Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



fand, von dem lebendigen Lovelace und dessen
Leichtsinnigkeit, als von dem sterbenden Belton
und dessen Buße zu schwatzen.

Jch kam am Sonnabend, Abends, nur auf
einen Augenblick wieder zu ihm, ehe ich zu Bette
gieng: welches ich ziemlich frühe that; weil ich
der windichten Unempfindlichkeit an Mowbray
überdrüßig war, und ihn nicht leiden konnte. Es
ist so etwas schreckliches, daran zu gedenken, daß
ein Mensch, der in so genauer Vertraulichkeit;
es fällt nicht so aus, daß ich Freundschaft sagen
darf; mit einem andern gelebet, und so viele Lie-
be zu ihm vorgegeben hatte; der es nicht ertragen
konnte, ohne seine Gesellschaft zu seyn; der wohl
hundert Meilen weit deswegen geritten wäre; der
sich für ihn, er mochte eine gute oder böse Sa-
che haben, schlagen wollte; sich doch itzo so wenig
rühren lassen konnte, da er ihn in solchem Elende
in Ansehung des Leibes und Gemüthes sahe, daß
er im Stande war, ihn durch Verweise niederzu-
schlagen und vielmehr lächerlich zu machen, als
Mitleiden mit ihm zu haben, weil er durch das,
was er fühlte, mehr beweget war, als er einen
Uebelthäter, der vielleicht durch starke Getränke
hart gemacht und nicht vorher durch Krankheit er-
weichet seyn mochte, bey seinem Hingange zur
Vollziehung des Todesurtheils bewegt gesehen
hatte.

Dieß erinnerte mich, mit starkem Eindruck,
an dasjenige, was die göttliche Fräulein Harlo-
we
einmal zu mir sagte: als ich von der Freund-

schaft
A 5



fand, von dem lebendigen Lovelace und deſſen
Leichtſinnigkeit, als von dem ſterbenden Belton
und deſſen Buße zu ſchwatzen.

Jch kam am Sonnabend, Abends, nur auf
einen Augenblick wieder zu ihm, ehe ich zu Bette
gieng: welches ich ziemlich fruͤhe that; weil ich
der windichten Unempfindlichkeit an Mowbray
uͤberdruͤßig war, und ihn nicht leiden konnte. Es
iſt ſo etwas ſchreckliches, daran zu gedenken, daß
ein Menſch, der in ſo genauer Vertraulichkeit;
es faͤllt nicht ſo aus, daß ich Freundſchaft ſagen
darf; mit einem andern gelebet, und ſo viele Lie-
be zu ihm vorgegeben hatte; der es nicht ertragen
konnte, ohne ſeine Geſellſchaft zu ſeyn; der wohl
hundert Meilen weit deswegen geritten waͤre; der
ſich fuͤr ihn, er mochte eine gute oder boͤſe Sa-
che haben, ſchlagen wollte; ſich doch itzo ſo wenig
ruͤhren laſſen konnte, da er ihn in ſolchem Elende
in Anſehung des Leibes und Gemuͤthes ſahe, daß
er im Stande war, ihn durch Verweiſe niederzu-
ſchlagen und vielmehr laͤcherlich zu machen, als
Mitleiden mit ihm zu haben, weil er durch das,
was er fuͤhlte, mehr beweget war, als er einen
Uebelthaͤter, der vielleicht durch ſtarke Getraͤnke
hart gemacht und nicht vorher durch Krankheit er-
weichet ſeyn mochte, bey ſeinem Hingange zur
Vollziehung des Todesurtheils bewegt geſehen
hatte.

Dieß erinnerte mich, mit ſtarkem Eindruck,
an dasjenige, was die goͤttliche Fraͤulein Harlo-
we
einmal zu mir ſagte: als ich von der Freund-

ſchaft
A 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0015" n="9"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
fand, von dem lebendigen Lovelace und de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Leicht&#x017F;innigkeit, als von dem &#x017F;terbenden Belton<lb/>
und de&#x017F;&#x017F;en Buße zu &#x017F;chwatzen.</p><lb/>
          <p>Jch kam am Sonnabend, Abends, nur auf<lb/>
einen Augenblick wieder zu ihm, ehe ich zu Bette<lb/>
gieng: welches ich ziemlich fru&#x0364;he that; weil ich<lb/>
der windichten Unempfindlichkeit an Mowbray<lb/>
u&#x0364;berdru&#x0364;ßig war, und ihn nicht leiden konnte. Es<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;o etwas &#x017F;chreckliches, daran zu gedenken, daß<lb/>
ein Men&#x017F;ch, der in &#x017F;o genauer <hi rendition="#fr">Vertraulichkeit;</hi><lb/>
es fa&#x0364;llt nicht &#x017F;o aus, daß ich <hi rendition="#fr">Freund&#x017F;chaft</hi> &#x017F;agen<lb/>
darf; mit einem andern gelebet, und &#x017F;o viele Lie-<lb/>
be zu ihm vorgegeben hatte; der es nicht ertragen<lb/>
konnte, ohne &#x017F;eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu &#x017F;eyn; der wohl<lb/>
hundert Meilen weit deswegen geritten wa&#x0364;re; der<lb/>
&#x017F;ich fu&#x0364;r ihn, er mochte eine gute oder bo&#x0364;&#x017F;e Sa-<lb/>
che haben, &#x017F;chlagen wollte; &#x017F;ich doch itzo &#x017F;o wenig<lb/>
ru&#x0364;hren la&#x017F;&#x017F;en konnte, da er ihn in &#x017F;olchem Elende<lb/>
in An&#x017F;ehung des Leibes und Gemu&#x0364;thes &#x017F;ahe, daß<lb/>
er im Stande war, ihn durch Verwei&#x017F;e niederzu-<lb/>
&#x017F;chlagen und vielmehr la&#x0364;cherlich zu machen, als<lb/>
Mitleiden mit ihm zu haben, weil er durch das,<lb/>
was er fu&#x0364;hlte, mehr beweget war, als er einen<lb/>
Uebeltha&#x0364;ter, der vielleicht durch &#x017F;tarke Getra&#x0364;nke<lb/>
hart gemacht und nicht vorher durch Krankheit er-<lb/>
weichet &#x017F;eyn mochte, bey &#x017F;einem Hingange zur<lb/>
Vollziehung des Todesurtheils bewegt ge&#x017F;ehen<lb/>
hatte.</p><lb/>
          <p>Dieß erinnerte mich, mit &#x017F;tarkem Eindruck,<lb/>
an dasjenige, was die go&#x0364;ttliche Fra&#x0364;ulein <hi rendition="#fr">Harlo-<lb/>
we</hi> einmal zu mir &#x017F;agte: als ich von der Freund-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 5</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chaft</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0015] fand, von dem lebendigen Lovelace und deſſen Leichtſinnigkeit, als von dem ſterbenden Belton und deſſen Buße zu ſchwatzen. Jch kam am Sonnabend, Abends, nur auf einen Augenblick wieder zu ihm, ehe ich zu Bette gieng: welches ich ziemlich fruͤhe that; weil ich der windichten Unempfindlichkeit an Mowbray uͤberdruͤßig war, und ihn nicht leiden konnte. Es iſt ſo etwas ſchreckliches, daran zu gedenken, daß ein Menſch, der in ſo genauer Vertraulichkeit; es faͤllt nicht ſo aus, daß ich Freundſchaft ſagen darf; mit einem andern gelebet, und ſo viele Lie- be zu ihm vorgegeben hatte; der es nicht ertragen konnte, ohne ſeine Geſellſchaft zu ſeyn; der wohl hundert Meilen weit deswegen geritten waͤre; der ſich fuͤr ihn, er mochte eine gute oder boͤſe Sa- che haben, ſchlagen wollte; ſich doch itzo ſo wenig ruͤhren laſſen konnte, da er ihn in ſolchem Elende in Anſehung des Leibes und Gemuͤthes ſahe, daß er im Stande war, ihn durch Verweiſe niederzu- ſchlagen und vielmehr laͤcherlich zu machen, als Mitleiden mit ihm zu haben, weil er durch das, was er fuͤhlte, mehr beweget war, als er einen Uebelthaͤter, der vielleicht durch ſtarke Getraͤnke hart gemacht und nicht vorher durch Krankheit er- weichet ſeyn mochte, bey ſeinem Hingange zur Vollziehung des Todesurtheils bewegt geſehen hatte. Dieß erinnerte mich, mit ſtarkem Eindruck, an dasjenige, was die goͤttliche Fraͤulein Harlo- we einmal zu mir ſagte: als ich von der Freund- ſchaft A 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/15
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/15>, abgerufen am 23.11.2024.