Jch begab mich gestern frühe nach Epsom, und fand alles nach denen Verordnungen, die ich am Freytage hinterlassen hatte, bereit. Des Abends ward die feyerliche Beerdigung vollzogen. Tourville war zugegen, und führte sich sehr an- ständig auf; ließ auch mehr Betrübniß blicken, als ich gedacht hätte, daß er jemals über irgend jemand würde bezeigt haben.
Thomasine war, wie man mir erzählte, ge- wissermaßen verkleidet, in einem dunkeln Kirchen- stuhl: aus Neubegierde, demjenigen, dessen Herz sie so überflüßig zu brechen geholfen hatte, den letzten Liebesdienst erwiesen zu sehen. Denn es scheint, daß es weit von ihr entfernt gewesen, ei- nige Zeichen der Betrübniß blicken zu lassen.
Jch ward genöthigt, bis diesen Nachmittag zu bleiben, damit ich verschiedne nöthige Dinge zur Richtigkeit brächte, und Anstalt zu den Ver- zeichnissen von dem hinterlassenen Geräthe mach- te, um es schätzen zu lassen. Denn nach seinem letzten Willen soll alles zu Gelde gemacht werden. Jch schenkte seiner Schwester die hundert Gui- neas, welche der arme Mann mir für die Vollzie- hung seines Testaments vermacht hat, und bat sie in dem Hause zu bleiben und die Aufsicht über alles auf sich zu nehmen, bis ich von seinem Vet- ter zu Antigoa, der den Gesetzen nach Erbe ist, Nachricht haben könnte. Er hatte ihr nur funfzig Pfund St. vermacht: ob er gleich ihre Dürftigkeit gewußt, und ihm auch wohl bekannt gewesen, daß sie durch die Schuld eines schändli-
chen
Siebenter Theil. L
Jch begab mich geſtern fruͤhe nach Epſom, und fand alles nach denen Verordnungen, die ich am Freytage hinterlaſſen hatte, bereit. Des Abends ward die feyerliche Beerdigung vollzogen. Tourville war zugegen, und fuͤhrte ſich ſehr an- ſtaͤndig auf; ließ auch mehr Betruͤbniß blicken, als ich gedacht haͤtte, daß er jemals uͤber irgend jemand wuͤrde bezeigt haben.
Thomaſine war, wie man mir erzaͤhlte, ge- wiſſermaßen verkleidet, in einem dunkeln Kirchen- ſtuhl: aus Neubegierde, demjenigen, deſſen Herz ſie ſo uͤberfluͤßig zu brechen geholfen hatte, den letzten Liebesdienſt erwieſen zu ſehen. Denn es ſcheint, daß es weit von ihr entfernt geweſen, ei- nige Zeichen der Betruͤbniß blicken zu laſſen.
Jch ward genoͤthigt, bis dieſen Nachmittag zu bleiben, damit ich verſchiedne noͤthige Dinge zur Richtigkeit braͤchte, und Anſtalt zu den Ver- zeichniſſen von dem hinterlaſſenen Geraͤthe mach- te, um es ſchaͤtzen zu laſſen. Denn nach ſeinem letzten Willen ſoll alles zu Gelde gemacht werden. Jch ſchenkte ſeiner Schweſter die hundert Gui- neas, welche der arme Mann mir fuͤr die Vollzie- hung ſeines Teſtaments vermacht hat, und bat ſie in dem Hauſe zu bleiben und die Aufſicht uͤber alles auf ſich zu nehmen, bis ich von ſeinem Vet- ter zu Antigoa, der den Geſetzen nach Erbe iſt, Nachricht haben koͤnnte. Er hatte ihr nur funfzig Pfund St. vermacht: ob er gleich ihre Duͤrftigkeit gewußt, und ihm auch wohl bekannt geweſen, daß ſie durch die Schuld eines ſchaͤndli-
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Siebenter Theil. L
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Jch begab mich geſtern fruͤhe nach Epſom,
und fand alles nach denen Verordnungen, die ich
am Freytage hinterlaſſen hatte, bereit. Des
Abends ward die feyerliche Beerdigung vollzogen.
Tourville war zugegen, und fuͤhrte ſich ſehr an-
ſtaͤndig auf; ließ auch mehr Betruͤbniß blicken,
als ich gedacht haͤtte, daß er jemals uͤber irgend
jemand wuͤrde bezeigt haben.
Thomaſine war, wie man mir erzaͤhlte, ge-
wiſſermaßen verkleidet, in einem dunkeln Kirchen-
ſtuhl: aus Neubegierde, demjenigen, deſſen Herz
ſie ſo uͤberfluͤßig zu brechen geholfen hatte, den
letzten Liebesdienſt erwieſen zu ſehen. Denn es
ſcheint, daß es weit von ihr entfernt geweſen, ei-
nige Zeichen der Betruͤbniß blicken zu laſſen.
Jch ward genoͤthigt, bis dieſen Nachmittag
zu bleiben, damit ich verſchiedne noͤthige Dinge
zur Richtigkeit braͤchte, und Anſtalt zu den Ver-
zeichniſſen von dem hinterlaſſenen Geraͤthe mach-
te, um es ſchaͤtzen zu laſſen. Denn nach ſeinem
letzten Willen ſoll alles zu Gelde gemacht werden.
Jch ſchenkte ſeiner Schweſter die hundert Gui-
neas, welche der arme Mann mir fuͤr die Vollzie-
hung ſeines Teſtaments vermacht hat, und bat ſie
in dem Hauſe zu bleiben und die Aufſicht uͤber
alles auf ſich zu nehmen, bis ich von ſeinem Vet-
ter zu Antigoa, der den Geſetzen nach Erbe
iſt, Nachricht haben koͤnnte. Er hatte ihr nur
funfzig Pfund St. vermacht: ob er gleich ihre
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geweſen, daß ſie durch die Schuld eines ſchaͤndli-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/167>, abgerufen am 03.02.2025.
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