schiehet. Jhr werdet vielleicht fragen: Wel- cher ehrlicher Mensch ist verbunden, einem Stras- senräuber sein Wort zu halten? Denn ich kenne eure unartige Weise wohl, Vergleichungen zu ma- chen. Allein ich sage, ein jeder ehrlicher Mensch ist es allerdings verbunden: und ich will es euch mit einem Beyspiel erläutern.
Setzet, es komme ein räuberischer Kerl, der euch das Pistol auf die Brust setze und euer Geld fordere: ihr aber habt weder Geld noch Geldes- werth bey euch, und versprechet heilig, wo er euch das Leben schenken will, daß ihr ihm an einem gewissen Tage, an einen gewissen Ort, eine verab- redete Summe schicken wollet. Die Frage ist: Ob euer Leben nicht in des Kerls Gewalt stehe?
Wie er zu dieser Gewalt gekommen, das ist eine andere Frage: und das muß er mit dem Le- ben verantworten; wenn er ergriffen wird - - So lauft er Gefahr für Gefahr.
Wenn er euch nun euer Leben schenket: giebt er euch denn nicht etwas schätzbares und be- trächtliches für das Geld, welches ihr ihm auf eure Ehre zu senden versprechet? Wo nicht: so muß die Summe sehr übermäßig, oder euer Le- ben, selbst in euren eignen Gedanken, etwas sehr nichtswürdiges seyn.
Jch brauche die Anwendung nicht zu ma- chen: und ich bin versichert, daß du so gar selbst, da du doch meiner niemals schonest, und mein Herz durch dein eignes zu kennen glaubest, den
Fall
ſchiehet. Jhr werdet vielleicht fragen: Wel- cher ehrlicher Menſch iſt verbunden, einem Straſ- ſenraͤuber ſein Wort zu halten? Denn ich kenne eure unartige Weiſe wohl, Vergleichungen zu ma- chen. Allein ich ſage, ein jeder ehrlicher Menſch iſt es allerdings verbunden: und ich will es euch mit einem Beyſpiel erlaͤutern.
Setzet, es komme ein raͤuberiſcher Kerl, der euch das Piſtol auf die Bruſt ſetze und euer Geld fordere: ihr aber habt weder Geld noch Geldes- werth bey euch, und verſprechet heilig, wo er euch das Leben ſchenken will, daß ihr ihm an einem gewiſſen Tage, an einen gewiſſen Ort, eine verab- redete Summe ſchicken wollet. Die Frage iſt: Ob euer Leben nicht in des Kerls Gewalt ſtehe?
Wie er zu dieſer Gewalt gekommen, das iſt eine andere Frage: und das muß er mit dem Le- ben verantworten; wenn er ergriffen wird ‒ ‒ So lauft er Gefahr fuͤr Gefahr.
Wenn er euch nun euer Leben ſchenket: giebt er euch denn nicht etwas ſchaͤtzbares und be- traͤchtliches fuͤr das Geld, welches ihr ihm auf eure Ehre zu ſenden verſprechet? Wo nicht: ſo muß die Summe ſehr uͤbermaͤßig, oder euer Le- ben, ſelbſt in euren eignen Gedanken, etwas ſehr nichtswuͤrdiges ſeyn.
Jch brauche die Anwendung nicht zu ma- chen: und ich bin verſichert, daß du ſo gar ſelbſt, da du doch meiner niemals ſchoneſt, und mein Herz durch dein eignes zu kennen glaubeſt, den
Fall
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ſchiehet. Jhr werdet vielleicht fragen: Wel-
cher ehrlicher Menſch iſt verbunden, einem Straſ-
ſenraͤuber ſein Wort zu halten? Denn ich kenne
eure unartige Weiſe wohl, Vergleichungen zu ma-
chen. Allein ich ſage, ein jeder ehrlicher Menſch
iſt es allerdings verbunden: und ich will es euch
mit einem Beyſpiel erlaͤutern.
Setzet, es komme ein raͤuberiſcher Kerl, der
euch das Piſtol auf die Bruſt ſetze und euer Geld
fordere: ihr aber habt weder Geld noch Geldes-
werth bey euch, und verſprechet heilig, wo er euch
das Leben ſchenken will, daß ihr ihm an einem
gewiſſen Tage, an einen gewiſſen Ort, eine verab-
redete Summe ſchicken wollet. Die Frage iſt:
Ob euer Leben nicht in des Kerls Gewalt ſtehe?
Wie er zu dieſer Gewalt gekommen, das iſt
eine andere Frage: und das muß er mit dem Le-
ben verantworten; wenn er ergriffen wird ‒ ‒
So lauft er Gefahr fuͤr Gefahr.
Wenn er euch nun euer Leben ſchenket:
giebt er euch denn nicht etwas ſchaͤtzbares und be-
traͤchtliches fuͤr das Geld, welches ihr ihm auf
eure Ehre zu ſenden verſprechet? Wo nicht: ſo
muß die Summe ſehr uͤbermaͤßig, oder euer Le-
ben, ſelbſt in euren eignen Gedanken, etwas ſehr
nichtswuͤrdiges ſeyn.
Jch brauche die Anwendung nicht zu ma-
chen: und ich bin verſichert, daß du ſo gar ſelbſt,
da du doch meiner niemals ſchoneſt, und mein
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/162>, abgerufen am 23.11.2024.
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