jeden aus dem Wege seyn würde: denn ich ver- muthete nicht, daß diese Erfindung mir über zween oder drey Tage dienen sollte. Eben um diese Zeit muß er schon erfahren haben, daß ich nicht so glücklich bin, irgend eine Hoffnung zur Aussöh- nung mit meiner Familie zu haben: und so wird er kommen; sollte es auch nur zur Rache für das, was er einen Betrug nennen wird, geschehen.
Jch glaube, ich sahe bestürzt aus, weil ich von ihr das Geständniß hörte, daß ihr Brief bloß eine List wäre. Denn sie sagte: Sie wundern sich, Hr. Belford, wie ich bemerke, daß ich ver- mögend gewesen bin, mich eines solchen Kunstgriffs schuldig zu machen. Jch besorge, daß es nicht recht ist: allein wie konnte ich einen Menschen se- hen, der mich so tödtlich beleidigt hatte, und doch eben zu der Zeit, da er wegen seiner Verbrechen betrübt zu seyn vorgab und mich gern sehen wollte, sich so ärgerlich und leichtsinnig aufführen konnte, als er sich gegen die ehrlichen Leute hier im Hau- se aufführte? Gleichwohl ist es auch etwas seltsa- sames, daß weder sie, noch er, bey Durchlesung meines Briefes, meinen Sinn getroffen. Sie haben sonder Zweifel gesehen, was ich geschrieben habe?
Ja, gnädige Fräulein, ich habe es gesehen. Und darauf fing ich an, es als eine unschuldige List zu rechtfertigen.
Jn so weit ist sie freylich unschuldig, mein Herr, daß ich dabey keine Absicht gehabt habe ihm zu schaden, und zu dem Erfolg, den ich da-
von
jeden aus dem Wege ſeyn wuͤrde: denn ich ver- muthete nicht, daß dieſe Erfindung mir uͤber zween oder drey Tage dienen ſollte. Eben um dieſe Zeit muß er ſchon erfahren haben, daß ich nicht ſo gluͤcklich bin, irgend eine Hoffnung zur Ausſoͤh- nung mit meiner Familie zu haben: und ſo wird er kommen; ſollte es auch nur zur Rache fuͤr das, was er einen Betrug nennen wird, geſchehen.
Jch glaube, ich ſahe beſtuͤrzt aus, weil ich von ihr das Geſtaͤndniß hoͤrte, daß ihr Brief bloß eine Liſt waͤre. Denn ſie ſagte: Sie wundern ſich, Hr. Belford, wie ich bemerke, daß ich ver- moͤgend geweſen bin, mich eines ſolchen Kunſtgriffs ſchuldig zu machen. Jch beſorge, daß es nicht recht iſt: allein wie konnte ich einen Menſchen ſe- hen, der mich ſo toͤdtlich beleidigt hatte, und doch eben zu der Zeit, da er wegen ſeiner Verbrechen betruͤbt zu ſeyn vorgab und mich gern ſehen wollte, ſich ſo aͤrgerlich und leichtſinnig auffuͤhren konnte, als er ſich gegen die ehrlichen Leute hier im Hau- ſe auffuͤhrte? Gleichwohl iſt es auch etwas ſeltſa- ſames, daß weder ſie, noch er, bey Durchleſung meines Briefes, meinen Sinn getroffen. Sie haben ſonder Zweifel geſehen, was ich geſchrieben habe?
Ja, gnaͤdige Fraͤulein, ich habe es geſehen. Und darauf fing ich an, es als eine unſchuldige Liſt zu rechtfertigen.
Jn ſo weit iſt ſie freylich unſchuldig, mein Herr, daß ich dabey keine Abſicht gehabt habe ihm zu ſchaden, und zu dem Erfolg, den ich da-
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jeden aus dem Wege ſeyn wuͤrde: denn ich ver-
muthete nicht, daß dieſe Erfindung mir uͤber zween
oder drey Tage dienen ſollte. Eben um dieſe
Zeit muß er ſchon erfahren haben, daß ich nicht ſo
gluͤcklich bin, irgend eine Hoffnung zur Ausſoͤh-
nung mit meiner Familie zu haben: und ſo wird
er kommen; ſollte es auch nur zur Rache fuͤr das,
was er einen Betrug nennen wird, geſchehen.
Jch glaube, ich ſahe beſtuͤrzt aus, weil ich
von ihr das Geſtaͤndniß hoͤrte, daß ihr Brief bloß
eine Liſt waͤre. Denn ſie ſagte: Sie wundern
ſich, Hr. Belford, wie ich bemerke, daß ich ver-
moͤgend geweſen bin, mich eines ſolchen Kunſtgriffs
ſchuldig zu machen. Jch beſorge, daß es nicht
recht iſt: allein wie konnte ich einen Menſchen ſe-
hen, der mich ſo toͤdtlich beleidigt hatte, und doch
eben zu der Zeit, da er wegen ſeiner Verbrechen
betruͤbt zu ſeyn vorgab und mich gern ſehen wollte,
ſich ſo aͤrgerlich und leichtſinnig auffuͤhren konnte,
als er ſich gegen die ehrlichen Leute hier im Hau-
ſe auffuͤhrte? Gleichwohl iſt es auch etwas ſeltſa-
ſames, daß weder ſie, noch er, bey Durchleſung
meines Briefes, meinen Sinn getroffen. Sie
haben ſonder Zweifel geſehen, was ich geſchrieben
habe?
Ja, gnaͤdige Fraͤulein, ich habe es geſehen.
Und darauf fing ich an, es als eine unſchuldige
Liſt zu rechtfertigen.
Jn ſo weit iſt ſie freylich unſchuldig, mein
Herr, daß ich dabey keine Abſicht gehabt habe
ihm zu ſchaden, und zu dem Erfolg, den ich da-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/176>, abgerufen am 23.11.2024.
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