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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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Fall auf keine mögliche Art stärker und klärer ge-
gen mich setzen kannst.

Warum nehmen sich hiernächst fromme Leu-
te heraus, strenge Urtheile wider Personen, die
sich weniger Gewissen machen, als sie selbst, zu
fällen? Geschieht es nicht deswegen, weil sich die
letztern manche Freyheiten verstatten, um eine
Sache durchzusetzen? Kann aber wohl die Unter-
lassung meiner Pflicht einen andern wegen Un-
terlassung der seinigen rechtfertigen? Du wirst es
nicht behaupten.

Und wie würde es klingen, daß ich noch ein-
mal den Fall, so wohl der That, als den Wor-
ten nach, so hart setze, als ihn mein größter Feind
setzen würde: Hier hat der verruchte Bösewicht,
Lovelace, sein Gelübde gebrochen, und die Fräu-
lein Clarissa Harlowe betrogen - - Ein schändli-
cher Kerl! würde ein Feind sagen: aber es sieht
ihm ähnlich. Allein wenn es hieße, die fromme
Fräulein Clarissa Harlowe habe ihr Wort gebro-
chen und Herrn Lovelacen betrogen: so würde ein
jeder sagen: Himmel! gewiß das kann nicht
seyn!

Bey meiner Seele, Bruder, die Ehrerbie-
tung, welche ich gegen dieß bewundernswürdige
Frauenzimmer trage, ist so groß, daß es mir är-
gerlich ist, nur bloß den Fall zu setzen: und so
wird es dir auch seyn; wo du gegen sie die Hoch-
achtung hegest, welche du billig hegen mußt.
Denn du weißt, daß alle Manns- und Weibsper-
sonen in der ganzen Welt ihre Meynungen von

einan-



Fall auf keine moͤgliche Art ſtaͤrker und klaͤrer ge-
gen mich ſetzen kannſt.

Warum nehmen ſich hiernaͤchſt fromme Leu-
te heraus, ſtrenge Urtheile wider Perſonen, die
ſich weniger Gewiſſen machen, als ſie ſelbſt, zu
faͤllen? Geſchieht es nicht deswegen, weil ſich die
letztern manche Freyheiten verſtatten, um eine
Sache durchzuſetzen? Kann aber wohl die Unter-
laſſung meiner Pflicht einen andern wegen Un-
terlaſſung der ſeinigen rechtfertigen? Du wirſt es
nicht behaupten.

Und wie wuͤrde es klingen, daß ich noch ein-
mal den Fall, ſo wohl der That, als den Wor-
ten nach, ſo hart ſetze, als ihn mein groͤßter Feind
ſetzen wuͤrde: Hier hat der verruchte Boͤſewicht,
Lovelace, ſein Geluͤbde gebrochen, und die Fraͤu-
lein Clariſſa Harlowe betrogen ‒ ‒ Ein ſchaͤndli-
cher Kerl! wuͤrde ein Feind ſagen: aber es ſieht
ihm aͤhnlich. Allein wenn es hieße, die fromme
Fraͤulein Clariſſa Harlowe habe ihr Wort gebro-
chen und Herrn Lovelacen betrogen: ſo wuͤrde ein
jeder ſagen: Himmel! gewiß das kann nicht
ſeyn!

Bey meiner Seele, Bruder, die Ehrerbie-
tung, welche ich gegen dieß bewundernswuͤrdige
Frauenzimmer trage, iſt ſo groß, daß es mir aͤr-
gerlich iſt, nur bloß den Fall zu ſetzen: und ſo
wird es dir auch ſeyn; wo du gegen ſie die Hoch-
achtung hegeſt, welche du billig hegen mußt.
Denn du weißt, daß alle Manns- und Weibsper-
ſonen in der ganzen Welt ihre Meynungen von

einan-
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[157/0163] Fall auf keine moͤgliche Art ſtaͤrker und klaͤrer ge- gen mich ſetzen kannſt. Warum nehmen ſich hiernaͤchſt fromme Leu- te heraus, ſtrenge Urtheile wider Perſonen, die ſich weniger Gewiſſen machen, als ſie ſelbſt, zu faͤllen? Geſchieht es nicht deswegen, weil ſich die letztern manche Freyheiten verſtatten, um eine Sache durchzuſetzen? Kann aber wohl die Unter- laſſung meiner Pflicht einen andern wegen Un- terlaſſung der ſeinigen rechtfertigen? Du wirſt es nicht behaupten. Und wie wuͤrde es klingen, daß ich noch ein- mal den Fall, ſo wohl der That, als den Wor- ten nach, ſo hart ſetze, als ihn mein groͤßter Feind ſetzen wuͤrde: Hier hat der verruchte Boͤſewicht, Lovelace, ſein Geluͤbde gebrochen, und die Fraͤu- lein Clariſſa Harlowe betrogen ‒ ‒ Ein ſchaͤndli- cher Kerl! wuͤrde ein Feind ſagen: aber es ſieht ihm aͤhnlich. Allein wenn es hieße, die fromme Fraͤulein Clariſſa Harlowe habe ihr Wort gebro- chen und Herrn Lovelacen betrogen: ſo wuͤrde ein jeder ſagen: Himmel! gewiß das kann nicht ſeyn! Bey meiner Seele, Bruder, die Ehrerbie- tung, welche ich gegen dieß bewundernswuͤrdige Frauenzimmer trage, iſt ſo groß, daß es mir aͤr- gerlich iſt, nur bloß den Fall zu ſetzen: und ſo wird es dir auch ſeyn; wo du gegen ſie die Hoch- achtung hegeſt, welche du billig hegen mußt. Denn du weißt, daß alle Manns- und Weibsper- ſonen in der ganzen Welt ihre Meynungen von einan-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/163>, abgerufen am 27.04.2024.