mein Herr! Allein es iſt mir viel daran
gelegen, zu wiſſen, daß ich von ihm nicht mehr
werde beunruhigt werden. Jedoch wollte ich,
bey allem dieſem Abſcheu, viel lieber ſeinen Be-
ſuch leiden, wenn ich auch den Augenblick, da ich
ihn ſehen wuͤrde, den Geiſt aufgeben ſollte, als
an irgend einem ungluͤcklichen Misverſtaͤndniſſe
zwiſchen ihnen und ihm ſchuld ſeyn.
Jch verſicherte ſie, ich wollte euch die Sache
und den Zuſtand ihrer Geſundheit auf eine ſolche
Art vorſtellen, daß ich es uͤber mich nehmen koͤnn-
te, fuͤr euch Gewaͤhr zu leiſten, daß ihr nicht
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/179>, abgerufen am 23.11.2024.
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